In den großen Sanierungsgebieten der 1990er Jahre laufen inzwischen nach und nach die letzten Sozialbindungen aus. Vor allem im Ostteil Berlins haben nun tausende Mieterinnen und Mieter Angst vor Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen.
Von 1990 bis 2003 wurden in Sanierungsgebieten die Modernisierung und Instandsetzung von 17.887 Wohnungen über das Programm Soziale Stadterneuerung gefördert. Ähnlich wie bei Sozialwohnungen wurden die Mieten begrenzt und der Einzug an einen Wohnberechtigungsschein gekoppelt – je nach Fördervertrag für 20 bis 30 Jahre.
Für fast zwei Drittel der Wohnungen sind die Mietpreis- und Belegungsbindungen mittlerweile ausgelaufen. Ende 2022 waren noch 6230 Wohnungen gebunden. Und in diesem Jahr entfällt der Schutz für weitere 1914 Wohnungen. Die Bewohner:innen sind alarmiert, denn nach dem Ende der Bindung gilt das Vergleichsmietensystem: Die Mieten dürfen alle drei Jahre um 15 Prozent angehoben werden, bis die ortsübliche Vergleichsmiete erreicht ist. „Wir haben schon durchgerechnet, bis wann wir bei den kommenden Mieterhöhungen hier überhaupt noch durchhalten“, sagt eine Mieterin aus der Lychener Straße 50 in Prenzlauer Berg, einem Haus, dessen Bindung Ende Januar ausgelaufen ist. Auch eine spezielle Mietabsenkung für Menschen mit geringem Einkommen – zuletzt auf 5,15 Euro pro Quadratmeter – fällt mit dem Bindungsende plötzlich weg. So müssen gerade die Geringverdienenden schnell mal über 100 Euro im Monat mehr zahlen.
Dazu kommt, dass viele von einer Eigenbedarfskündigung bedroht sind. Besonders bei den Häusern, die ab 2000 saniert wurden, kam häufig das sogenannte Bauträgermodell zur Anwendung: Das Haus wurde schon im unsanierten Zustand aufgeteilt und die Eigentumswohnungen verkauft, um mit dem Erlös die Sanierung zu finanzieren. Gerade diese Häuser rutschen nun in großer Zahl aus der Bindung. Die Kündigungssperrfristen sind wegen des lange zurückliegenden Verkaufs längst ausgelaufen.
In den Altbau-Vierteln in Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder Mitte ist der Weiterverkauf dieser Wohnungen jetzt an Selbstnutzer oder die Neuvermietung an Gutverdienende ein einträgliches Geschäft. In der Lychener Straße 50 fanden schon Wohnungsbesichtigungen statt.
Der Stadtsoziologe Andrej Holm kritisierte schon 2010 die Stadterneuerungspolitik als „öffentlich finanzierte Verdrängung“. Über eine Milliarde Euro flossen an Fördergeldern allein in die fünf Sanierungsgebiete von Prenzlauer Berg. Trotzdem fand schon während der Sanierungsphase ein massiver Bevölkerungsaustausch statt. „Bei einem solchen Mitteleinsatz hätte es auch sozial nachhaltigere Möglichkeiten gegeben“, so Holm.
Das Problem ist die zeitliche Befristung der Bindungen. „Einmal öffentlich gefördert – dauerhaft gebunden“, fordert deshalb der Berliner Mieterverein. Doch auch heute noch begrenzt der Senat die Bindung bei der Wohnungsbauförderung auf 30 Jahre.
Jens Sethmann
https://mg-berlin.org/vernetzungen/kieztreffen-pankow/
24.02.2023