Vom Berliner Bündnis über den Streit zum Mietspiegel bis hin zur Neuen Wohngemeinnützigkeit: 2022 war wohnungs- und mietenpolitisch einiges los. Ein Jahresrückblick auf die wichtigsten Themen und Ereignisse.
Das Jahr 2022 war kein leichtes. Der Krieg in der Ukraine, die explodierenden Energiekosten, die starke Verteuerung des täglichen Lebens kommen zur weiterhin angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt hinzu und lassen viele von uns mit Sorge in die Zukunft blicken. Doch es gab auch positive Entwicklungen. Wir werfen einen Blick zurück auf die Themen, die uns im BMV besonders beschäftigt haben.
Das ganze Jahr über: Stadtpolitisch aktiv
Die Jahresrevue zeigt uns eine durchwachsene Wohnungspolitik. Es gab und gibt viele Herausforderungen, aber auch Grund zur Freude. Einen großen Anteil an den positiven Entwicklungen haben all jene stadtpolitisch Aktiven, die das ganze Jahr über unermüdlich für die Rechte von Mieter:innen im Einsatz waren und Einfluss auf die Wohnungspolitik und -wirtschaft genommen haben. Dazu zählen auch all unsere Mitarbeiter:innen in den Beratungszentren, unsere Rechtsberater:innen und Vertragsanwält:innen. Bundesweit gab es zudem zahlreiche Aktionen im ganzen Land, besonders im Herbst – darunter zum Beispiel der Aktionstag der Mietenstopp-Kampagne am 8. Oktober. Dafür sagen wir allen von Herzen: DANKE!
Januar bis Juni: Das Ringen um das Berliner Bündnis
Der Berliner Senat startete mit einem großen Ziel ins neue Jahr: Bis Juni 2022 sollte ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen stehen. Dem Vorbild des Hamburger Bündnisses folgend wollte die Politik gemeinsam mit Akteur:innen der Immobilienwirtschaft und Mieter:innen die Weichen für kooperative Lösungswege zur Bewältigung der Wohnungskrise stellen. Der BMV äußerte Bedenken, eine – von der Immobilienwirtschaft geforderte – Kopie des Hamburger Modells 1:1 auf Berlin zu übertragen, da sich die Wohnungsmarktsituation seitdem stark verändert hat: „Die Anforderungen zur Bewältigung der Klimakrise überlagern das komplette Baugeschehen, beim Neubau wie bei der Verbesserung der bestehenden Gebäude. Fachkräftemangel, Materialknappheit, Baupreisexplosion und davongaloppierende Grundstücks- und Immobilienpreise sind zentrale Hindernisse. Der einseitig auf Neubau fixierte Blick auf die Hamburger Wohnungspolitik hilft uns hier in Berlin schon wegen der schwierigeren sozialen Situation nicht weiter“, erklärte unser zu dieser Zeit noch amtierender Geschäftsführer Reiner Wild.
Wir haben uns trotzdem auf die Verhandlungen eingelassen und arbeiteten in Arbeitsgruppen mit – wie die anderen Teilnehmer:innen .Über Monate wurden kontroverse Diskussionen geführt. Am Ende mussten wir feststellen, dass die Vereinbarungen aus Sicht der Mieter:innen nicht für eine Unterzeichnung des Bündnisses reichten – an zu vielen Stellen bleibt die Bündnisvereinbarung hinter der Koalitionsvereinbarung zurück. Es fehlten verbindliche Aussagen zum besseren Mieter:innenschutz, wie zum Beispiel ein Mietenstopp, und für mehr preisgünstigen Neubau. Daher haben wir das Bündnis im Juni nicht unterschrieben.
Februar: Der russische Angriff auf die Ukraine und der Beginn der Energiekrise
Am 24. Februar begann der zutiefst erschütternde russische Krieg gegen die Ukraine – mit verheerenden und bis heute anhaltenden weltweiten Folgen. Die Berliner:innen haben mit einer Welle der Hilfsbereitschaft reagiert: Über Wochen und Monate nahmen Ehrenamtliche am Berliner Hauptbahnhof geflüchtete Ukrainer:innen in Empfang, vermittelten Unterkünfte, räumten in der eigenen Wohnung Zimmer frei.
