Vergesellschaftung als geeignetes Instrument zur Steuerung des Wohnungsmarktes in Berlin
“Schmerzliche Niederlagen waren die Privatisierung von Gehag, GSW und kommunaler Bestände nach der Wiedervereinigung, ganz zu schweigen von den Grundstücksverkäufen der öffentlichen Hand. Diese Fehler machen uns heute schwer zu schaffen.”
(Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins in einem Interview)
Der Berliner Mieterverein e.V. (BMV) steht seit mehr als 130 Jahren für die Interessen der Berliner Mieterinnen und Mieter ein. Neben dem Angebot der Mietrechts-, Sozial- und Energieberatung für Mitglieder ist der BMV die mieten- und wohnungspolitische Interessenvertretung für alle Mieterinnen und Mieter. Über die ehrenamtlichen Gremien Vorstand, Beirat sowie die jährlich stattfindende Delegiertenversammlung sind die Positionen und Beschlüsse im BMV demokratisch legitimiert und stellvertretend für die derzeit 183.000 Mitglieder zu verstehen. Innerhalb dieser demokratischen Strukturen wird auch das wohnungspolitische Handeln des Vereins gemeinsam bestimmt, indem Anträge durch die Delegierten (gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Berliner Bezirke) in den Gremien beschlossen werden. Zum Leitantrag der Delegiertenversammlung 2019 wurde in diesem Rahmen abgestimmt, das Volksbegehren “Deutsche Wohnen und Co enteignen” zu unterstützen. Das Ziel des Volksbegehrens ist rechtlich zulässig. Die überwiegenden juristischen Gutachten halten das Ziel des Volksbegehrens zur Ausgestaltung eines Vergesellschaftungsgesetzes nach Artikel 15 im Grundgesetz (Art. 15 GG) für möglich. Das schließt nicht aus, dass es im Detail noch Gestaltungsbedarf am Gesetz geben kann.
Das hier vorliegende Papier dient der Vorstellung des Volksbegehrens aus Sicht des Vereins sowie der Darlegung der Argumentation, welche die Entscheidung im Berliner Mieterverein zur Unterstützung der Kampagne begründet. An dieser Stelle weisen wir auf unsere parteipolitische Unabhängigkeit hin. Welche Parteien das Volksbegehren und mit welcher Begründung unterstützen, ist für unsere demokratische Wissens- und Meinungsbildung sowie die Beschlussfassung nicht von Bedeutung.
Die Argumentation in Kürze:
- Ein Gegengewicht zu den profitorientierten Anbietern
- Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen
- Effekte auf Miet-, Immobilien- und Bodenpreise
- Entlastung von Mieterinnen und Mietern auch in der Zukunft
- Zugunsten einer sozialen Wohnungswirtschaft
- Gemeinwirtschaft und Mietermitbestimmung
- Rechtssicherheit eines Vergesellschaftungsgesetzes
- Initiative erzeugt politischen Druck
- UPDATE: Juristische und ökonomische Auseinandersetzung zur Zulässigkeit
zu 1. Ein Gegengewicht zu den profitorientierten Anbietern
Die Privatisierungen der 1990er und der 2000er Jahre haben den kommunalen Wohnungsbestand stark minimiert, die Folgen sind bis heute spürbar. Um ein relevantes Gegengewicht zu profitorientierten Anbietern zu schaffen und damit wieder mehr Steuerungsmöglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt zu erreichen, braucht es mittelfristig mindestens 50 % der Berliner Wohnungsbestände in gemeinwohlorientierter bzw. öffentlicher Hand. Damit wäre das gemeinwohlorientierte Segment ebenfalls marktbestimmend und hätte Einfluss auf Miet-, Immobilien- und Grundstückspreise. Der Wohnungsneubau sowie die Ankäufe der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften können das Ziel eines definierten, gemeinwohlorientierten Wohnungssegments mittelfristig nicht schaffen. Die Rekommunalisierung sowie die Vergesellschaftung großer Bestände über ein Vergesellschaftungsgesetz können dieses Ziel hingegen erreichen und die profitorientierten Wohnungsunternehmen in ihre Schranken weisen.
