Leitsätze:
1. Ein DDR-Formularmietvertrag mit der Regelung „das Mietverhältnis endet durch: a) Vereinbarung der Vertragspartner, b) Kündigung durch den Mieter, c) gerichtliche Aufhebung“, ist nur dann wegen Eigenbedarfs des Vermieters kündbar, wenn dieser nach dem allgemeinen Gesetzesverständnis des § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR „dringend“ ist. Die Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB kann insoweit dahinstehen.
2. § 544 Satz 1 BGB ist jedenfalls nicht auf für unbestimmte Zeit geschlossene Wohnraummietverträge anwendbar, wenn das Recht zur Kündigung für den Vermieter darin nicht vollständig ausgeschlossen, sondern lediglich hinsichtlich einzelner Kündigungsgründe beschränkt ist.
LG Berlin vom 15.12.2022 – 67 S 221/22 –
Mitgeteilt von VRiLG Michael Reinke
Urteilstext
Gründe:
I.
Der klagende Vermieter begehrt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in Berlin, die derzeit allein von dem Beklagten zu 1) bewohnt wird.
In dem Mietvertrag vom 10.07.1990, der zwischen den Beklagten und dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Y geschlossen wurde, heißt es in Ziffer IX.: „Das Mietverhältnis endet durch: a) Vereinbarung der Vertragspartner, b) Kündigung durch den Mieter, c) gerichtliche Aufhebung“.
Unter dem 31.07.2020 sprach der Kläger gegenüber den Beklagten eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zum 30.04.2021 aus, die er im Wesentlichen damit begründete, dass er seine Lebenshaltungskosten reduzieren und zu diesem Zweck in seine Wohnung einziehen wolle. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 05.04.2022 sprach der Kläger erneut eine Kündigung wegen Eigenbedarfs aus und führte zur Begründung an, dass er auch unabhängig von seinen finanziellen Rahmenbedingungen nicht mehr zur Miete wohnen wolle, sondern in der in seinem Eigentum stehenden Wohnung.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagten zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, Ziffer IX. des Mietvertrages stünde der Kündigung durch den Kläger nicht entgegen. Der von dem Kläger geltend gemachte Eigenbedarf stünde zur Überzeugung des Gerichts fest. Schließlich liege auch keine besondere Härte i.S.v. § 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB vor, da sich die Wohnungssuche des Beklagten zu 1) nicht auf alle Stadtbezirke erstreckt habe. Der Ausdruck standardisierter Auskünfte über seine angeblichen Wohnungsbewerbungen sei nur wenig aussagekräftig und könne nicht überprüft werden. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird aus das amtsgerichtliche Urteil (Bl. I/166-178 d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagten haben gegen das ihnen am 22.08.2022 zugestellte Urteil am 19.09.2022 Berufung eingelegt, die sie mit bei Gericht am 20.10.2022 eingegangenem Schriftsatz begründet haben.
Die Berufung rügt, das Amtsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass Ziffer IX. des Mietvertrags der Kündigung nicht entgegenstehe. Art. 232 § 2 EGBGB führe nicht dazu, dass rechtsgeschäftliche Vereinbarungen der Parteien keine Wirkung mehr hätten. Vielmehr stelle eine Abrede wie in Ziffer IX. des Mietvertrags einen Ausschluss der Kündigung durch die Vermieterseite dar, die selbst unter Geltung des BGB wirksam vereinbart werden könne. Zudem sei die Kündigung auch deshalb unwirksam, weil der in der ursprünglichen Kündigungserklärung angegebene Grund nachweislich nicht vorgelegen habe. Schließlich habe das Amtsgericht bei der Prüfung des § 574 BGB nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, dass sich der Beklagte zu 1) sehr intensiv um Ersatzwohnraum bemüht habe, diese Bemühungen jedoch ohne Erfolg geblieben seien.
Die Beklagten beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Mitte vom 19. August 2022 zum Aktenzeichen 12 C 32/21 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Der Kläger ist der Auffassung, dass jedenfalls gemäß § 544 BGB auch bei einer vertraglichen Kündigungsbeschränkung die Möglichkeit bestehe, nach Ablauf von 30 Jahren nach der Überlassung der Mietsache das Mietverhältnis außerordentlich mit der gesetzlichen Frist zu kündigen. Dies gelte auch dann, wenn die Kündigungsbeschränkung nur für eine Partei vereinbart sei.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten der erstinstanzliche zuerkannte Räumungs- und Herausgabeanspruch aus §§ 985, 546 Abs. 1 BGB nicht zu. Das Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung besteht ungekündigt fort.
