Leitsätze:
Enthält der Mietspiegel – wie hier der Berliner Mietspiegel 2019 – eine „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“, in der bestimmte werterhöhende oder wertmindernde Faktoren für die Einordnung der Wohnung vorgesehen sind, darf der Tatrichter diese und die von ihr vorgesehenen Bewertungskriterien als Schätzungsgrundlage nach § 287 Abs. 2 ZPO zugrunde legen.
Es liegt innerhalb des dem Gericht eingeräumten Schätzungsermessens bei der Merkmalgruppe 4 (Gebäude), den vorhandenen „Personenaufzug bei weniger als 5 Obergeschossen“ auch dann positiv zu werten, wenn der Aufzug nicht auf den Geschossebenen, sondern dazwischen hält.
BGH vom 14.6.2022 – VIII ZR 24/21 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 10 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Nettokaltmiete der 45,46 Quadratmeter großen Wohnung betrug zuletzt 301,95 Euro im Monat. Mit Schreiben vom 14.5.2019 verlangte der Vermieter vom Mieter die Zustimmung zu einer Erhöhung dieser Miete um 45,29 Euro auf 347,24 Euro monatlich (= 7,64 Euro pro Quadratmeter) mit Wirkung ab 1.8.2019. In dem Schreiben wurde unter anderem ausgeführt, dass die Miete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2019 angehoben werde. Die 45,46 Quadratmeter große Wohnung sei in das Mietspiegelfeld E 1 einzuordnen. Unter Berücksichtigung der Kappungsgrenze von 15 % dürfe die Nettokaltmiete um 45,29 Euro im Monat angehoben werden.
Der Mieter verweigerte die Zustimmung. Der Vermieter erhob daraufhin Zustimmungsklage. Amtsgericht und Landgericht gaben der Klage des Vermieters statt.
Das Landgericht hielt das Erhöhungsverlangen für materiell begründet, da die begehrte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschreite. Letztere sei hier unstreitig aus dem Mietspiegelfeld E 1 des Berliner Mietspiegels 2019 zu ermitteln, der für die hier in Rede stehende Wohnung einen Mittelwert von 7,43 Euro pro Quadratmeter und eine Spanne von 5,41 bis 10,25 Euro pro Quadratmeter aufweise. Der Mittelwert sei im Streitfall aufgrund einer Bewertung anhand der dem Mietspiegel beigefügten „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“ mit einem Zuschlag von 20 % zu versehen. Von den dort vorgesehenen fünf Merkmalgruppen sei die Merkmalgruppe 1 (Bad) unstreitig negativ zu bewerten, während die Merkmalgruppe 2 (Küche) wegen des wohnwerterhöhenden Merkmals „Bodenbelag Terrazzo“ positiv zu beurteilen sei. Die Merkmalgruppen 3 (Wohnung) und 5 (Wohnumfeld) seien neutral zu bewerten. Die Merkmalgruppe 4 (Gebäude) sei positiv zu beurteilen, denn das wohnwerterhöhende Merkmal „Personenaufzug bei weniger als 5 Obergeschossen“ sei vorliegend erfüllt. Das Merkmal liege vor, auch wenn der Aufzug nach dem Erdgeschoss erstmals auf dem Podest zwischen dem 1. und 2. Obergeschoss halte. Es komme auf eine objektive und nicht eine wohnungsbezogene Betrachtung an, zumal es in der Merkmalgruppe 4 um die „Ausstattung des Gebäudes“ gehe.
Der BGH bestätigte das Urteil des Landgerichts. Das Landgericht habe das ihm zur Ermittlung der Einzelvergleichsmiete innerhalb der durch den Mietspiegel vorgegebenen Spanne gemäß § 287 Abs. 2, 1 Satz 2 ZPO eröffnete Schätzungsermessen im Streitfall rechtsfehlerfrei ausgeübt.
Eine unveränderte Übernahme des Bewertungssystems der „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“ ermögliche im Interesse beider Parteien eine rasche Entscheidung und vermeide die Entstehung von Gutachterkosten, die im Falle eines Teilunterliegens den Erhöhungsbetrag sogar erheblich schmälern oder gar aufzehren könnten.
Das Landgericht sei im Rahmen der Ausübung seines Schätzungsermessens aufgrund der Konzeption der von ihm berechtigterweise herangezogenen „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“ gehalten gewesen, alle im Streitfall nach dem wechselseitigen Parteivortrag in Betracht kommenden Merkmalgruppen des Berliner Mietspiegels 2019 in den Blick zu nehmen. Da es nach den Erläuterungen der „Orientierungshilfe“ für jede Merkmalgruppe und für die dort vorgesehenen Zu- beziehungsweise Abschläge von 20 % lediglich darauf ankomme, ob die wohnwerterhöhenden oder die wohnwertmindernden Merkmale überwögen, treffe es nicht zu, dass der Tatrichter nur dann eine 20-prozentige Erhöhung des Mittelwerts einer Mietpreisspanne als berechtigt ansehen dürfe, wenn alle in der jeweiligen Merkmalgruppe genannten wohnwerterhöhenden Merkmale für die in Rede stehende Wohnung im zu beurteilenden Fall zuträfen.
Auch wenn die als Empfehlung der Mietspiegelverfasser gedachte „Orientierungshilfe“ den Tatrichter nicht wie ein Gesetz binde, bedeute dies, dass nach ihrer Konzeption ein 20-prozentiger Zuschlag beziehungsweise Abschlag auf den Mittelwert grundsätzlich bereits dann erfolgen dürfe, wenn nur ein wohnwerterhöhendes beziehungsweise wohnwertminderndes Merkmal vorliege, sofern in der Gegenrubrik kein Merkmal (wohnwertmindernd beziehungsweise wohnwerterhöhend) erfüllt sei.
So reiche es aus, wenn das Gericht in der Merkmalgruppe 2 (Küche) einzig den in der Wohnung des Mieters verlegten Bodenbelag Terrazzo herangezogen habe, um von einem Überwiegen der wohnwerterhöhenden Merkmale auszugehen, da ein wohnwertminderndes Merkmal in der Gegenrubrik dieser Merkmalgruppe nicht vorliege. Gleiches gelte, soweit das Gericht in der Merkmalgruppe 4 (Gebäude) den vorhandenen „Personenaufzug bei weniger als 5 Obergeschossen“ als für eine positive Bewertung dieser Merkmalgruppe ausreichendes Kriterium angesehen habe. Dass der vom Landgericht gesehene Umstand, wonach der Aufzug nicht auf den Geschossebenen, sondern dazwischen halte, dieses nicht zu einem Abzug von dem 20-prozentigen Zuschlag bewogen habe, liege innerhalb des ihm eingeräumten Schätzungsermessens.
27.09.2022