zu 2. Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht wiederholt werden
Wohnen ist ein Grundrecht und als solches in der Berliner Verfassung verankert. Land und Bezirke müssen (!) über ausreichend Wohnungen verfügen, um große Teile der Bevölkerung mit leistbarem und angemessenem Wohnraum versorgen zu können. Das Volksbegehren für einen Volksentscheid am 26. September sieht die Überführung von knapp 240.000 Wohnungen großer profitorientierter Wohnungsunternehmen in eine Anstalt des öffentlichen Rechts vor. In deren Satzung soll die demokratisch organisierte Verwaltung der Bestände sowie der Ausschluss eines weiteren Verkaufs der Wohnungen in der Zukunft festgeschrieben werden. In den vergangenen zehn Jahren ist das Bedürfnis der Mieterinnen und Mieter, über ihre Mietshäuser und Wohnungen mitzubestimmen, wieder größer geworden. Viele Mieterinnen und Mieter der privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen wünschen sich Transparenz im Hinblick auf ihren Vermieter und dessen Vorhaben in der Zukunft.
zu 3. Effekte auf Miet-, Immobilien- und Bodenpreise
Wenn wir in Berlin über mindestens 50 % gemeinwohlorientiert und sozial bewirtschaftete Wohnungen verfügen und die hohe Nachfrage der letzten Jahre nachlässt, werden sich privatwirtschaftliche Wohnungsanbieter mehr um Mieterinnen und Mieter bemühen müssen, um ihre Wohnungen vermieten zu können. Die Folge könnte eine Mietpreis-Dämpfung im gesamten Wohnungsmarkt sein, indirekt gäbe es somit auch einen Effekt auf die Immobilien- und Bodenpreise. Neben der 3000-Wohnungen-Marke, die die Kampagne vorsieht, sollten jedoch weitere Kriterien eine Rolle spielen. In der Ausgestaltung eines entsprechenden Vergesellschaftungsgesetzes sollen diese Kriterien sowie die Regelungen zur Entschädigung konkretisiert werden.
zu 4. Entlastung von Mieterinnen und Mietern auch in der Zukunft
Von größter Bedeutung ist die Entlastung der Mieterinnen und Mieter auch in der Zukunft. Mieterinnen und Mieter zahlen beispielsweise beim Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen durchschnittlich circa 179 Euro [Quelle: Geschäftsbericht der Deutsche Wohnen 2019; Dividendenausschüttung in Höhe von 350 Mio. Euro bei einem bundesweiten Wohnungsbestand von rund 160.000 Wohnungen] allein für die Dividendenausschüttung an die Aktionäre des Unternehmens. Ähnliche Rechenbeispiele können für die Vonovia SE herangezogen werden. Die Gewinne von Akelius, Grand Properties und weiteren großen Anbietern waren und sind beachtlich. Die Immobilienvermögen haben sich in den vergangenen 10 Jahren stark vermehrt.
Die vom Volksbegehren adressierten Unternehmen tragen hingegen kaum zum Neubau bezahlbarer Wohnungen bei. Für breite Schichten der Bevölkerung wird leistbarer Wohnraum überwiegend von kommunalen Wohnungsunternehmen geschaffen.
zu 5. Zugunsten einer sozialen Wohnungswirtschaft
Die Enteignungskampagne ist nicht wirtschaftsfeindlich, sie richtet sich gegen eine bestimmte Art des Wirtschaftens: Unter dem Deckmantel vorgeblich ökonomischer Sachzwänge wird eine immer stärkere Umverteilung zugunsten einkommensstarker und vermögender Schichten betrieben. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) behauptet, es gäbe nur eine Art des Wirtschaftens, nämlich die der maximalen Rendite. Das Interesse an Vermögensanlage und -mehrung steht deutlich im Konflikt mit einer nutzerorientierten Wohnraumbewirtschaftung sowie einer sozialen Mietengestaltung.
