Älter und bunter wird das Leben in der Stadt der Zukunft aussehen. Weniger Kinder und Jugendliche, dafür mehr Grauköpfe und Zuwanderer aus verschiedenen Kulturen werden das Straßenbild prägen. Während dieser demografische Wandel unaufhaltsam ist, hängt die Entwicklung sozialer Gesichtspunkte des Lebensraums Stadt ganz wesentlich von der politischen Weichenstellung ab. Wird es gelingen, die viel beschworene soziale Mischung zu erhalten? Oder werden sich die Reichen in ihre Gated Communities zurückziehen, während die Unterprivilegierten an den Stadtrand gedrängt werden?
Eine der größten sozialen Herausforderungen, vor der die bundesdeutsche Gesellschaft steht, ist zweifelsohne der Altersumbau. Kinder und Jugendliche werden – sofern kein Wunder geschieht – im Jahre 2040 in der Minderheit sein, während der Anteil der Alten kontinuierlich wächst. Vor allem die Gruppe der Hochbetagten über 80 Jahre wird in den nächsten Jahrzehnten dramatisch zunehmen, von rund 3,2 Millionen im Jahr 2009 auf 8 Millionen im Jahre 2050. Die Hälfte davon wird pflegebedürftig sein, ein Drittel wird an Demenz erkranken. Die Wohnungswirtschaft wird sich darauf einstellen müssen. Es wird seniorengerechte Wohnungen, aber auch Mehrgenerationenhäuser und Demenz-Wohngemeinschaften geben. Erdgeschosswohnungen werden heiß begehrt sein, und Spielplätze und Jugendzentren werden zu Fitness-Parks und Begegnungsstätten für Ältere umgebaut.
Der Trend zur Vereinzelung wird im Jahre 2040 aller Voraussicht nach ungebrochen sein. Immer mehr Menschen leben allein – freiwillig oder zwangsweise, vorübergehend oder langfristig. Mit über 50 Prozent ist ihr Anteil zumindest in der Single-Hochburg Berlin kaum noch steigerbar. Neu wird sein, dass es sich nicht so sehr um „Nestflüchter“ und Studenten handelt, sondern um ältere Menschen. Problematisch ist dies, weil man bei Krankheit und zunehmend eingeschränkter Mobilität im Alter auf ein gut funktionierendes Netzwerk angewiesen ist. Doch in dieser Lebensphase schaffen es die wenigsten, sich neue soziale Kontakte aufzubauen. Ohne Familie und ohne festes nachbarschaftliches Gefüge werden sie auf sich allein gestellt sein.
Die Wohnungsunternehmen werden daher in Zukunft auch ein soziales Management anbieten müssen, schreibt der Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Dazu gehören Dienste wie Tauschringe, Altenbetreuung oder Nachbarschaftshilfevereine. Zwar geht Opaschowski davon aus, dass ein solches soziales Wohnungsmanagement als „Betreutes Wohnen plus“ auch in ökonomischer Hinsicht erfolgreich sein kann. Dennoch stellt sich die Frage, wie diese Aufgabe angesichts des Bedeutungsverlusts kommunaler Wohnungspolitik gestemmt werden soll. „Wir erleben derzeit eine Professionalisierung des Immobilienmarkts – weg vom privaten Einzeleigentümer vor Ort, der die Vermietung oft im Nebenerwerb betreibt, hin zum renditeorientierten Unternehmen“, sagt Gregor Jekel vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Die Folgen sind nicht nur höhere Mieten, sondern ein ausschließlich am kurzfristigen Profit ausgerichtetes Handeln. Der Handwerker, der ein Mietshaus zur Altersvorsorge besitzt und der ein gewisses Interesse am nachbarschaftlichen Miteinander und an einer lebendigen Gewerbestruktur hat, ist eine aussterbende Spezies. Gerade Berlin wird zunehmend von Finanzinvestoren aus aller Welt entdeckt, die zum erworbenen Haus oder gar zum Stadtteil keinerlei Bezug haben. Ob die Gewerberäume an einen Gemüseladen oder ein Spielcasino vermietet werden, entscheidet allein die Rendite. An der Aufwertung, sprich: Gentrifizierung, des Quartiers sind diese neuen Eigentümergruppen naturgemäß stark interessiert.
