Schon wieder Wahljahr: Rund 270.000 Miethaushalte der landeseigenen Wohnungsunternehmen Howoge, Stadt und Land, degewo, Gesobau und WBM sind aufgerufen, bis zum 17. Juni 2022 ihre Vertreter:innen für die Mieterräte zu wählen. Wir haben unsere neue Geschäftsführerin Ulrike Hamann gefragt, wie die Mieter:innenmitbestimmung durch Mieterräte gewährleistet ist und verbessert werden kann.
Ulrike, von 2020 bis 2022 warst du Vorständin in der Wohnraumversorgung Berlin (WVB), die die Erfüllung des sozialen Auftrags der landeseigenen Wohnungsunternehmen kontrolliert. Erklär doch einmal kurz: Was genau sind Mieterräte?
Die Mieterräte sind eine recht neue Organisationsstruktur, die in Folge des Mietenvolksentscheids von 2015 entstanden ist. Bis dato gab es nur die Mieterbeiräte auf Quartiersebene, deren Rechte gesetzlich nicht verankert sind. Mieterräte sind das Sprachrohr der Mieter:innen auf Unternehmensebene. Sie arbeiten ehrenamtlich und sind idealerweise mit den für die einzelnen Quartiere zuständigen Mieterbeiräten und mit den Mieter:innen selbst im Austausch. Die Mitglieder des Mieterrats bündeln die Probleme und Anregungen der Mieter:innen und tragen sie an die Geschäftsführung heran. Zudem haben sie einen Sitz im Aufsichtsrat, wo sie die Interessen der Mieter:innen bei Unternehmensentscheidungen wie Investitionen in Modernisierung und Neubau vertreten. Im Jahr 2016 wurde das erste Mal gewählt. Jetzt steht bei fünf der sechs Unternehmen die Neuwahl an.
Es gibt die Befürchtung, dass die Wahlbeteiligung bei den Mieterratswahlen 2022 nicht besonders hoch sein könnte. Was steckt dahinter?
Ein wesentlicher Motivationsgrund, sich ehrenamtlich für die Nachbar:innen und die Interessen der Mieter:innen einzusetzen, ist die Aussicht, mit dem Engagement etwas zu bewirken. Wenn ich sehe, dass meine Arbeit einen Effekt hat und ich den Interessen der Mieter:innen tatsächlich Gehör verschaffen kann, dann bin ich motiviert, mich auch nach Feierabend in Sitzungen zu setzen, statt etwas mit Freund:innen oder der Familie zu unternehmen. Doch hier liegt der Hase im Pfeffer, denn die Arbeit der Mieterräte und auch der Mieterbeiräte ist oft nicht von Erfolg gekrönt. Das liegt manchmal am mangelnden Willen der Verantwortlichen in den Wohnungsunternehmen, Entscheidungen mit den Mieter:innenvertretungen gemeinsam zu treffen. Die amtierenden Mieterräte haben jetzt eine Wahlperiode hinter sich und blicken mit gemischten Gefühlen auf ihre Arbeit zurück, wie eine Erhebung der WVB zeigt.
Einige Mieterräte beklagen, dass sie – im Gegensatz zu anderen Beteiligten – im Aufsichtsrat nur einen Sitz und eine Stimme haben. Die Vertreter:innen der Beschäftigten beispielsweise haben meist drei Sitze. Ist die Kritik gerechtfertigt?
In den Aufsichtsräten der sechs Landeswohnungsunternehmen gibt es jeweils neun Sitze. Eine Person aus dem jeweiligen Mieterrat sitzt hier neben drei Vertreter:innen der Beschäftigten auch mit externen Wohnungswirtschaftsexpert:innen und politischen Vertreter:innen wie Staatssekretär:innen und Abteilungsleitungen zusammen. Es ist ja durchaus sinnvoll, dass die landeseigenen Wohnungsunternehmen, die den öffentlichen Auftrag der Wohnraumversorgung erfüllen, auch im Aufsichtsrat von Vertreter:innen des Landes beaufsichtigt werden. Der Anteil der Beschäftigtenvertreter:innen geht auf das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) zurück, wonach die Beschäftigten Anspruch haben, ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat in Unternehmen ab 500 Beschäftigten einzunehmen. Ein solches Recht besteht für die Mieter:innen bisher nicht. Immerhin garantiert das Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG) zumindest einen Sitz. Insofern bildet die Verteilung die Gesetzeslage ab.
Also brauchen wir eine Gesetzesänderung, um mehr Mitbestimmung durchzusetzen?
Ja, wenn es eine größere Beteiligung der Mieter:innen geben soll, müssen Gesetze geändert werden, was ja grundsätzlich möglich ist. Die Mieterräte und Mieterbeiräte fordern eine solche Reform des WoVG mit Nachdruck. Die neue Koalition hat sich vorgenommen, dies zu prüfen. Auch der BMV unterstützt die Forderung, die Rechte der Mieterbeiräte im Gesetz zu verankern: Mieter:innen sollten auch ein größeres Mitspracherecht erhalten, da mit deren Mieten hier gewirtschaftet wird.
Ein weiteres Problem scheint der mangelnde Austausch zu den Anliegen der Mieter:innen zu sein. Einige Mieterräte berichten, dass sie keine Möglichkeit haben, generelle Probleme in einzelnen Beständen und Siedlungen zu erörtern. Das bedeutet, dass die Unternehmen den Wortlaut des Wohnraumversorgungsgesetzes in Bezug auf die Zuständigkeit sehr eng auslegen. Die Mieterräte fordern, dass sich das ändert. Wo kann man hier ansetzen?