Hinzu kommt, dass einige der Unternehmen durch Ankäufe von Wohnungen über sogenannte “share deals” und durch ausländische Firmensitze in sogenannten Steueroasen um die Zahlung von Steuern im Land Berlin herumkommen. Geld, das der öffentlichen Hand somit zusätzlich für Gemeinwohl fehlt. Die Geschäftspraktiken der großen – teilweise global agierenden – Player in der Wohnungswirtschaft sind dabei vielfältig: Instandsetzungs- und Mängel-Verschleppung über fragwürdige Modernisierungen, in Folge überfordernde Mieterhöhungen sowie strikte Ausnutzung der Mieterhöhungsmöglichkeiten nach § 558 BGB, Anfechtung der Mietspiegel bis hin zu fehlerhaften Betriebs- und Nebenkosten: die Liste der “unsozialen” Bewirtschaftungsmethoden ist lang. Freiwerdende Wohnungen werden aufwendig modernisiert, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Damit lassen sich Mietpreise von mehr als 20 Euro pro Quadratmeter (z.B. bei Akelius) erlangen. Ein großer Teil der Berliner Bevölkerung verfügt jedoch nicht über ein Einkommen, mit welchem Mietpreise jenseits der Mietpreissegmente von 6,00 bis 8,00 Euro pro Quadratmeter im Monat zu bestreiten wären [siehe Exkurs: Einkommen und Haushalte].
zu 6. Gemeinwirtschaft und Mietermitbestimmung
Die Gemeinwohlorientierung von Wohnungsunternehmen oder -anstalten sieht Mietermitbestimmung oder Selbstverwaltung vor. Die Initiative schlägt eine Überführung der Wohnungsbestände in eine Anstalt öffentlichen Rechts vor, deren Wirtschaften durch lokale und regionale, demokratisch gewählte Gremien bestimmt wird. Der Berliner Mieterverein unterstützt seit Jahren die Idee einer neuen Wohngemeinnützigkeit sowie gemeinwirtschaftliche Konzepte. “Gemeinwohl durch Gemeinwirtschaft muss gestärkt werden, um auf den Wohnungsmärkten Mieter und Nutzer dauerhaft von überzogenen Kosten zu entlasten. Gerade auch der Neubau von Wohnungen sollte verstärkt durch gemeinwirtschaftliche Anbieter erfolgen.” [Erklärung des Berliner Mietervereins: „Gemeinwirtschaft statt Marktradikalismus„]
An dieser Stelle wollen wir zudem verweisen auf verantwortungsvolle energetische Sanierungen, die wir zugunsten des Klimaschutzes im Wohngebäudesektor Berlins dringend vorantreiben müssen. Sozialverträgliche Lösungen für die Mieterinnen und Mieter sind derzeit nahezu nur bei den gemeinwohlorientierten Anbietern möglich. Das Bedürfnis der Mieterinnen und Mieter bei den Planungen von Sanierungen mitzubestimmen ist in den vergangenen Jahren aufgrund häufig sinnloser beziehungsweise mietpreiserhöhender Modernisierungen enorm angestiegen. Die Mietermitbestimmung ist daher zu begrüßen und weist zudem eine lange Tradition auf, die eng mit dem Handeln des Berliner Mietervereins verflochten ist.
zu 7. Rechtssicherheit eines Vergesellschaftungsgesetzes
Zwar würde ein Vergesellschaftungs-Gesetz vermutlich vor Gericht „landen“, jedoch wäre das kein Grund, erst gar keinen Gesetzesentwurf vom Senat einzufordern, zumal viele mieterschützende Gesetze, zum Beispiel das ebenso von der Immobilienwirtschaft angegriffene Mietendeckel-Gesetz, von Vermietern bekämpft werden. Selbst wenn ein Gericht ein Vergesellschaftungsgesetz irgendwann kippen sollte, könnte darin auch eine Chance liegen: Statt des Verwerfens in „Bausch und Bogen“ sind eher Hinweise zu erwarten, wie denn ein rechtssicheres Gesetz auch im Hinblick auf die Entschädigungshöhe aussehen könnte.
Auch würde die Vergesellschaftung nicht zwingend gegen die „Landes-Schuldenbremse“ verstoßen. Die Koalition einigte sich auf eine Regelung, nach der die Kreditermächtigung für solche Haushalte „durch Beschluss des Abgeordnetenhauses“ erfolgt, mit dem gleichzeitig die Refinanzierung des Kredits festgelegt wird
zu 8. Die Initiative erzeugt politischen Druck
Die Initiative hat sich nicht mit einer unlösbaren Aufgabe „übernommen“. Selbst bei politischem oder rechtlichem Scheitern wäre die Kampagne durch die Debatte einer Rekommunalisierungs-Strategie und die praktischen Auswirkungen „erfolgreich“ gewesen. Der politische Druck auf große Wohnungsunternehmen ist bereits im Vorfeld und besonders während der ersten Stufe (Volksinitiative) stark geworden. Die Unternehmen haben mit Sozialversprechen reagiert, zum Beispiel einer Mieterhöhungskappung ab einer bestimmten Einkommensbelastung. Diese sind allerdings unzureichend und jederzeit widerrufbar.
zu 9. UPDATE: Juristische und ökonomische Auseinandersetzung zur Zulässigkeit
Enteignung – das geht?!