1. Die Eigenbedarfskündigungen des Klägers vom 31.07.2020 sowie 05.04.2022 haben das Mietverhältnis nicht beendet.
Einer abschließenden Entscheidung der Kammer, ob der von dem Kläger behauptete Eigenbedarf gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB überhaupt besteht, bedarf es insoweit nicht. Denn die streitgegenständlichen Kündigungen rechtfertigen schon wegen der in Ziffer IX. des Mietvertrags enthaltenen Regelung nicht die Kündigung des Mietverhältnisses.
Bei der Regelung in Ziffer IX. des Mietvertrags handelt es sich zwar nicht um eine vertragliche Regelung, nach der die Geltendmachung von Eigenbedarf durch den Vermieter vollständig ausgeschlossen wird. Allerdings wird die Geltendmachung von Eigenbedarf durch die konkludente Inbezugnahme der §§ 120 ff. ZGB-DDR („Das Mietverhältnis endet durch: … c) gerichtliche Aufhebung“) unter die durch § 122 Abs. 1 ZGB-DDR angeordnete weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für die Eigenbedarfskündigung gestellt, dass die Wohnung vom Vermieter „dringend“ benötigt wird. Es handelt sich um eine den Kläger gemäß § 566 Abs. 1 BGB bindende Klausel, die in ihrer Wirkung der einer gesetzesverstärkenden Bestandsschutzklausel entspricht (vgl. zu Letzterer BGH, Urt. v. 16. Oktober 2013 – VIII ZR 57/13, NJW-RR 2014, 78, juris Tz. 15 m.w.N.; Kammer, Urt. v. 22. August 2019 – 67 S 51/19, WuM 2019, 581, beck-online Tz. 21 m.w.N.; Beschl. v. 2. November 2021 – 67 S 237/21, ZMR 2022, 125, juris Tz. 3 juris; LG Berlin, Urt. v. 28. Juli 2015 – 63 S 86/14, GE 2015, 1405, juris Tz. 17). Deren Voraussetzungen sind hier allerdings nicht erfüllt:
Gemäß Art. 232 § 2 EGBGB in seiner seit dem 01.05.2004 geltenden Fassung richten sich Mietverhältnisse aufgrund von Verträgen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschlossen worden sind, von diesem Zeitpunkt an nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Welche Rechtsfolgen sich hieraus für die vorliegende Fallgestaltung ergeben, ist umstritten.
Einerseits wird vertreten, Art. 232 § 2 EGBGB knüpfe an die bestehenden und unter der Geltung des Zivilgesetzbuchs der DDR geschlossenen Mietverträge an und stelle sie den unter der Geltung des BGB geschlossenen Verträgen gleich. In der Folge sollen vertragliche Regelungen, die unter der Geltung des ZGB-DDR wirksam vereinbart wurden, den Vorschriften des BGB vorgehen, soweit sie nicht gegen zwingendes (Miet-)Recht verstoßen (vgl. KG, Rechtsentscheid in Mietsachen v. 22. Januar 1998 – 8 RE-Miet 6765/97, juris Tz. 30; OLG Naumburg, Beschl. v. 7. Mai 2007 – 9 U 52/07, BeckRS 2008, 2899, Tz. 10).
Andererseits wird angenommen, dass für die Beendigung von vor dem 03.10.1990 abgeschlossenen Mietverträgen allein das Mietrecht des BGB maßgeblich sei. Dies gelte selbst dann, wenn die Vertragspartner bei Vertragsschluss einen Formularmietvertrag verwendet hätten, bei dem die in den §§ 120 ff. ZGB-DDR vorgesehenen Möglichkeiten zur Vertragsbeendigung in den Vertragstext übernommen worden seien (vgl. KG, Urt. v. 27. Januar 2003 – 8 U 216/01, juris Tz. 17).
