Unser Juni-Newsletter kam direkt vom 70. Deutschen Mietertag aus Bremen. Der Mietertag ist das größte Gremium im Deutschen Mieterbund (DMB) und bestimmt über die wohnungspolitische Ausrichtung unseres Dachverbands. Vom Kampf gegen Mietwucher bis hin zu einem öffentlichen Immobilienregister – das sind die wichtigsten Beschlüsse.
333 Delegierte aus 15 Landesverbänden, ein Leitantrag aus dem DMB-Präsidium, 97 Beschlussanträge aus den Landesverbänden und zwei Tage Zeit, um über diese abzustimmen – willkommen beim 70. Deutschen Mietertag! Alle zwei Jahre tagt das Gremium in unterschiedlichen Städten und legt die wohnungspolitische Ausrichtung unseres Dachverbandes DMB fest. Der Berliner Mieterverein war mit Vorstand, Geschäftsführung und 22 Delegierten aus den 12 Berliner Bezirken dabei. Mit großer Mehrheit wurde der Leitantrag verabschiedet.
Der Deutsche Mieterbund vertritt die Interessen aller Mietenden in Deutschland, doch nicht überall ist die Wohnungsmarktsituation derart angespannt, wie in Berlin, München, Hamburg und vielen anderen Ballungsgebieten. Sowohl die verschärfte Lage der Mietenden wegen der Energiekrise als auch die sinkenden Reallöhne infolge der hohen Inflation führten nun auch im DMB zu weitergehenden Forderungen auf 14 Seiten. Hier die wichtigsten:
- Zurückdrängen kapitalmarktgetriebener Wohnungsmarktakteure: Die stark verschuldete finanzialisierte Wohnungswirtschaft gerät im Zuge von Zinserhöhungen und Aktienkursverfall massiv unter Druck. Nach vielen Jahren der Privatisierung von Gewinnen droht nun eine Sozialisierung von Verlusten. Es gilt, den Einfluss der Kapitalmarkt- oder börsennotierten Unternehmen zu begrenzen und alternative Modelle zu fördern, die auf sozialen und gemeinwohlorientierten Zielen basieren.
- Einrichtung eines Sondervermögens: Neben vielen anderen Maßnahmen fordert der DMB auch eine Offensive für Gemeinwohl-Wohnen, die als zentraler Kern ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau vorsieht. Der bundesweite Bestand an Sozialwohnungen hat sich seit 2006 fast halbiert und beträgt nur noch rund 1,1 Millionen. Zurzeit haben zwar mehr als 11 Millionen Miethaushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber nur jeder zehnte Haushalt kommt zum Zuge. Mit dem Sondervermögen könnten bis zum Ende der Legislatur etwa 380.000 Sozialwohnungen entstehen.
- Entwicklung eines dauerhaften Sozialbindungssystems: Jährlich fallen tausende Wohnungen aus den Sozialbindungen, während nur etwa 25.000 neue geförderte Wohnungen gebaut werden. Ziel ist die Überführung der Wohnungen als Sofortprogramm für den vorhandenen Bestand, um weitere Verluste der noch bestehenden Sozialbindungen einzudämmen.
- Gestaltung einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik, so wie es einige Landesverbände schon seit langem fordern. Die Voraussetzungen dafür müssen unter anderem über ein Baulücken- und Leerstandskataster geschaffen werden. Eine Forderung ist, das Vorkaufsrecht zu reaktivieren, um den noch bezahlbaren Wohnungsbestand in den (sozialen) Erhaltungsgebieten zu schützen. Für die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Kommunen soll eine strenge Preislimitierung nach dem sogenannten Ertragswertverfahren gelten. Zudem fordert der DMB, dass Grundstücke des Bundes preislimitiert und vorrangig an Kommunen abgegeben werden.
- Aussetzen der Schuldenbremse. Die ausreichende finanzielle Ausstattung der Kommunen ist sicherzustellen, auch um den strategischen Flächenankauf im Sinne der Bodenbevorratung vorantreiben zu können. Haushaltsrechtliche Einschränkungen, etwa durch eine Schuldenbremse, müssen in diesem Sinne aufgehoben werden.
Von den 97 Anträgen der Landesverbände sind die neun Folgenden aus unserer Sicht besonders spannend. Bei der Abstimmung erhielten sie alle grünes Licht.
Wohnungspolitik
Öffentlich zugängliches Immobilienregister
Wir haben einen Antrag eingebracht, mit dem sich der DMB für ein öffentlich zugängliches und bundesweites Immobilienregister stark machen soll. Dafür müssen alle rechtlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen werden, einschließlich einer Verbindung zu den dazugehörigen Daten von Eigentümer:innen und wirtschaftlich Berechtigten. Die Bundesländer müssen im Anschluss zu einer schnellen Umsetzung verpflichtet werden.