Zur Dokumentation: Vergesellschaftung von privaten Wohnungsbeständen in Berlin
Diskussion über Machbarkeit, Entschädigungshöhe und haushaltsneutrale Finanzierbarkeit
Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Berliner Mietervereins
Sehen Sie auch:
https://www.youtube.com/watch?v=u80iPuAafjQ
https://www.youtube.com/watch?v=WhoVmT45XBs
Das Volksbegehren “Deutsche Wohnen & Co enteignen”
Kurz gefasst ist das Ziel der Kampagne “Deutsche Wohnen & Co enteignen” die gesetzliche Ausgestaltung der Vergesellschaftung von Wohnraum nach Artikel 15 GG [siehe Exkurs zu Artikel 15 Grundgesetz], um unter anderem Artikel 28 der Berliner Landesverfassung gerecht zu werden. Dieser verpflichtet den Berliner Senat, allen Berlinerinnen und Berlinern ausreichend und angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Weitere Informationen zur Kampagne sind auch auf der Website www.dwenteignen.de zu finden.
In der 1. Phase des Volksbegehrens konnten bereits rund 30.000 Unterschriften – mehr als notwendig – gesammelt werden. Am Freitag, den 26. Februar 2021 startete die 2. Phase.
Dieser nun folgende Abschnitt des direktdemokratischen Volksbegehrens im Land Berlin sieht eine Unterschriftensammlung bei 7 % der zum Abgeordnetenhaus Berlin wahlberechtigten Berlinerinnen und Berlinern vor. Zurzeit sind das rund 170.000 Bürgerinnen und Bürger. Die Unterschriften müssen in einem Zeitraum von vier Monaten gesammelt werden – also bis zum 22. Juni 2021. Sollte dies gelingen, wird es voraussichtlich am 26. September 2021 zu einem Volksentscheid kommen, gekoppelt an die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus sowie zum Deutschen Bundestag.
Weitere Hintergründe und Argumente:
- Enteignung – ein provozierender Begriff mit vielen Facetten
- Nur so wird politisches Handeln erzeugt
- Die historischen Hintergründe der Privatisierung in den 1990er und 2000er Jahren
- Die Schieflage auf dem privatisierten Berliner Wohnungsmarkt
- Wichtig ist das “Co” im Kampagnentitel – die großen Player haben die Marktmacht
- Kleinvermieter werden weniger dem Druck des Marktes ausgesetzt sein
- Politische Teilhabe und direkte Demokratie müssen da gestärkt werden, wo es um die Grundbedürfnisse der Menschen geht
- Exkurs zu Artikel 15 Grundgesetz
- Exkurs zur Einkommens- und Wohnsituation der Berliner Haushalte
Enteignung – ein provozierender Begriff mit vielen Facetten
Der Berliner Mieterverein e.V. (BMV) unterstützt die Initiative bereits seit der ersten Phase des Volksbegehrens und hat in der Delegiertenversammlung 2019 mehrheitlich entschieden, dies auch weiterhin zu tun. Die Diskussionen und Debatten hinsichtlich der Kampagne sind und waren vielfältig und kontrovers – sowohl in der Bevölkerung als auch in den verschiedenen Gremien des BMV. Vor allem der Begriff “Enteignung” erzeugt bei vielen Menschen Unbehagen. Das hat einerseits mit der kollektiven Erfahrung der Deutschen mit Enteignungen zu tun – darunter besonders die staatlichen Enteignungen von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in der Zeit des Nationalsozialismus und die umfangreichen Enteignungen (hier aber Verstaatlichungen unter dem postulierten Begriff des Volkseigentums) privater Unternehmen in der DDR – andererseits mit der gesellschaftlich höchst etablierten Institution “Eigentum” sowie dem Grundsatz des Schutzes von Privateigentum.
