An der Calvin-, Ecke Melanchthonstraße werden 60er-Jahre-Wohnhäuser luxussaniert. Die noch verbliebenen Mieter der Calvinstraße 21 sollen mit extremen Mieterhöhungen und haltlosen Kündigungen zum Auszug gedrängt werden.
Den sechs Mietparteien das Hauses Calvinstraße 21 – neun Wohnungen stehen bereits leer – ist allen zum 31. Dezember 2011 beziehungsweise zum 31. Januar 2012 von der Eigentümerin Terrial GmbH gekündigt worden. Als Grund werden Mietrückstände angegeben. Die Mieter leben seit 2006 inmitten einer Großbaustelle und haben folgerichtig wegen des Lärms und Drecks die Miete gemindert. Der Berliner Mieterverein (BMV) hält die Abzüge von 10 bis 20 Prozent für „vollkommen gerechtfertigt“, so Geschäftsführer Reiner Wild. Dennoch werden die Mieter nun wie Mietschuldner behandelt.
Dazu bekamen die Mieter Modernisierungsankündigunggen, mit denen sich ihre Nettokaltmiete um 5,97 Euro pro Quadratmeter mehr als verdoppeln würde. „Mir ist kein Fall bekannt, wo es eine derartige Mieterhöhung schon einmal gegeben hätte“, sagt Reiner Wild. Die Mieter – darunter viele Rentner und noch eine Erstbezieherin von 1961 – können sich das nicht leisten.
Die Eigentümerin Terrial begann 2006 damit, das Haus Melanchthonstraße 17/18 um zwei aufwendig ausgestattete Wohnetagen aufzustocken. Anschließend wurde auf dem benachbarten freien Eckgrundstück Melanchthonstraße 16/Calvinstraße ein achtgeschossiger Neubau hochgezogen. Vor die Fenster an den Giebelseiten der Melanchthonstraße 17 und Calvinstraße 21 wurden dabei abstandslos Mauern gesetzt. „Ich kam eines Tages nach Hause und die Fenster waren zu“, berichtet Mieterin Helga Brandenburger. Ihre Küche und ihr Bad haben nun kein Licht mehr und können nur über die anderen Zimmer entlüftet werden.
Im nächsten Schritt war das Haus Calvinstraße 20 a/b dran. Die dortigen Mieter hatten nach der Modernisierungsankündigung das Haus fluchtartig verlassen. Das Gebäude wurde völlig entkernt, luxussaniert und ebenfalls um zwei Etagen aufgestockt.
Als „Bellevue-Ensemble“ werden die Wohnungen zum Kauf oder zur Miete angeboten. Eine 136 Quadratmeter große Wohnung kostet über 700 000 Euro. Die Nettokaltmieten liegen teilweise über 18 Euro pro Quadratmeter. „Das ist Gentrifizierung in krasser Form“, sagt Dr. Stefan Appelius, Mieter in der Melanchthonstraße.
Die Calvinstraße 21 wäre der letzte Baustein dieses „Ensembles“. Auch in der Melanchthonstraße wurde einem halben Dutzend Altmietern wegen angeblicher Mietrückstände fristlos gekündigt. Vor Gericht haben die Kündigungen keine Chance, aber viele Mieter halten es verständlicherweise nicht aus, mit Klagen überzogen zu werden und sich von Terrial-Mitarbeitern auf der Straße fragen zu lassen, was sie hier noch machen würden. „Es soll den Mietern signalisiert werden: Wir machen mit euch, was wir wollen“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Die Bewohner haben sich zusammengeschlossen, um sich gemeinsam zu wehren. Kritik erntet auch das Bezirksamt Mitte, das die Aufstellung einer Umstrukturierungssatzung abgelehnt hat. „Der Bezirk sieht der Verdrängung der bisherigen Wohnbevölkerung tatenlos zu“, so Wild.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/12
„… und plötzlich waren die Fenster zugemauert“: Badezimmer eines Terrial-Mieters
Foto: Sabine Münch
02.01.2018