Der Krieg gilt auch als Auslöser der aktuellen Energiekrise. Die infolge der Sanktionen eingestellten russischen Gaslieferungen über die Pipelines nach Europa führten zu einer andauernden Versorgungsunsicherheit und zu massiven Preissteigerungen auf den Energiemärkten. Die hohen Heiz-, Warmwasser- und Stromkosten werden Mieter:innen voraussichtlich noch in den kommenden Jahren stark be- und nicht selten überlasten. In unseren Newsletterausgaben legten wir deshalb in diesem Jahr bei den Servicebeiträgen einen verstärkten Fokus auf die Entlastungspakete der Bundesregierung und zeigten Möglichkeiten der finanziellen Abfederung auf, zum Beispiel über die neue Wohngeldreform.
Das Jahr bis Oktober: Erneuter Streit um den Berliner Mietspiegel
Der Berliner Mietspiegel wird immer wieder angegriffen. Dieses Jahr beschäftigte ein Rechtsstreit des Regensburger Instituts EMA das Kammergericht Berlin. Das Forschungsinstitut focht das EU-weite Ausschreibungsverfahren der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen für den neuen Mietspiegel 2023 mit der Behauptung an, die Ausschreibungskriterien würden die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels nicht ermöglichen. Wir sehen dahinter vor allem den Versuch, den Regressionsmietspiegel gegen den Tabellenmietspiegel auszuspielen. Im Oktober entschied das Kammergericht zu Gunsten der Senatsverwaltung.
Das grundlegende Problem bezieht sich jedoch auf den Mietspiegel allgemein und rückt eine darüber liegende Forderung in den Blick: Bei der ortsüblichen Vergleichsmiete, auf die sich Mietspiegel beziehen, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Außerdem bieten die Erstellungsmethoden des Mietspiegels viel Raum für Auslegungen. „Ein Mietpreisdeckel mit klar definierten Obergrenzen wäre deutlich weniger streitanfällig“, ist sich unsere Geschäftsführerin Wibke Werner sicher. „Vielleicht muss das System der ortsüblichen Vergleichsmiete in Zukunft insgesamt hinterfragt und gegebenenfalls nach neuen Methoden gesucht werden, um der Funktion gerecht zu werden, die Mietspiegel eigentlich haben sollten: die eines Befriedungsinstruments.“
August und September: „Bye, bye!“ und „Herzlich willkommen!“ im BMV
Auch vereinsintern bringt das Jahr 2022 große Veränderungen. Reiner Wild, seit 2009 unser Geschäftsführer, verabschiedet sich Ende August nach insgesamt über 40 Jahren im BMV in den Ruhestand. Ihm folgt ein neues Dreier-Team: Seit September führen die beiden bisher stellvertretenden Geschäftsführer:innen Wibke Werner und Sebastian Bartels die Geschäfte des Mietervereins gemeinsam mit der Sozialwissenschaftlerin und Mietenaktivistin Dr. Ulrike Hamann. Sie bringen unterschiedliche Schwerpunkte ein und stellen sicher, dass sich die Berliner Mieter:innen auf ihre starke politische und juristische Interessenvertretung verlassen können.
Oktober: Mehr sozialer Schutz bei den Landeswohnungsunternehmen!