Von der Initiative wurde der provozierende Begriff “Enteignung” gewählt. Gleichwohl geht es um die in Artikel 15 des Grundgesetzes vorgesehene “Vergesellschaftung”, während “Enteignung” auf Einzelgrundstücke beziehungsweise Einzeleigentum – bezogen in Artikel 14 des Grundgesetzes – geregelt ist. So wurden zum Beispiel im Bundesland Sachsen von 2017 bis 2020 mehr als 500 Grundstücke für Verkehrsprojekte – zumeist gegen den Willen der Eigentümer – enteignet und mit Millionenbeträgen entschädigt. Verkehrsprojekte – obschon von oft zweifelhaftem Sinn – gehören zur Daseinsvorsorge und rechtfertigen Enteignung. Wohnungen haben nach Auffassung des Berliner Mietervereins in der Daseinsvorsorge noch einen höheren Stellenwert. Vergesellschaftung ist auch von daher legitim.
Nur so wird politisches Handeln erzeugt
Es ist zu beachten, dass die Begrifflichkeit “Enteignung” im hier vorliegenden Kontext eine “Kampfansage” tausender Mieterinnen und Mieter darstellt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass Kampagnen mit provozierenden Begrifflichkeiten – zu denen auch das Reizwort “Enteignung” zählt – aufrütteln, mehr Gehör finden, den gesellschaftlichen Diskurs anregen und damit Druck auf die Politik ausüben. Mieterinnen und Mieter haben bundesweit mit ihren Protesten und Kampagnen gezeigt: Schluss jetzt! Der Mietenwahnsinn muss gestoppt werden.
Berlin hat sein “Tafelsilber verscherbelt” – kommunale Wohnungsbestände aber auch Grundstücke wurden privatisiert
Der Berliner Mieterverein bekämpfte bereits in den 1990er und 2000er Jahren die massenhaften Privatisierungen der kommunalen Bestände, unten denen sich auch Sozialwohnungen befanden – leider ohne nennenswerte Erfolge. Heute geht es demnach um ein Selbstverständnis, Berliner Mieterinnen und Mieter zu unterstützen und die Fehler von einst zu revidieren. So heißt es im Leitantrag des BMV: „Kommunalisierung und Rekommunalisierung von weiteren Wohnungsbeständen ist daher ein zentrales Anliegen der Stärkung des gemeinwohlorientierten Sektors.” [Zur Erklärung des Berliner Mietervereins: „Berliner Mieterverein unterstützt Volksbegehren/Volksentscheid“]
Die historischen Hintergründe der Privatisierung in den 1990er und 2000er Jahren
Die bereits erwähnten Privatisierungen sollen an dieser Stelle kurz eingeordnet werden: Im Jahr 1990 verfügte Berlin über rund 500.000 kommunale Wohnungen. Etwa weitere 250.000 Wohnungen befanden sich im Eigentum anderer Gemeinwohlanbieter. Dadurch war ein Schutz vor überbordenden Mieterhöhungen, Kündigungen und Verdrängung für mindestens 45 % aller Miethaushalte gegeben. Doch der Wohnungsmarkt hat sich seither massiv geändert, zu einem bedeutenden Teil auch durch die falsche Privatisierung kommunalen Eigentums. [Mit kommunalem Eigentum ist der Bestand der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gemeint.]
Grund für die Verkäufe waren zu dieser Zeit insbesondere auch Berlins Schulden in Milliardenhöhe, die zum Teil aus der Finanzierung des Sozialen Wohnungsbaus resultierten [Schönball, Ralf (2019): Experte warnte vor Privatisierung von Wohnungen. In: Der Tagesspiegel]. Durch die damals hohen Zinszahlungen verschuldete das Land Berlin sich stetig weiter. Das dabei gleichzeitig bestehende Überangebot an Wohnungen veranlasste deshalb zum Verkauf, wobei ökonomisch gesehen unterschiedliche Zyklen auf dem Markt bekannt waren und Kauf und/oder Neubau von Wohnungen – wie wir heute sehen – langwierig und kostspielig sind. So gingen sogar neu gebaute Sozialwohnungen in dieser Zeit genauso verloren wie langfristige Regulierungsmöglichkeiten für die Kommune, was letztlich viele Mieterinnen und Mieter „am eigenen Leib“ spüren mussten.
