Der bevorstehende Klimawandel erfordert ein schnelles Handeln. Um die Erderwärmung aufzuhalten, müssen sich unsere Wohnungen, unsere Wohnhäuser und unser Wohnverhalten in einer relativ kurzen Zeit ändern. In Deutschland entfallen rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO2-Emissionen auf die Bewirtschaftung von Gebäuden. Die energetische Sanierung ist deshalb ein zentraler Punkt im Energiekonzept der Bundesregierung von 2010. Den CO2-Ausstoß will sie bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent senken. Konkrete Vorgaben, wie dieses Ziel erreicht werden soll, fehlen allerdings noch.
Im Dezember 2011 eröffneten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesbauminister Peter Ramsauer in der Berliner Fasanenstraße 87 ein ökologisches Modellhaus. Das „Effizienzhaus Plus“ soll über die Solaranlage auf dem Dach und an den Außenwänden doppelt so viel Energie gewinnen wie es selbst verbraucht. „Dieses Haus zeigt, was heute schon möglich ist“, sagte Angela Merkel bei der Eröffnung.
Noch steht das Einfamilienhaus für neugierige Besucher offen. Im März zieht hier eine vierköpfige Familie ein, die aus 132 Bewerbern ausgewählt wurde. Sie soll unter wissenschaftlicher Beobachtung 15 Monate lang testen, wie das Modell im Alltag funktioniert. Die Familie wohnt mietfrei in der voll ausgestatteten und möblierten Wohnung. Von ihr wird lediglich verlangt, dass sie mit Messungen einverstanden ist sowie zur wissenschaftlichen Begleitung Fragebögen ausfüllt und Tagebücher über die Techniknutzung führt.
Das Energieüberschusshaus steht im Vorgarten eines von Bundesbaubehörden genutzten Bürogebäudes, ganz in der Nähe des Bahnhofs Zoo. Es hat auf zwei Geschossen eine Wohnfläche von 136 Quadratmetern. Zwei Außenwände sind mit Dreifach-Isolierfenstern verglast, die beiden anderen Außenmauern und das Flachdach sind fast vollständig mit Fotovoltaikmodulen und Sonnenkollektoren bedeckt. Der überschüssige Strom, der nicht für die Haustechnik und die Elektrogeräte verbraucht wird, lässt sich in das allgemeine Stromnetz einspeisen, soll aber vor allem in Hochleistungsbatterien gespeichert und zum Aufladen von Elektroautos oder -fahrrädern verwendet werden. „Mein Haus – meine Tankstelle“, lautet für Bau- und Verkehrsminister Ramsauer das Motto. „Ich will, dass dieses Haus kein Prototyp bleibt.“ Für den Bau weiterer als Plusenergiehäuser konzipierter Wohngebäude stellt der Bund 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. Wenn sich die Bauherren auf eine wissenschaftliche Begleituntersuchung einlassen, können sie bis zu 70.000 Euro an Fördergeldern vom Bund erhalten.
Einfamilienhäuser wie das „Effizienzhaus Plus“ können aber für Großstädte wie Berlin keine Lösung sein. Denn ein solches Konzept für ein Mehrfamilienhaus in der dichtbebauten Innenstadt umzusetzen, ist schon bedeutend schwieriger. Auf das Aufladen von Elektroautos könnte man hingegen in Berlin mit seinem vorbildlich ausgebauten Nahverkehrsnetz und guten Bedingungen für das Radfahren und das Zufußgehen auch verzichten.
Das energetisch sinnvolle, kompakte innerstädtische Bauen gerät in der Praxis oft mit stadtökologischen Aspekten in Konflikt. Wenn Baulücken geschlossen werden, gehen mikroklimatisch wichtige Freiflächen verloren, die für einen Luftaustausch sorgen, das Versickern von Regenwasser ermöglichen und auf denen Pflanzen Kohlendioxid in Sauerstoff umwandeln können. Dach-, Fassaden- und Hofbegrünungen sind zwar wirksame Maßnahmen zur Verbesserung des Mikroklimas, sie werden aber immer noch viel zu selten konsequent angewandt.
Öko-Modellhäuser sind fast immer Neubauten. Mit Neubauprojekten allein lässt sich die Klimawende allerdings nicht bewältigen. Die allermeisten Menschen wohnen in Altbauten, und daran wird sich auch in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern. Alte Gebäude massenhaft abzureißen, um Platz für ökologisch einwandfreie Neubauten zu schaffen, widerspräche auch dem Nachhaltigkeitsgedanken eklatant. Es kommt also darauf an, die bestehenden Wohngebäude zukunftstauglich zu machen.
