Die Mieter:innen der Schönhauser Allee 69 erleben seit dem Verkauf ihres Hauses an eine Investorengemeinschaft radikale Entmietungsversuche. Als Hausgemeinschaft „Katze zeigt Kante“ bleiben sie jedoch hartnäckig und fordern von der Politik endlich angemessene Unterstützung – zum Beispiel eine Marktzugangsbeschränkung für unseriöse Investor:innen. Wir haben zwei der Mieterinnen in ihrem Zuhause besucht, das seit Jahren eine Baustelle ist.
„Wenn ich nach Hause komme, drehe ich erstmal eine Runde mit dem Wischlappen“, erzählt uns Jella, als wir bei ihr eintreten. Sie ist eine der sieben noch verbliebenen Mieter:innen, die in dem seit Jahren eingerüsteten Haus in der Schönhauser Allee 69 in Prenzlauer Berg leben. Ein Zuhause ist es trotz der katastrophalen Zustände dennoch, schließlich lebt Jella ähnlich wie die anderen Mieter:innen schon seit vielen Jahren hier. Das Dach fehlt vollends, eine Plane hält notdürftig Regen und Schnee ab, die Wände sind nass. Wasser läuft durchs ganze Haus hinunter in den Keller. Kurz vor Ostern fiel die Heizung aus, seitdem können die Mieter:innen im Vorderhaus zum Teil nicht mehr heizen. Bei einigen funktioniert zudem seit ein paar Tagen die Warmwasserversorgung nicht mehr.
Jella und ihre Mitstreiter:innen sind einiges gewohnt. Vor ziemlich genau einem Jahr musste bereits die Feuerwehr anrücken: Nachdem die Wasserleitungen im Vorder- und Teilen des Hinterhauses wegen fehlender Isolierungen eingefroren waren und daraufhin platzten, stand wenige Tage später, als die Temperaturen wieder stiegen, der Keller unter Wasser. Fotos auf der Website der Hausgemeinschaft zeugen von den verheerenden Zuständen.
Ein undurchsichtiges Investorenkonstrukt
Was nach einem krassen Einzelfall klingt, ist in Berlin für viele Mieter:innen traurige Realität. Die Geschichte der Schönhauser Allee 69 ist geradezu exemplarisch. Das Gründerzeit-Ensemble – Vorderhaus, Seitenflügel, Remise – liegt im sozialen Erhaltungsgebiet (Milieuschutzgebiet) Helmholtzplatz. Bereits zu DDR-Zeiten zogen Künstler:innen mit ihren Ateliers in den Seitenflügel. Nach der Wiedervereinigung blieb das Atelierhaus unter Treuhandverwaltung erhalten, in den 18 Wohneinheiten lebten Langzeitmieter:innen, zusätzlich gab es zwei Gewerbeeinheiten im Vorderhaus.
2016 kam es zum Eigentümerwechsel. Ein Investorenkonglomerat erwarb das Haus und gründete die Schönhauser Allee 69 Berlin GmbH. Die genaue Identität der Personen dahinter bleibt bis heute weitestgehend im Dunkeln. Bekannt ist, dass es sich um ein sogenanntes Share-Deal-Konstrukt aus Immobiliennetzwerken rund um die Unternehmer Itai Amir und Rom Zalel handelt – ein Teil davon als Briefkastenfirma auf Zypern. Rom Zalel gehört übrigens zum Grand City Netzwer.