Eine Wende ist dringend erforderlich. Heute geht es dabei um knapp 240.000 Wohnungen und somit um circa 15 % des derzeitigen Berliner Wohnungsbestandes. Mit einem Vergesellschaftungsgesetz auf Grundlage von Artikel 15 GG könnte das gemeinwohlorientierte Segment anwachsen auf etwa 40 % der Mietwohnungen in Berlin. Das ist aus Sicht des BMV nicht genug, es würde das Land Berlin jedoch mit Ausgestaltung eines Vergesellschaftungsgesetzes einen guten Schritt voranbringen, denn es würde die Fehler von einst revidiert und die soziale Wohnungspolitik im Land Berlin gestärkt. Zur Erinnerung: Wohnen ist als Grundbedürfnis ein Grundrecht.
Die Schieflage auf dem privatisierten Berliner Wohnungsmarkt
Doch wie ist es derzeit um Maßnahmen zur Verbesserung der Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt bestellt?
Zunächst ist mit dem Berliner Mietendeckel zumindest temporär ein erster Schritt getan, um die massiven Mietsteigerungen zu begrenzen. Mittel- bis langfristig braucht es jedoch wieder mehr Anbieter von Wohnungen im gemeinwohlorientierten Segment auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Durch Zukauf und Neubau ist das nur sehr langsam und finanziell begrenzt möglich. Die Immobilienpreise sind um ein Vielfaches gestiegen, Baugrundstücke in Berlin sind knapp, allein die Bodenpreise machen in manchen Lagen rund 50 % der Entstehungskosten von Neubauten aus.
Es ist schwer einzusehen, dass privatwirtschaftliche Investoren und Unternehmen in den 1990er und 2000er Jahren kommunale Wohnungen für einen “Appel und ein Ei” erwarben, Land und Bezirke dieselben Bestände jedoch heute für ein Vielfaches der damaligen Preise zurückerwerben müssen. Und doch sind diese Ankäufe wichtig und richtig für die dort lebenden Mieterinnen und Mieter. Nicht zu unterschätzen sind zudem die Langzeiteffekte. Die Investitionen, welche große Wohnungsunternehmen zugunsten dieser Bestände getätigt haben, rechtfertigen häufig nicht die gestiegenen Preise, zumal diese Investitionen zumeist von Mieterinnen und Mietern über Modernisierungsmieterhöhungen wieder eingespielt wurden oder bereits über die Mieten amortisiert sind. Zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen – vor allem in den Jahren bis 2019 [Änderung des § 559 BGB – Inkrafttreten am 1.1.2019: Senkung der Investitionsumlage von 11 auf 8 % p.a. und Kappungsgrenzen von 2 (bei Mieten unter 7 Euro pro qm) bzw. 3 Euro pro qm] – sind vor allem in Hinblick auf Nutzen und Wirksamkeit für Mieterinnen und Mieter zu hinterfragen.
Deutlich spürbar ist: Der Wohnungsmarkt unterscheidet sich heute nicht mehr von herkömmlichen Märkten in Hinblick auf die “Spielregeln” und damit den Folgen von Angebot und Nachfrage. Zahlreiche Investoren spekulieren auf steigende Nachfrage und damit einhergehenden realisierbaren Preissteigerungen. Etliche private Wohnungsunternehmen handeln mit dem Fokus auf ihre Renditen, von denen Anleger und Gesellschafter immens profitieren. Das bedeutet auch, dass Investitionen in die Instandhaltung und Instandsetzung möglichst niedrig gehalten, umlagefähige Investitionen hingegen möglichst gewinnbringend erhöht werden. Mieterinnen und Mieter bleiben währenddessen auf ihren Wohnungsmängeln sitzen, Betriebs- und Nebenkosten steigen von Jahr zu Jahr oft sprunghaft, Mieten bei Neuvermietungen sind für einen großen Teil der Berliner Bevölkerung nicht mehr leistbar [siehe Exkurs: Einkommens- und Wohnsituation der Berliner Haushalte].
Die Strategien der Anbieter sind insgesamt vielfältig, doch hohe Renditen erzielten wohl alle privaten Wohnungsunternehmen in den vergangenen zehn Jahren. Mieterinnen und Mieter sind heute “Kunden”, ohne die sprichwörtlichen Könige zu sein. Die eigentlichen Könige im Geschäft sind Aktionäre, Anleger, Manager und Gesellschafter.