Forscher des Fraunhofer-Instituts haben deshalb ein Konzept entwickelt, wie sich ein typisches, 1968 gebautes Hochhaus in Freiburg in ein modernes und umweltfreundliches Passivhaus umbauen lässt. Es ist das weltweit erste Hochhaus im Passivstandard: Es bezieht seine Wärme vollständig aus der Sonneneinstrahlung und braucht wegen seiner guten Dämmung keine klassische Heizungsanlage. Eine neue thermische Hülle, Dreifach-Isolierglasfenster und eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung halten die Wärme in den Wohnungen. Auch die Grundrisse wurden verändert: Da Single-Haushalte zunehmen, wurden die ursprünglich sechs Wohnungen pro Geschoss in neun kleinere Wohneinheiten unterteilt. Das Haus ist nach 18-monatiger Sanierungszeit im Mai 2011 wieder bezogen worden.
Das Passiv-Hochhaus in Freiburg ist Teil des Szenarios „Morgenstadt“, das das Fraunhofer-Institut im Oktober auf der Messe „UrbanTec“ in Köln vorgestellt hat. Es soll zeigen, wie eine nachhaltige Stadt der Zukunft aussehen könnte. In der Morgenstadt gibt es einen ökologischen Mietspiegel, der Vermietern Anreize gibt, ihre Häuser energetisch zu sanieren. Nahwärmeversorgung mit Kraft-Wärme-Kopplung und Solarenergie wurden in der Zukunftsvision systematisch auf große Teile der Stadt ausgedehnt. Eine Hilfe zum Stromsparen ist der intelligente Stromzähler („Smart Meter“), der bei Neubauten und bei erheblichen Umbauten seit 2010 Pflicht ist. Mit ihm können Kunden jederzeit den aktuellen Stromverbrauch digital ablesen und zum Beispiel die Waschmaschine dann einschalten, wenn die Stromtarife günstig sind. Voraussetzungen dafür sind zum einen intelligente Stromnetze, die registrieren, wann die Auslastung gering ist, und zum anderen Stromanbieter, die zu diesen Zeiten günstigere Tarife anbieten.
Dass auch die modernste Energiespartechnik und die beste Dämmung nicht automatisch zum Gewinn für die Umwelt werden, dafür sorgt auch der Faktor Mensch. Oft werden neue Fenster und Wärmedämmplatten falsch eingesetzt. Dadurch hat die Schimmelproblematik in den letzten Jahren stark zugenommen. Und: Bewohner müssen ihr Heiz- und Lüftungsverhalten anpassen, um Schimmelbildung zu vermeiden. Alte Gewohnheiten sind wahrscheinlich schwerer zu ändern, als die Häuser in einen energetischen Top-Zustand zu bringen. Die besten Isolierglasfenster nützen schließlich nichts, wenn man sie im Winter bei aufgedrehter Heizung in Kippstellung offen stehen lässt. Jede noch so positive Öko-Bilanz, die in der Theorie errechnet wurde, wird zunichte gemacht, wenn die Bewohner ständig in allen Räumen das Licht brennen lassen, beim Kochen auf Topfdeckel verzichten, alle Elektrogeräte stand-by betreiben, die Spülmaschine immer nur halb befüllen, einen stromfressenden Uralt-Kühlschrank benutzen oder beim Kauf von neuen Haushaltsgeräten mehr auf den Kaufpreis achten als auf die Energieeffizienzklasse.
Jens Sethmann
Es werde Licht!
Die Glühlampe, die nur fünf Prozent der Energie in Licht umwandelt, den Rest als Wärme abgibt, wird ab September 2012 endgültig Geschichte sein. Aber auch die Energiesparlampe, die mit einer Leistung von 11 Watt etwa die Leuchtkraft einer herkömmlichen 60-Watt-Glühbirne hat, könnte bald von noch sparsameren LED-Lampen verdrängt werden. Die punktförmigen Leuchtdioden haben gegenüber Energiesparlampen den Vorteil, dass sie sofort nach dem Einschalten die volle Helligkeit abgeben und kein Quecksilber enthalten. Allerdings reicht beim jetzigen Stand der LED-Technik die Lichtabgabe häufig noch nicht aus, um ganze Räume mit einer üblichen Deckenlampe zu beleuchten.
js
MieterMagazin 1+2/12
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Besichtigung des „Effizienzhauses Plus“, Fasanenstraße 87, Berlin-Charlottenburg, Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr, bis zum 29. Februar
07.07.2019