Am Montag, den 3. April war es soweit: Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD endeten mit der öffentlichen Präsentation des Koalitionsvertrages. Neue und zukunftsweisende Ansätze für die Bewohner:innen unserer Stadt sind wenige zu finden. Nun kommt es auf die rund 18.500 Berliner SPD-Mitglieder an, die bis zum 21. April über den vorliegenden Koalitionsvertrag abstimmen sollen.
„Ein Weiter so kann es nicht geben!“, ließ Franziska Giffey (SPD) nach der Wahlschlappe ihrer Partei verlauten. Eine gänzlich neue Richtung können wir aus dem vorliegenden Koalitionsvertrag jedoch nicht herauslesen. Zwar setzt die künftige Koalition mit der Ankündigung einer großen Verwaltungsreform, der Verankerung von Klimaschutz als Staatsziel in der Landesverfassung sowie dem Sondervermögen für Klimaschutz, Resilienz und Transformation in Höhe von fünf Milliarden Euro neue Akzente, doch beim Thema Wohnen bleibt der Fokus der alte: Neubau – „bis zu” 20.000 Wohnungen pro Jahr will Schwarz-Rot realisieren, davon „bis zu” 5.000 Sozialwohnungen. Wenn drei Viertel der neuen Wohnungen demnach deutlich teurer sein sollen, geht das am Bedarf vorbei und ist klimapolitisch ein unsinniges Unterfangen. Konkrete Verbesserungen für den Mieter:innenschutz sowie die seit Jahren notwendige Reform des Sozialen Wohnungsbaus bleiben Leerstellen.
Das ist ein Problem, denn bis heute gibt es in Berlin keine Lösung für die auslaufenden Mietpreis- und Belegungsbindungen bei Sozialwohnungen. Dafür mussten auch die Vorgängerregierungen teils heftige Kritik einstecken. Das Thema ist brandaktuell: In diesem Jahr laufen mehr als 7.000 Sozialbindungen aus, Mieter:innen drohen heftige Mietsprünge und Eigenbedarfskündigungen.
Leistbarer Wohnraum sollte ganz oben auf der Prioritätenliste stehen
Berlin braucht vor allem leistbare Wohnungen. 3.250 Sozialwohnungen sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (LWU) bauen, 1.750 die private Wohnungswirtschaft errichten. Wie die neue Koalition die private Wohnungswirtschaft dazu bewegen will, ist ein Rätsel, angesichts der bisherigen mangelnden Bereitschaft zum Bau von belegungsgebundenen Wohnungen. Zur Einordnung: Im Jahr 2022 entstanden im privaten Wohnungssektor ganze 66 Wohnungen mit Belegungsbindung. Die Errichtung von Sozialwohnungen durch Private ausschließlich über städtebauliche Verträge im Rahmen des kooperativen Baulandmodells ist zu wenig. Das Land Berlin muss endlich die neu geschaffenen Möglichkeiten des Baugesetzbuches nutzen.
Positiv bewerten wir, dass Schwarz-Rot den gemeinwohlorientierten Wohnungsbau als echtes Gegengewicht zum freien Wohnungsmarkt in den Blick nimmt. Die geplante Aufstockung der 344.000 Wohnungen der LWU auf 500.000 ist zu begrüßen. Die dafür angekündigten Eigenkapitalzuschüsse an die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind dringend notwendig, auch weil von einer strategischen Ankaufspolitik für Wohnungen und Boden die Rede ist und die LWU die Hauptrolle bei Neubau und Ankäufen spielen soll. Hier bleibt offen, wie eine solche Strategie aussehen wird, welche städtebaulichen Instrumente dafür genutzt werden und wie die Eckpfeiler eines Strategiekonzeptes aussehen sollen.
Immerhin: Ein Bodensicherungsgesetz soll künftig den Verkauf landeseigener Flächen verhindern. Die Stärkung und Förderung der Genossenschaften soll zum Ziel der 50-Prozent-Marke im gemeinwohlorientierten Wohnungssegment beitragen. Zur geplanten Gemeinwohlstärkung passt jedoch nicht der geplante Umbau der Wohnraumversorgung Berlin (WVB), die im Zuge des Mietenvolksentscheid als Kontrollinstanz für die LWU als Anstalt öffentlichen Rechts eingerichtet worden war. Nach SPD und CDU soll diese zukünftig als Einrichtung für die Beratung und Partizipation von Mieter:innen dienen, was einer deutlichen Einschränkung ihrer bisherigen Funktion gleichkommt. Fraglich ist, welchen Einfluss die WVB weiterhin auf die soziale Wohnraumversorgung haben wird.
Mutiges Voranschreiten sieht anders aus
Beim Mieter:innenschutz bekennt sich die Koalition aus CDU und SPD zur konsequenten Anwendung aller Instrumente, die auf Bundes- und Landesebene für Verbesserungen zur Verfügung stehen. Hier gilt es, genauer hinzusehen. Der Koalitionsvertrag benennt viele Themen und Maßnahmen analog zu unseren Forderungen – was wir begrüßen. Doch schnell wird deutlich, dass es sich um Maßnahmen handelt, die entweder schon bestehen und die die Koalition lediglich fortführen will, oder deren Zuständigkeit zunächst auf Bundesebene liegt. Wenn beispielsweise der Bund die Wohngemeinnützigkeit einführt und ein Gebäude- und Wohnungsregister schafft, würde Schwarz-Rot die Eignung prüfen beziehungsweise die Umsetzung eines Miet- und Wohnungskatasters auf Landesebene ermöglichen.