Ungewisse Zukunft trotz Milieuschutzgebiet
„Die neuen Eigentümer wechselten sofort die Hausverwaltung und kündigten als ersten Schritt im Jahr 2017 sämtliche Mietverträge der Ateliers im Hinterhaus“, erzählt uns Jella. Fünf Wohnungen des ehemaligen Atelierhauses im Hinterhof stehen seitdem leer. Die verbliebenen Mieter:innen im Vorderhaus und Seitenflügel erhielten als „Weihnachtsgeschenk“ 2017 Modernisierungsankündigungen mit erheblichen Mieterhöhungen. Die geplanten Baumaßnahmen umfassen nahezu jede denkbare Modernisierung: von bodentiefen Fenstern und Wärmedämmung bis hin zu absurden Umbauten, wie einem Balkon am Badezimmer, und dem Umbau bereits modernisierter Wohnungen ohne ersichtlichen Grund. Das Amt für Stadtentwicklung genehmigte sie dennoch – trotz der Lage des Hauses im Milieuschutzgebiet Helmholtzplatz. Wie eine solche Entscheidung mit dem Anspruch zu vereinbaren ist, die Zusammensetzung der Bewohner:innenschaft zu schützen, ist eine Frage, die sich nicht nur die Mieter:innen der Schönhauser Allee 69 stellen. Sie betrifft auch andere Mieter:innen in den insgesamt 74 Berliner Milieuschutzgebieten.
Entsetzt blickten die Bewohner: innen im Sommer 2019 in ihren Hof, als die 12 Bäume, die auf der gemeinschaftlich genutzten Grünfläche standen, gefällt wurden. Die neuen Eigentümer planen den Bau eines fünfstöckigen „japanischen Hauses“ als neue Remise.
Radikale Entmietungspraktiken, drastische Mietsteigerungen
Die Mieterhöhungen, die nach Abschluss der Maßnahmen folgen sollten, sind drastisch: Steigerungen von bis zu 300 Prozent beziehungsweise ein Aufschlag von bis zu 1.200 Euro auf die bisherigen Mieten. Quadratmeterpreise von bis zu 19,50 Euro sind angesetzt. „Möglich ist das nur, weil die neuen Eigentümer die Ankündigung noch drei Tage vor dem Jahreswechsel 2019 verschickt haben. Dadurch konnten sie die neuen Regelungen im Mietrechtsanpassungsgesetz umgehen“, sagt Ronja, die ebenfalls in der Schönhauser Allee 69 wohnt. Etliche Vermieter:innen handelten damals in ähnlicher Weise, denn für Modernisierungen gilt seit Januar 2019 eine veränderte Investitionsumlage: Eigentümer:innen können nur noch acht statt wie zuvor elf Prozent der Kosten auf die Mieter:innen umlegen. Zudem greifen neue Kappungsgrenzen von zwei beziehungsweise drei Euro pro Quadratmeter, je nachdem, ob die Grundmiete weniger oder mehr als sieben Euro pro Quadratmeter beträgt.
Im November 2019 erreichte die Mieter:innen die Mitteilung, dass Vorder- und Hinterhaus in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Die Bewohner:innen der Schönhauser Allee 69 taten sich zusammen und duldeten die Modernisierungsankündigung mit den geforderten Mieterhöhungen nicht. Moderiert durch eine Anwältin für Mietrecht schlossen sie 2021 eine Vereinbarung mit den Eigentümern, die unter anderem eine geringere Mietsteigerung und die Instandhaltung der Wohnungen während des Umbaus beinhaltet. Doch diese Vereinbarung ignorieren die Eigentümer immer wieder. Selbst die Behebung dringlicher Mängel – darunter defekte Heizanlagen, massive Wasserschäden durch den Rückbau des Daches und aufgebrochene Kellerräume – findet nicht statt.
Die Hausverwaltung hält die Mieter:innen hin, während sich der Zustand des Hauses weiterhin verschlechtert. Unterdessen laufen die unangekündigten Bauarbeiten und illegale Abbrucharbeiten unbeirrt weiter. Bauschutt säumt den Hof und die Treppenaufgänge. „Nicht selten muss man bei uns im Treppenhaus klettern oder hat Probleme, die Wohnungstür überhaupt aufzubekommen“, schreibt die Hausgemeinschaft auf Facebook, wo sie unter dem Titel „Wo ich wohne“ die Zustände in ihrem Haus mit Fotos dokumentiert. „Immer wieder werden unsere Briefkästen aufgebrochen. Post verschwindet. Die Haupt-Haustür wird von den Arbeitern dauerhaft sperrangelweit offen gelassen, weil sie von den Eigentümer:innen keinen Schlüssel bekommen.“
Die Baustelle ist von Anfang an ein einziges Chaos. Nach den massiven Regenfällen der vergangenen Tage musste erneut die Feuerwehr anrücken. Die Mieter:innen stellten Auffangbehälter für das Regenwasser in ihren Wohnungen auf und teilten Schichten ein, um sie zu leeren, bevor sie überlaufen.. „Die Choreographie der Unfähigkeit von Bauleitung und Bauaufsicht setzt sich weiter fort”, sagt Jella.