Zutreffend ist die erstgenannte Auffassung. Art. 232 § 2 EGBGB steht der Fortgeltung einer unter Geltung des ZGB-DDR getroffenen vertraglichen Regelung über die Beendigung des Mietverhältnisses nicht entgegen, sofern diese Regelung nicht gegen zwingendes Recht – entweder bereits im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung gegen geltendes Recht nach ZGB-DDR oder nach dem 03.10.1990 gegen zwingende Vorschriften des BGB – verstößt. Diese Wertung entspricht der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH zu in Altverträgen geregelten Kündigungsfristen und ihrem Verhältnis zu § 573c BGB (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 6. April 2005 – VIII ZR 155/04, NJW 2005, 1572, juris Tz. 16 ff.; BGH, Urt. v. 7. Februar 2007 – VIII ZR 145/06, NZM 2007, 327, beck-online Tz. 10 ff.; Häublein, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2023, § 573c Rn. 18-21 m.w.N.). Diese lässt sich jedenfalls im Ergebnis auf den hier zu beurteilenden Klauseltypus übertragen. Denn es ist nicht gerechtfertigt, vertragliche Vereinbarungen zu Kündigungsfristen in Altverträgen über Art. 229 § 3 Abs. 10 EGBGB weiterhin Geltung beanspruchen zu lassen, mietvertraglichen Vereinbarungen zu den Voraussetzungen einer Vertragsbeendigung gemäß Art. 232 § 2 EGBGB hingegen die Wirksamkeit zu versagen. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob, gegebenenfalls in welchem Umfang unter Geltung des ZGB-DDR wirksam vereinbarte Vertragsklauseln auch unter Geltung des BGB weiterhin Anwendung finden können.
Einer Übertragung der zur Frage der Fortgeltung vertraglicher Regelungen zu Kündigungsfristen ergangenen Rechtsprechung auf die vorliegende Konstellation steht es auch nicht entgegen, dass nach dem Regelungsregime des ZGB-DDR eine vermieterseitige Kündigung nicht ausdrücklich vorgesehen war. Denn jedenfalls im Ergebnis war auch nach dem ZGB-DDR die Beendigung eines Mietverhältnisses gegen den Willen des Mieters gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 ZGB-DDR durch das Gericht auf Verlangen des Vermieters möglich. Als möglicher Grund für die Aufhebung eines Mietverhältnisses war nach § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR der Eigenbedarf des Vermieters anerkannt. Auch wenn sich die jeweiligen Verfahren zur Vertragsbeendigung unterscheiden – Kündigung unmittelbar durch den Vermieter und gegebenenfalls gerichtliche Überprüfung dieser Kündigung einerseits und gerichtliche Aufhebung nach entsprechendem Verlangen des Vermieters andererseits -, ändert das nichts daran, dass nach der Regelung in Ziffer IX. des Mietvertrags eine Beendigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs des Vermieters nur möglich sein sollte, wenn der Vermieter die Wohnung „dringend“ benötigt.
Bei Ziffer IX. des Mietvertrags handelt es sich auch um eine vertragliche Vereinbarung, die Vorrang vor den Vorschriften des BGB und hier insbesondere vor § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB hat. Dabei kann dahinstehen, ob die in der DDR staatlicherseits – und hier von dem jeweiligen VEB – verwandten Formulare alle identisch gewesen sind und lediglich die Gesetzeslage wiedergegeben haben. Denn die wörtliche oder sinngemäße Wiederholung von gesetzlich verbindlich geregelten Rechten und Pflichten in Formularverträgen in der DDR hatte sowohl eine rechtserläuternde als auch eine vertragsgestaltende Funktion. Es handelte sich demnach auch nach dem Recht der DDR bei der im Ziffer IX. des Mietvertrags genannten Regelung zur Beendigung des Mietverhältnisses – auch wenn sie insofern sinngemäß dem Gesetzesinhalt der §§ 120 ff. ZGB-DDR entsprach – um eine eigenständige und wirksame Vereinbarung. Die Qualität einer vertraglichen Vereinbarung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Vertragsfreiheit durch die Verwendung der „empfohlenen“ Mustermietverträge beim Vertragsabschluss mit Betrieben der kommunalen Wohnungsverwaltungen oder den Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften stark eingeschränkt war (vgl. KG, Rechtsentscheid in Mietsachen v. 22. Januar 1998 – 8 RE-Miet 6765/97, juris Tz. 35 f.).
Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine ergänzende Auslegung des Mietvertrags dahingehend aus, dass wegen der Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach Abschluss des Mietvertrags auch die hier streitgegenständliche Klausel ihre Wirksamkeit verlieren und sich die Durchführung und Beendigung des Mietverhältnisses nunmehr ausschließlich nach den Vorschriften des BGB richten sollte. Es fehlt hier schon an der für eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlichen Voraussetzung, dass der (Miet-)Vertrag keine für die gesamte Vertragslaufzeit maßgebliche Regelung zur Beendigung des Mietverhältnisses beinhalten würde (vgl. zum Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung BGH, Beschl. v. 22. Februar 2022 – VIII ZR 38/20, NZM 2022, 608, beck-online Tz. 19 m.w.N.). Der Mietvertrag regelt jedoch in Ziffer IX. ausdrücklich und für die gesamte Vertragslaufzeit die Möglichkeiten zur Beendigung des Mietverhältnisses.