Wichtig ist das “Co” im Kampagnentitel – die großen Player haben die Marktmacht
Der Berliner Mieterverein kam zu dem Schluss, dass das Ziel der Kampagne, den großen Einfluss renditeorientierter Wohnungsunternehmen auf dem Wohnungsmarkt einzudämmen und auf diese Weise eine Steuerung des Wohnungsmarktes zu ermöglichen, als erforderlich angesehen werden muss. Insbesondere dann, wenn die Wohnraumversorgung als Daseinsvorsorge verstanden und ernstgenommen wird. Der Senat ist – wie bereits erwähnt – nach § 28 der Berliner Verfassung verpflichtet, ausreichend angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das schließt ein, dass dieser für weniger als 30 % des Haushaltsnettoeinkommens sowie in mangelfreiem Zustand verfügbar ist. Und auch wenn der aus den Fugen geratene Berliner Wohnungsmarkt inzwischen mehrheitlich einer neoliberalen Marktlogik folgt: Die Bewirtschaftung von Wohnraum gehört, ebenso wie der Zugang zu anderen lebensnotwendigen Ressourcen wie etwa Lebensmitteln oder Gesundheits- und Pflegeleistungen, zur Daseinsvorsorge.
Kleinvermieter werden weniger dem Druck des Marktes ausgesetzt sein
Diese Tatsache ist nicht in Einklang zu bringen mit dem Fokus der Unternehmen auf ihre Renditen. Bei kommunaler bzw. gemeinnütziger Wohnraumbewirtschaftung wäre die Situation durch die Abwesenheit des Ziels der Profitmaximierung grundsätzlich eine andere: Die Mieteinnahmen könnten stattdessen zur Rückzahlung der Kredite und für klimaschutzrelevante Investitionen genutzt werden und in Folge den Neubau von Wohnraum ermöglichen. Gelder würden nicht in Steueroasen oder in den Taschen einiger weniger Menschen verschwinden.
Das Zurückdrängen renditeorientierter Wohnungsunternehmen würde dabei auch insgesamt – und somit jenseits der Mieterinnen und Mieter – für mehr Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt sorgen. Das könnte am Ende sogar den örtlichen Kleinvermietern zugute kommen, die nicht weiter in die Preisspirale getrieben würden und stattdessen „Konkurrenzschutz“ bekämen.
Politische Teilhabe und direkte Demokratie müssen da gestärkt werden, wo es um die Grundbedürfnisse der Menschen geht
Die Kampagne “Deutsche Wohnen & Co enteignen” ist ein gutes Beispiel für politische Teilhabe und direkte Demokratie. Was die Initiative in den letzten Jahren auf die Beine gestellt und wie sie sich Gehör verschafft hat, ist ein Musterbeispiel demokratischer Teilhabe.
Der Berliner Mieterverein unterstützt deshalb die Initiative zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen, welche unter Ausnutzung von Marktmacht ihre Aktionäre, Anleger und Gesellschafter zu Lasten der Mieterinnen und Mieter bedienen.
Bitte tragen auch Sie zum Erfolg des Volksbegehrens bei und unterschreiben Sie beim Volksbegehren “Deutsche Wohnen & Co enteignen”.
Exkurs zu Artikel 15 Grundgesetz
Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet, womit die Bundesrepublik Deutschland begründet wurde. Nach dem Scheitern der Weimarer Republik und 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes der neuen Bundesrepublik eine Verfassung geben, die die Würde jedes Einzelnen in den Mittelpunkt stellt. Es wurde unmittelbar geltendes Recht für alle Staatsgewalt, obwohl es zunächst nur als Übergangslösung gedacht war und vorerst nicht den Namen “Verfassung” trug. Dies sollte erst nach einer Wiedervereinigung erfolgen und wurde somit erst am 3. Oktober 1990 mit dem Beitritt der Länder der ehemaligen DDR die “Verfassung des gesamten Volkes”. Seitdem gilt diese als Grundlage der deutschen Demokratie, wenngleich sie sich des Öfteren geändert hat.