Die Nachverhandlungen der Kooperationsvereinbarung (KoopV) des Landes Berlin mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen sind für uns ein zentrales Anliegen, denn die soziale Ausrichtung der Berliner Wohnungspolitik entscheidet sich auch am Umgang des Landes mit seinen eigenen Beständen. Diese sind nur dann Garanten für die soziale Wohnraumversorgung, wenn ihnen soziale Vorgaben gemacht werden. Die Senatsstellen Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen sowie Soziales und Finanzen haben die Verbände, Gewerkschaften und Mieter:innenorganisationen weder in die Verhandlungen mit einbezogen noch darüber informiert. Mit einem Bündnis aus Mieter:inneninitiativen, Mieter:innenvereinen, Sozialverbänden, Antidiskriminierungsexpert:innen und Gewerkschaften richteten wir deshalb im Oktober unsere Forderungen in einem offenen Brief an die Senator:innen Andreas Geisel (SenSBW; SPD), Katja Kipping (SenIAS; Die Linke) und Daniel Wesener (SenFin; Bü90/Grüne). Das Ziel: spürbare Verbesserungen in der sozialen Wohnraumversorgung. Knapp zwei Tage nach Veröffentlichung des Briefes kam dann die gute Nachricht: bei den Landeswohnungsunternehmen wird ab 1. November 2022 bis 31. Dezember 2023 die Nettokaltmiete nicht erhöht. Außerdem sollen keine Kündigungen bei Verzug der Zahlung der Energiekosten ausgesprochen werden. Weitere Forderungen, wie die Ausweitung der WBS-Quoten, bleiben bisher unerfüllt. Unsere Geschäftsführerin Ulrike mahnte gleich nach dem Beschluss am 6. Dezember 2022 die privaten Vermieter:innen: „Jetzt ist die private Wohnungswirtschaft gefragt, ebenso die Mieten einzufrieren. Verantwortliche Wohnungsunternehmen haben einen Mietenstopp längst freiwillig erklärt.“
November: Neue Wohngemeinnützigkeit und mehr Rechte für Mieterbeiräte
Die neue Bundesregierung ist mit dem Versprechen an den Start gegangen, für mehr leistbaren Wohnraum zu sorgen. Dazu will insbesondere Bauministerin Klara Geywitz (SPD) ein bereits bekanntes Konzept nutzen und die Neue Wohngemeinnützigkeit einführen. Wir begrüßen dieses Vorhaben sehr! Im November legte unser Dachverband, der Deutsche Mieterbund, ein Konzept zur Ausgestaltung vor: „Mit dem Konzept hat die Regierung nun einen Fahrplan, mit dem die Umsetzung zügig erfolgen kann und muss“, sagt unser Geschäftsführer Sebastian Bartels. Berlin könnte damit zentrale Probleme auf dem extrem angespannten Wohnungsmarkt auf einen Schlag angehen: den schmerzhaften Verlust von Sozialbindungen, den Mangel an leistbaren Wohnungen, die fehlende Mitbestimmung von Mieter:innen und die zu geringe Zahl an neuen Sozialwohnungen.
Grund zur Freude ist im November auch die gemeinsame Erklärung von SPD, Grünen und Linken, die sich im Abgeordnetenhaus auf eine gesetzliche Verankerung von Mieterbeiräten in den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verständigt haben. Eine entsprechende Änderung des Wohnraumversorgungsgesetzes ist geplant. Mieterbeiräte leisten einen sehr wichtigen Beitrag zur Gestaltung der Kieze, und verlangen schon seit Langem eine Aufnahme in das Gesetz und die Demokratisierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Mit der lang umkämpften Gesetzesnovelle werden ihre Rechte abgesichert.
Dezember: Vergesellschaftung ist machbar
Zum Jahresabschluss beschert die Expert:innenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ und den mehr als eine Million Berliner:innen, die dafür gestimmt haben, eine Überraschung: Über die Frage, ob Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz für Berlin als Land möglich ist, herrscht weitgehende Einigkeit. Auch die Entschädigungssumme muss nicht die Spekulationsgewinne mit einbeziehen, sondern sollte sich an den Mieterträgen ausrichten. Der Bericht ist zwar zu Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht, doch der bis jetzt bekannt gewordene Entwurf lässt hoffen, dass der Volksentscheid nun zumindest aus Sicht der Expert:innen umsetzbar ist. Eine im Februar neu zu wählende Regierung hat damit bereits eine klare Aufgabe.
Vera Colditz und Ulrike Hamann
14.12.2022