Schließlich stehen der fortdauernden Geltung und Anwendung von Ziffer IX. des Mietvertrages auch nicht die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB entgegen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 22. Dezember 2004 – BGH VIII ZR 41/04, NZM 2005, 144, juris Tz. 16 ff.). Es erscheint schon als äußerst zweifelhaft, dass angesichts der sich zu diesem Zeitpunkt immer weiter wandelnden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse von den Vertragsparteien bei einem Vertragsschluss im Juli 1990 überhaupt noch davon ausgegangen werden konnte, dass es auch zukünftig und für die gesamte Vertragslaufzeit bei den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorherrschenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen bleiben würde. Jedenfalls aber scheitert die Anwendbarkeit von § 313 Abs. 1 BGB daran, dass es für den Kläger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, nicht unzumutbar ist, an dem unveränderten Vertrag festzuhalten. Diese Voraussetzungen wären allenfalls bei einem vollständigen Kündigungsausschluss zu Lasten des Vermieters erfüllt. Hier aber hat der Kläger lediglich die Nachteile einer teilweisen Kündigungsbeschränkung zu tragen.
Wegen des im Ergebnis eindeutigen Auslegungsergebnisses bedarf es keiner abschließenden Entscheidung der Kammer, ob es sich bei der Regelung in Ziffer IX. des Mietvertrags um eine vom Rechtsvorgänger des Klägers gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.v. §§ 305 ff. BGB handelt, die jedenfalls im Lichte der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB dahingehend auszulegen ist, dass lediglich ein besondere „Dringlichkeit“ des vermieterseitigen Erlangungsinteresses den Ausspruch einer Eigenbedarfskündigung rechtfertigt.
Ausgehend davon sind Maßstab für die Eigenbedarfskündigungen des Klägers die §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. der in Ziffer IX des Mietvertrags getroffenen Regelung. Die Beendigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs des Klägers steht damit unter der verschärften Kündigungsvoraussetzung, dass der Kläger die Wohnung – aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen – „dringend“ benötigt. An dieser Dringlichkeit fehlt es.
Zur Bestimmung, was die Vertragsparteien bei Abschluss des Mietvertrages als „dringendes“ Benötigen angesehen haben, ist das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorherrschende allgemeine Gesetzesverständnis des in Ziffer IX. des Mietvertrags konkludent in Bezug genommenen § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR maßgebend. Als „dringend“ nach dieser Vorschrift wurde der Eigenbedarf vor allem dann angesehen, wenn die derzeitigen Wohnverhältnisse des Vermieters den „gesellschaftlich anerkannten Wohnansprüchen nicht genügen, insbesondere in ihrer Größe unzureichend sind, und wenn diese Bedürfnisse durch Inanspruchnahme der Wohnung des Mieters oder einzelner Räume davon befriedigt werden können“ (vgl. Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975, 1. Aufl. 1983, § 122 ZGB Ziffer 1.1).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da der allein lebende Kläger zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs und auch noch heute eine 3-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 70,30 qm innehält und weder vorgetragen noch – insbesondere angesichts des Umstands, dass der Kläger seine Wohnung von einer Bundesanstalt angemietet hat – ersichtlich ist, dass der Bestand dieses Mietverhältnisses gefährdet wäre.
Auch im Übrigen sind berechtigte Interessen des Klägers, wegen derer er die Wohnung dringend benötigt und die eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machten, durch den geltend gemachten Eigenbedarf nicht berührt. Der Kläger macht geltend, in die streitgegenständliche Wohnung einziehen zu wollen, da diese im Vergleich zu der derzeit von ihm bewohnten Mietwohnung wesentlich komfortabler sei, über zwei Balkone sowie einen Aufzug verfüge und das Wohnumfeld deutlich grüner und ruhiger sei. Zudem leide er aufgrund einer psychischen Erkrankung unter Zukunfts- und Existenzängsten und wolle durch das Wohnen in seiner eigenen Wohnung die Sicherheit erlangen, in Zukunft keine Miete mehr zahlen zu müssen.