Mutiges Voranschreiten sieht anders aus. Darüber kann auch die Einrichtung einer Prüfstelle zur Einhaltung der Mietpreisbremse nicht hinwegtäuschen, denn unklar bleibt, welche Durchsetzungsmöglichkeiten für die Rechte der Mieter:innen diese Stelle hätte. Wir hatten im Vorfeld der Wahlen ein Landeswohnungsamt gefordert, das die Einhaltung der Mietpreisregelungen laut Bürgerlichem Gesetzbuch, Wirtschaftsstrafgesetz und Strafgesetzbuch sichert und dafür mit entsprechenden Kompetenzen und Personal ausgestattet ist.
Ein starkes Bekenntnis zum Vorkaufsrecht ist nötig
Die Verordnungen, die das Land Berlin zu den Gesetzen des Bundes erlassen darf, will Schwarz-Rot verlängern beziehungsweise weiterführen. Das betrifft zum Beispiel die wichtige Kündigungsschutzklausel-, die Kappungsgrenzen- sowie die Umwandlungsverordnung. Aus unserer Sicht eine Selbstverständlichkeit im angespannten Wohnungsmarkt Berlin.
Auch das kommunale Vorkaufsrecht wird erwähnt. Sofern die Bundesregierung durch entsprechende Anpassungen im Baugesetzbuch (BauGB) Rechtssicherheit schafft, soll es unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und des sparsamen Haushaltens erneut zur Anwendung kommen. Das reicht nicht! Im Herbst 2021 hatte ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts die in Berlin etablierte Vorkaufsrechtspraxis zunichte gemacht. Seitdem haben die Bezirke den Verwertungsinteressen von Eigentümer:innen nichts mehr entgegenzusetzen. Mietenbewegung und Mieter:innenorganisationen kämpfen für eine Reform der entsprechenden Paragrafen im Baugesetzbuch. Umso dringlicher ist es, dass eine neue Landesregierung die Vorkaufsrechtpraxis nicht nur wieder aufnimmt, sondern sie stärkt und in ein strategisches Ankaufskonzept einbettet.
Neue Fördermodelle: Gefahr für Haushalte mit niedrigem Einkommen
Kritisch sehen wir die Einführung eines dritten Fördermodells, das die CDU in den Koalitionsvertrag gebracht hat. Neben dem bereits bestehenden zweiten Fördermodell, das Wohnungen mit Einstiegsmieten von neun Euro pro Quadratmeter nettokalt fördert, soll die neue Förderung „mittlere Einkommen“ adressieren. Welche Miethöhen will die neue Koalition diesen Haushalten mit mittleren Einkommen also zumuten?
Wir befürchten zudem, dass die neue Koalition auch dieses dritte Fördermodell von den Fördermodellen 1 und 2 entkoppeln wird. Im Klartext heißt das: Bauträger:innen können sich aussuchen, in welchem Segment sie ihr Bauvorhaben realisieren und fördern lassen. Es ist zu erwarten, dass sie das Segment mit den höchsten Einstiegsmieten realisieren werden – mit günstigen Förderkrediten und Tilgungszuschüssen. Haushalte mit niedrigeren Einkommen würden hinten runterfallen. Was nach Geschenken für die Stadtgesellschaft aussieht, sind Geschenke an die Wohnungswirtschaft.
Beim Bauen im Bestand und der Ausweisung von Milieuschutzgebieten könnte es vorangehen
Hoffnung macht im Koalitionsvertrag, dass sich die künftige Regierung neben dem Neubau auch verstärkt dem Umbau im Bestand widmen wird. Die Koalitionäre versprechen den Abbau rechtlicher Hürden zur Aufstockung von Bestandsgebäuden. Zudem wollen sie die bestehende soziale Infrastruktur und die nachbarschaftlichen Mehrwerte stärker berücksichtigen. Vage bleiben die Ankündigungen allerdings bei den Themen Zweckentfremdung und Abriss: Eine Eindämmung der Abrisswelle deutet der Vertrag nur an, die Verschärfung des Zweckentfremdungsverbots und der Bauordnung sind jedoch nicht vorgesehen.
Auch die Weiterführung und Neu-Ausweisung von Milieuschutzgebieten kündigt der Koalitionsvertrag an und verknüpft sie mit dem Abbau von Hürden bei der energetischen Modernisierung sowie zugunsten der Barrierefreiheit. Entscheidend ist aber, dass bei notwendigen Maßnahmen die Sozialverträglichkeit für Mieter:innen dauerhaft gesichert wird. Bezirkspolitiker:innen fordern bereits seit einiger Zeit neben guten Förderungen auch ordnungsrechtliche Hebel, um Klima- und Mieter:innenschutz aus einem Guss besser durchsetzen zu können.
Das Beste muss sich erst noch zeigen
Insgesamt schafft der Koalitionsvertrag wenig Klarheit beim Mieter:innenschutz. Wir werden CDU und SPD beim Wort nehmen und sind gespannt, was die Umsetzung der wirklich neuen Ansätze betrifft. Eine Politik für alle Stadtbewohner:innen muss sich aus unserer Sicht vor allem auf das Gemeinwohl, demokratische Verfahren und Rechtsstaatlichkeit stützen. Daher kritisieren wir besonders den Umgang mit den Volksentscheiden der vergangenen Jahre. Ob Bebauung des Tempelhofer Feldes, Mietenvolksentscheid oder Vergesellschaftung großer privater Wohnungskonzerne – die künftige schwarz-rote Regierung macht schon mit ihrem Koalitionsvertrag deutlich, dass sie das Votum der Berliner:innen nicht mehr ernst nimmt!
Ein Beitrag von Franziska Schulte
19.04.2023