Worum geht’s? Immobilieneigentum spielt für das Gemeinwesen eine bedeutsame Rolle. Sein Gebrauch sollte dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Doch wir wissen oft kaum etwas über die Immobilieneigentümer:innen. In anderen europäischen Ländern existieren Immobilienregister schon seit langer Zeit, in Deutschland hingegen ist es sehr schwierig, an Auskünfte zu Eigentumsverhältnissen zu kommen. Das bietet viel Potenzial für die Verschleierung von Eigentumsverhältnissen und Geldwäsche. Das Transparenzregister konnte diese Lücke nicht schließen und ist im deutschen Raum nicht konsequent umgesetzt, wie beispielsweise Steuerexperte Christoph Trautvetter dokumentiert.
Ausbau der Anzahl von geförderten Wohnungen
Der Landesverband Hessen fordert vom DMB ein verstärktes Engagement für geförderte Wohnungen. Dies schließt Maßnahmen ein, den Bestand an Sozialwohnungen umgehend stark zu erhöhen und diese langfristig zu sichern.
Worum geht’s? In den vergangenen 25 Jahren sind in Hessen die Sozialbindungen für 120.000 Wohnungen ausgelaufen. Bundesweit sind laut einer Studie des Pestel Instituts Hannover seit Ende der 1980er Jahre fast drei Millionen Sozialwohnungen betroffen. Dieser Entwicklung muss die Politik dringend entgegenwirken. In Großstädten wie Berlin haben mittlerweile mehr als die Hälfte der Mieter:innen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Dieser theoretischen Berechtigung stehen jedoch nicht ausreichend Sozialwohnungen gegenüber.
Mietrecht
Indexmiete begrenzen
Der Landesverband Hessen fordert den DMB dazu auf, sich beim Bundesgesetzgeber für eine Abschaffung der Indexmiete gemäß Paragraf 557b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stark zu machen. Für bestehende Indexmietverträge verlangt er eine Begrenzung der Mietsteigerungen auf höchstens fünf Prozent pro Jahr, wobei die Obergrenze den Mittelwert des jeweiligen Mietspiegels oder der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht überschreiten darf.
Worum geht’s? Bei Indexmietverträgen wird die Miete durch den vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindex für Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland bestimmt. Die Indexmiete muss mindestens ein Jahr lang unverändert bleiben. In den vergangenen Jahren ist der Preisindex, der den Mietverträgen zugrunde liegt, nur sehr moderat angestiegen und war für viele Mieter:innen akzeptabel. Mit der deutlichen Steigerung der Lebenshaltungskosten seit dem Ausbruch des Angriffskriegs auf die Ukraine haben sich die Voraussetzungen drastisch geändert. Daher werden Indexmietverträge zu einem wachsenden Problem: Mittlerweile beinhaltet fast ein Drittel der Mietverträge bei Neuvermietungen in Deutschland eine Indexklausel. Im Berliner Mieterverein lagen uns für 2022 bei rund 70 Prozent neuer Mietverträge solche Indexregelungen vor.
Der Grund: Klimaschutz möglichst ohne Mieterhöhungen
Der Landesverband Hessen brachte zudem den Antrag ein, dass Klimaschutzmaßnahmen möglichst ohne Mieterhöhungen erfolgen sollten. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Gesetzgebung dahingend anzupassen, dass Mieterhöhungen nach einer energetischen Sanierung nur in einer Höhe ausfallen dürfen, die Mieter:innen sie durch eingesparte Energiekosten künftig kompensieren können.
Worum geht’s? Ziel des Antrags ist es, die Kosten zum Erreichen der Klimaneutralität fair aufzuteilen und eine Abwälzung auf Mieter:innen zu vermeiden. Der Landesverband Hessen wies zudem auf die Notwendigkeit hin, die Modernisierungsumlage mittelfristig abzuschaffen und stattdessen energetische Sanierungen großzügig zu bezuschussen.
Sonstige Rechtspolitik
Mietwucher bekämpfen
Der Landesverband Baden-Württemberg brachte die Forderung ein, Mietpreisüberhöhungen mit einer Novelle des Paragraf 5 im Wirtschaftsstrafgesetzbuch (WiStrG) wieder ahnden zu können. Alle Mietervereine im DMB sollen sich auf politischer Ebene für eine rasche Umsetzung der Reform einsetzen.