Manches liegt an der Form der Planung: Modernisierungsvorhaben beispielsweise haben einen langen Vorlauf bis sie überhaupt den Gremien vorgelegt werden. Dass Mieter:innen viel früher einbezogen werden sollten, insbesondere wenn es ihre Mietentwicklung, ihr Wohnumfeld und die Bewirtschaftung ihrer Häuser und Siedlungen betrifft, ist aus unserer Sicht eine unterstützenswerte Forderung. Gerade die unternehmensweiten Probleme – fehlende Hausmeister:innen, Aufzugsausfälle, Heizungsausfälle, schlechter Service – müssen zwischen Unternehmen und Mieter:innenvertretung besprochen werden, denn die Mieter:innen wissen genau, wo die Probleme auftauchen.
Mieterräte und -beiräte engagieren sich ehrenamtlich – und haben ziemlich viel Arbeit: Etwa zehn bis 15 E-Mails erhalten sie täglich. Hinzu kommen Termine und der direkte Austausch mit Mieter:innen. Im BMV erreichen uns zahlreiche Beschwerden von Mieterräten, die sich ohnmächtig fühlen, weil ihre Forderungen, zum Beispiel nach Mängelbeseitigung, nicht gehört werden und sie dennoch den oftmals berechtigten Unmut der Mieter:innen aushalten müssen. Werden die Mieterräte hier von den Unternehmen instrumentalisiert?
Grundsätzlich haben Mieter:innen ein individuelles (Miet-)Recht auf Mängelbeseitigung, denn sie können die Miete mindern, wenn die Mängel nicht in angemessener Frist behoben werden. Dass sich Mieter:innen mit diesen Problemen zusätzlich an die Mieterbeiräte und Mieterräte wenden, ist kein gutes Zeichen, denn es verweist häufig auf schwerwiegende systemische Mängel in den Unternehmen. Dabei wäre es auch im Interesse der Unternehmen, mit den Mieter:innen zusammenzuarbeiten. Oftmals wird der Mieterbeirat schon informiert, bevor gravierende Mängel auftreten, wenn zum Beispiel das Schloss der Müllanlage nur klemmt und noch nicht völlig kaputt ist, so dass die Unternehmen noch die Chance hätten, hier rechtzeitig instand zu setzen, bevor teurere Reparaturen und große Sperrmülltransporte anfallen. Dieses Wissen der Mieter:innen vor Ort können die Mieterräte und -beiräte bündeln. Wenn die Unternehmen darauf hören würden, könnten sie Geld einsparen und hätten zufriedenere Mieter:innen.
Welche Nachbesserungen müsste der Berliner Senat im WoVG vornehmen, um eine echte unternehmensseitige Mitbestimmung zu ermöglichen?
Das dringendste Anliegen der Mietergremien und des BMV ist die Verankerung der Rechte der quartiersbezogenen Mieterbeiräte im Wohnraumversorgungsgesetz. Hier geht es vor allem um die Rechte, die von der Initiativgruppe der Mieterbeiräte – einem selbstorganisierten unternehmensübergreifenden Zusammenschluss – in den „Leitlinien für Mieterbeiräte“ ausgehandelt wurden. Wir unterstützen die Forderungen der Mieterbeiräte gemeinsam mit dem Netzwerk „Mieter:innen Mitbestimmung in Berlin“ und der „Initiative Kommunal und Selbstverwaltet Wohnen“. Außerdem ist es angemessen, in allen Gremien der Unternehmen und der WVB eine deutlich breitere Mieter:innenvertretung zu etablieren. Wir plädieren zudem dafür, dass Mieterräte rechtzeitig vor Befassung im Aufsichtsrat über die Investitionsplanung informiert werden, so dass die ehrenamtlichen Mitglieder genug Zeit haben, sich intern zu beraten und eine Stellungnahme zu erarbeiten. Neben den Informationsrechten für Mieterräte sollte auch dezidiert im WoVG aufgeführt werden, wo Mitentscheidungsrechte und Mitbestimmungsrechte für Mieterräte und Mieterbeiräte eingeführt werden. Da können wir auf Erfahrungen zurückgreifen, die der Mieterverein in Berlin bereits 1989 mit der WIR Wohnungsbaugesellschaft ausgehandelt hat.
Das klingt nach einer Menge Arbeit.
Die sich aber nachhaltig lohnen wird. Die Novelle des WoVG ist dringend notwendig, um das ehrenamtliche Engagement der Mieter:innen auf festen Boden zu stellen. Sie wird die frisch gewählten Mieterräte motivieren, ihre Arbeit in den nächsten fünf Jahren mit Leidenschaft und Kompetenz zu machen. Die Erfahrung zeigt, dass größtmögliche Mitbestimmung die Identifikation mit der Nachbarschaft und den sozialen Zusammenhalt in der Siedlung stärken. Denn eine aktiv gelebte Mitbestimmung hilft den Mieter:innen auch dabei, mit Konflikten in anderen Lebensbereichen konstruktiv und solidarisch umzugehen. Für den sozialen Zusammenhalt in diesen Zeiten der Krisen ist das ein unschätzbarer Wert.
31.12.2022