Die dargelegten Belange sind zwar grundsätzlich geeignet, einen berechtigten Eigenbedarf des Klägers zu begründen. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem der Kläger als Vermieter die Wohnung dringend benötigt und die Interessen der Beklagten zurückstehen müssten, liegt jedoch nicht vor. Die Hoffnung des Klägers, dass sich seine psychische Verfassung durch ein Bewohnen der eigenen Wohnung verbessern und seine Existenzängste auf diese Weise vermindern könnten, ist zwar nicht unplausibel und auch – gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB – grundsätzlich schützenswert. Allerdings ist allein das subjektive Empfinden des Klägers, seine psychische Situation könne sich durch das Bewohnen der in seinem Eigentum stehenden Wohnung verbessern, nicht geeignet, den Umzug in die streitgegenständliche Wohnung als „dringend“ oder „notwendig“ erscheinen zu lassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn und solange nicht stichhaltige medizinische Befunde vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger im Falle des unterbleibenden Einzugs in die streitgegenständliche Wohnung nachteilige gesundheitliche Auswirkungen zu gegenwärtigen hätte und oder bei Einzug in die von den Beklagten innegehalte Wohnung eine deutliche Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation zu erwarten wäre.
Gleiches gilt im Ergebnis für die weitere Begründung des Klägers, in einer Wohnung mit Aufzug wohnen zu wollen. Es kann dahinstehen, ob dieser Gesichtspunkt geeignet wäre, die Annahme einer besonderen Dringlichkeit zu rechtfertigen, sofern der Kläger die derzeit von ihm bewohnte und nicht über einen Aufzug verfügende Wohnung aufgrund von körperlichen oder sonstigen Beeinträchtigungen nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen betreten und verlassen könnte. Entsprechende Beeinträchtigungen sind weder dargetan noch sonstwie ersichtlich. Die vom Kläger weiterhin ins Feld geführten wirtschaftlichen Erwägungen sind bereits grundsätzlich, erst recht aber in der hier gegebenen Lage, nicht geeignet, einen besondere Dringlichkeit des von ihm behaupteten Eigenbedarfs zu begründen. Denn das Erlangungsinteresse des Klägers ist dadurch gekennzeichnet, dass der von ihm für den Fall der Vertragsbeendigung behaupteten eigenen Mietersparnis der Wegfall von Mieteinnahmen aus dem streitgegenständlichen Mietverhältnis entgegenstünde. Damit ist das von ihm verfolgte wirtschaftliche Interesse allenfalls gewöhnlich, nicht aber dringend ausgeprägt (vgl. Kammer, Beschl. v. 23.3.2021 – 67 S 11/21, WuM 2021, 457, beck-online Tz. 11).
2. Das streitgegenständliche Mietverhältnis hat auch nicht nach § 544 BGB seine Beendigung gefunden.
Gemäß § 544 Satz 1 BGB kann, wenn ein Mietvertrag für eine längere Zeit als 30 Jahre geschlossen wird, jede Vertragspartei nach Ablauf von 30 Jahren nach Überlassung der Mietsache das Mietverhältnis außerordentlich mit der gesetzlichen Frist kündigen.
Auch wenn die Reichweite des § 544 BGB höchstrichterlich noch nicht vollständig geklärt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 8.5.2018 – VIII ZR 200/17, NJW-RR 2018, 843, beck-online Tz. 16), ist der Anwendungsbereich der Norm hier nicht eröffnet. Zwar kann auch ein Mietvertrag, der – wie hier – auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde, in den Anwendungsbereich von § 544 BGB fallen (vgl. Bieber, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2023, § 544 Rn. 5 m.w.N.). Dies gilt jedoch nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 544 BGB, bei dem es sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, nur in Fällen des vollständigen Ausschlusses des Rechts zur Kündigung für eine Partei (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 6. Juni 2019 – 7 S 2165/19, WuM 2019, 623, 624 m.w.N., juris). Denn Telos des § 544 BGB ist es, eine „Erbmiete“ zu verhindern, also eine eigentümerähnliche dingliche Stellung des Mieters, die das Mietobjekt letztlich dem Rechtsverkehr entzieht (vgl. Lammel, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2021, § 544 BGB Rn. 1 m.w.N.).
Die Gefahr, dass die hier streitgegenständliche Mietsache dem Rechtsverkehr vollständig entzogen wird, besteht nicht, da das Recht zur Kündigung für den Kläger aus den vorstehenden Gründen nicht vollständig ausgeschlossen, sondern lediglich hinsichtlich einzelner Kündigungsgründe beschränkt und erschwert worden ist.
3. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob sich der Beklagte zu 1) zu Recht auf den Härteeinwand des §§ 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB berufen hat, wonach der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses auch dann verlangen kann, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
4. Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 7, 711 ZPO.
5. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Auswirkungen vertraglicher Kündigungsregelungen auf die heutige Befugnis des Vermieters zur Kündigung eines auf einem DDR-Altmietvertrag beruhenden Wohnraummietverhältnisses sowie eine Klärung der tatbestandlichen Reichweite des § 544 Satz 1 BGB zu ermöglichen.
25.04.2023