„Die entscheidende Frage ist, ob das Wohnen in der Innenstadt auch weiterhin für Einkommensschwache bezahlbar bleibt“, meint Gregor Jekel. Fast alle Prognosen gehen davon aus, dass die Schere zwischen Arm und Reich künftig noch weiter auseinander gehen wird, gleichzeitig ist der Run auf Innenstadtlagen enorm. Wenn hier nicht gegengesteuert wird, ist Berlin im Jahre 2040 endgültig auf dem Weg zu einer sozial-räumlich gespaltenen Stadt, prophezeit Jekel: „Wir hätten dann Zustände wie in Paris oder London, wo sich nur noch bestimmte Einkommensgruppen das Wohnen in der City leisten können.“
Nun könnte man ketzerisch fragen, ob das wirklich so schlimm ist. Zumindest die Reichen werden in ihren exklusiven „Latte-Macchiato-Vierteln“ die soziale Mischung vermutlich gar nicht vermissen. Für Menschen, die wenig haben, seien durchmischte Quartiere allerdings eine große Chance, betont die Soziologin und Stadtforscherin Martina Löw in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das eröffne ganz andere Arbeitsmöglichkeiten und vor allem ein informelles Kontaktnetz. Homogene Quartiere dagegen nehmen den Bevölkerungsgruppen die Chance, sich im Austausch miteinander gegenseitig zu unterstützen. Das Ideal der urbanen Stadt wird dadurch bestimmt, dass sich die unterschiedlichen Milieus überschneiden und ihre Vertreter jederzeit die Möglichkeit haben, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Die stark segregierte Stadt wäre also das Aus der Urbanität – doch wie lässt es sich verhindern?
Nach Überzeugung von Jekel ist das nur über eine aktive Wohnungsmarktpolitik der Kommunen zu steuern, zum einen durch Bereitstellung von öffentlichem oder preisgebundenem Wohnraum – gerade auch in Innenstadtlagen – und zum anderen über eine aktive Bodenpolitik, wie sie seit Jahren beispielsweise erfolgreich in Ulm praktiziert wird. Dort kauft die Kommune systematisch Grundstücke auf und koppelt ihre Bebauung durch Investoren oder Genossenschaften an bestimmte Vorgaben, etwa bezüglich der Sozialstruktur. In Berlin werden dagegen selbst die landeseigenen Grundstücke ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des maximal erzielbaren Preises veräußert.
Birgit Leiß
Die Selbsthilfe wird pragmatisch
Leere öffentliche Kassen, die Krise der Erwerbsgesellschaft und ein steigender Bedarf an Unterstützungsleistungen beispielweise für Senioren – was liegt da näher, als auf bürgerschaftliches Engagement zu bauen? Zukunftsforscher Horst Opaschowski prognostiziert einen neuen Bürgersinn: Statt vom Staat würden künftig viele Aktivitäten im Rahmen der Nachbarschaftshilfe ehrenamtlich organisiert. „Für die Zukunft zeichnet sich ein neuer Typus von Solidarität ab, der von Pflichtgefühl und Helferpathos wenig wissen will“, schreibt Opaschowski. Die engagierten Bürger von morgen erwarten durchaus finanzielle Anreize für ihren Einsatz, etwa Steuererleichterungen oder Vergünstigungen im Nahverkehr. Auch Eigeninteresse spiele eine Rolle, etwa wenn Eltern den Bau eines Spielplatzes übernehmen. Der Zukunftsforscher stützt sich bei seinen Prognosen auf Befragungen. Diese haben die vorhandene Bereitschaft der Bürger zum ehrenamtlichen Engagement immer wieder bestätigt.
bl
MieterMagazin 1+2/12
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bl
17.12.2015