Artikel 15 GG erlaubt darin die Vergesellschaftung von Privateigentum und fällt auf, weil er nicht recht in eine marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik – wie die Deutschlands – passt. In der Vergangenheit wurde gar mehrfach gefordert, diesen Artikel aus dem Grundgesetz zu streichen. Historisch wird der Artikel immer wieder betrachtet, weil er von zwei gegensätzlichen Wirtschaftsformen – die zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes existierten – zeugt. Zudem steht der Artikel in engem Zusammenhang mit Art. 14 GG bzw. der darin enthaltenen Eigentumsgarantie, da die Möglichkeit der “Vergesellschaftung” auf bestimmte, näher benannte Güter hier erweitert wurde [Kloth, Alexander (2020): Der kleine Unbekannte – Art. 15 GG: Die Sozialisierungsermächtigung des Grundgesetzes im Lichte der Berliner Enteignungsinitiative. In: Berliner Rechtszeitschrift. 2/2020: S. 87]. Die Organisierung privater Gewinne wird dabei einer gemeinwohlorientierten Wohnraumbewirtschaftung unterstellt. Das Verhältnis zwischen Art. 15 GG und 14 GG ist jedoch seit jeher umstritten. Ein sozialreformerischer Gestaltungswille, der bestimmte Eigentümer nicht mehr als Träger ihrer bisherigen wirtschaftlichen Machtstellung gelten lassen will, ist jedoch nur über Art. 15 GG normiert und nicht über Art. 14. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren wohl davon ausgegangen, dass die Rechtsprechung zu Artikel 15 GG im zeitlichen Verlauf das Verhältnis zur Enteignung noch konkreter ausgestalten würde. Durch die Etablierung der sozialen Marktwirtschaft in den 1950er Jahren wurde Sozialisierung bzw. Vergesellschaftung jedoch politisch “unattraktiv” und der Artikel ist wohl auch deshalb in der Vergangenheit praktisch nie angewendet worden. Im Hinblick auf die Akteure, deren Wohnungsbestände vergesellschaftet werden sollen, darf jedoch die Frage erlaubt sein, ob es sich in deren Bewirtschaftungsformen noch um eine Form der sozialen Marktwirtschaft handelt.
Exkurs zur Einkommens- und Wohnsituation der Berliner Haushalte
Eindeutig ist: Berlin verzeichnet bis 2019 seit einigen Jahren einen stetigen Zuwachs. 2019 lebten laut Mikrozensus 2.026.300 Haushalte in Berlin und damit 23.400 mehr als noch 2017. Zwei Drittel dieser Haushalte sind Single- und Zweipersonenhaushalte (52 % Single-, weitere 27 % Zweipersonenhaushalte) [im Corona-Pandemie-Jahr 2020 gab es erstmals wieder eine gebremste Zuwanderung. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen und Folgen die weltweite Pandemie für Berlin und andere Großstädte haben wird].
Rund 900.000 private Haushalte haben laut Mikrozensus 2020 (Datenlage 2019) dabei ein Nettohaushaltseinkommen von unter 2000 Euro monatlich. Das macht von insgesamt rund 2 Millionen Berliner Haushalten fast die Hälfte aus. Circa 570.000 Haushalte davon müssen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 1500 Euro monatlich auskommen.
Der Wohnungsmarktbericht 2019 der Investitionsbank Berlin (IBB) ermittelte anhand der vierjährigen Zusatzerhebung des Mikrozensus zur Wohnsituation außerdem die Mietbelastungsquote für Berliner Haushalte mit Daten aus 2018 [Investitionsbank Berlin (2019): Wohnungsmarktbericht 2019]. Durchschnittlich machte dabei die Miete 28,2 % des Einkommens aus. 39 % aller Haushalte lagen über der 30-%-Marke, besonders betroffen waren Alleinstehende und Alleinerziehende – bei knapp 50 % der beiden Gruppen gingen mindestens 30 % ihres Einkommens in die Miete. Ein weiterer Faktor für die Mietbelastung ist der Einzugszeitpunkt. Durch die massiv steigenden Mieten der vergangenen Jahre sind knapp die Hälfte aller Mieterinnen und Mieter, die nach 2015 ihre Wohnung bezogen, von einer Mietbelastung über 30 % ihres Einkommens betroffen. Und auch die aus dem In- und Ausland zugewanderten Menschen der letzten zehn Jahre müssen über ein Haushaltsnettoeinkommen von über 1.500 Euro monatlich verfügen, um einen neuen Mietvertrag in den letzten fünf bis sieben Jahren abgeschlossen haben zu können.
27.08.2023