Worum geht’s? Zwar verbietet Paragraf 5 WiStrG bereits jetzt die Mietpreisüberhöhung. Faktisch ist das Gesetz aber weitgehend wirkungslos geworden, weil der Bundesgerichtshof sehr hohe Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der „Ausnutzung eines geringen Wohnungsangebotes“ stellt. Eine Miete gilt gesetzlich als überhöht, wenn sie die mit einem Mietspiegel ermittelte ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 20 Prozent überschreitet. In einer Auswertung von 935 juristischen Prüffällen zur Mietpreisbremse aus der Beratung in unserem Verein lag eine solche Mietüberhöhung bei mehr als der Hälfte der Fälle vor.
Milieuschutz stärken und Vorkaufsrecht reaktivieren
Wir haben einen Antrag zur Stärkung des Milieuschutzes und der Reaktivierung des Vorkaufsrechts eingebracht. Der DMB soll sich aktiv dafür einsetzen und die Bundesregierung auffordern, endlich tätig zu werden. Die Paragrafen 24, 25, 28 und 172 Baugesetzbuch müssen umgehend wieder Anwendung finden, um Mietende in den Wohnungskrisenmärkten besser schützen zu können. Die dafür notwendigen Änderungen wurden bereits auf dem Mietertag 2019 beschlossen.
Worum geht’s? Das Vorkaufsrecht war in Berlin eines der wenigen funktionierenden Instrumente, um Mietende in Milieuschutzgebieten vor Verdrängung zu schützen. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem November 2021 hat den Anwendungsbereich jedoch erheblich eingeschränkt. Kommunen und Bezirke brauchen dringend wieder Rechtssicherheit und Handlungsmöglichkeiten.
Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt verhindern – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz novellieren
Der Deutsche Mieterbund Nordrhein-Westfalen hat einen Antrag eingebracht, das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) so zu ändern, dass das Verbot der Benachteiligung bei der Wohnungsvergabe und Vermietung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung“ (§ 1 Abs. 1 AGG) wirksamer durchgesetzt werden kann. Der Antrag zielt darauf ab, Ausnahmeregelungen zu begrenzen, um die Umgehung des Gesetzes zu erschweren. Er regt zudem die Verlängerung der Frist zur Geltendmachung der Ansprüche auf Beseitigung der Benachteiligung oder Entschädigung von zwei auf mindestens drei Monate an.
Worum geht’s? Benachteiligung ist auf dem Wohnungsmarkt ein zunehmendes Problem, das sich gerade bei Wohnraumknappheit verstärkt. Zwar verbietet das AGG bereits jetzt Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, es ermöglicht aber noch immer zu viele Ausnahmen und Möglichkeiten zur Umgehung. In unserer Beratung hören wir immer wieder von diskriminierenden Erfahrungen: Beispielsweise erhalten Mietinteressenten unter dem Vorwand der sozialen Zusammensetzung einer Nachbarschaft eine Absage für die Mietwohnung.
Organisationspolitik
Unterstützung für Geflüchtete
Der Landesverband Baden-Württemberg fordert von den Mietervereinen, Geflüchtete in Wohnungsangelegenheiten aktiv zu unterstützen. Mieterorganisationen sind zivilgesellschaftliche Organisationen, die auf Solidarität aufbauen. Der Anspruch, in Not geratene Menschen zu unterstützen, ist daher ein elementarer Teil ihres Selbstverständnisses.
Worum geht’s? Geflüchtete haben oft mit spezifischen Barrieren und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt zu kämpfen, darunter Sprachbarrieren, fehlende Kenntnisse über das deutsche Mietrecht und Vorurteile seitens potenzieller Vermieter. Durch die Bereitstellung von mietrechtlichen Informationen, die Aufdeckung von Wohnungsleerständen, Schulungen für Flüchtlingsbetreuende und individuelle Unterstützung bei Wohnungsproblemen können Mietervereine dazu beitragen, die Integration und Wohnsituation von Geflüchteten zu verbessern.
Digitale Heimat für interaktive Kommunikation
Abschließend ein Antrag aus Nordrhein-Westfalen: Er fordert, der DMB solle eine gemeinsame „digitale Heimat“ schaffen, die die digitale Kommunikation und das gemeinsame Arbeiten vereinfacht. Das Ziel ist eine interaktive Plattform für alle Mietervereine und Landesverbände im DMB.
Worum geht’s? Dank digitaler Technologien lassen sich Informationen und Wissen heutzutage schnell und unkompliziert teilen und verbreiten. Gleichzeitig ist es möglich, von überall zusammenzuarbeiten. Die Möglichkeiten sind spätestens seit der Corona-Pandemie offensichtlich. Auch der DMB hat den Anspruch, hier mitzuhalten und die transparente Zusammenarbeit zwischen der Bundes-, Landes- und Vereinsebene zu ermöglichen.
Eine Zusammenfassung von Vera Colditz und Franziska Schulte
20.07.2023