Das alles ist nicht einfach nur ein sehr unglückliches Versehen, sondern eine radikale und in Berlin durchaus gängige Entmietungspraxis zur Profitmaximierung: leerziehen, modernisieren und teuer wiedervermieten oder verkaufen. Verbleibenden MIeter:innen wird dabei so lange das Leben schwer gemacht, bis sie aufgeben und ausziehen.
„Wir sind nicht der bedauerliche Einzelfall“: Die Mieter:innen fordern Unterstützung aus der Politik
„Eigentum verpflichtet“ heißt es im Grundgesetz. Die Realität sieht oft anders aus, nämlich so wie in der Schönhauser Allee 69. Viel zu oft sind Mieter:innen beim Kampf gegen die Schikanen auf sich allein gestellt, denn die Bau- und Wohnungsämter werden viel zu selten tätig – teils aufgrund fehlender personeller Kapazitäten, teils auch, weil sie juristische Auseinandersetzungen mit Eigentümer:innen scheuen. Dabei müsste das Land Berlin Immobilienbesitzer:innen bei derartigen Zuständen zur Rechenschaft ziehen; der Kompetenztitel des Landes Berlin im Wohnungswesen, das Baugesetzbuch und das Wirtschaftsstrafgesetz sollten die nötige rechtliche Grundlage bilden.
Der Professor für Wirtschaftsrecht Stefan Klinski geht noch einen Schritt weiter und regt an, kapitalmarktgetriebene Unternehmen per Landesgesetz vom Berliner Wohnungsmarkt auszuschließen. Wir haben seine Analyse bereits ausführlicher diskutiert. Auf welchem Weg auch immer: Was es braucht, um fragwürdige Investorenkonstrukte per Gesetz auszuhebeln, ist politischer Wille. Den jedoch vermissen die Mieter:innen aus der Schönhauser Allee 69 bislang. „Hilflos in Gesetzen rumrühren können wir selbst“, sagt Jella. „Und nein, wir sind nicht der bedauerliche Einzelfall.“ Ihr Appell an die zuständigen Politiker:innen: „Schaut euch endlich die Eigentümer:innen unserer Stadt genau an und gebietet ihnen Einhalt!“
Einen ersten Stein scheinen Jella und ihre Mitstreiter:innen ins Rollen gebracht zu haben. Der zuständige Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) hat inzwischen zugesagt, sich deutlich stärker zu engagieren. Doch auch Bau- und Wohnungsaufsicht sind gefordert, zukünftig deutlich schneller und konsequenter gegen Verstöße von Eigentümer:innen vorzugehen.
Vera Colditz und Franziska Schulte haben die Mietergemeinschaft besucht
„Wo ich wohne“ (51)
Immer wieder werden unsere Briefkästen aufgebrochen. Post verschwindet. Die Haupt-Haustür wird von den Arbeitern dauerhaft sperrangelweit offen gelassen, weil diese von den Investoren keinen Schlüssel bekommen. Und nachts werden die Türen von Leuten, die die Investoren wechselnd im Haus wohnen lassen und uns unbekannt sind, gewaltsam aufgetreten.
Wir Mieter*innen haben das Schloss/die Tür mehrfach schon repariert… weil sich einfach keiner kümmert, egal wie oft wir uns beschweren.
17.12.2023