„Vernetztes“, „intelligentes“, „smartes“ Wohnen und „Home Automation“ heißen die Schlagwörter, die für eine umfassende Technisierung und Automatisierung des Wohnbereichs stehen. So wie moderne Technik die öffentlichen Bereiche Produktion, Büro, Kommunikation, Handel und Verkehr erobert hat, soll nun auch der private Bereich des Rückzugsorts Wohnung aufgerüstet werden. Wir werden in einer digitalen Gesellschaft leben. Wir werden alles im Griff haben. Oder wird die Technik uns in den Griff nehmen?
Als der Architekt August Orth 1867/1868 in der Berliner Wilhelmstraße 70 für den Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg ein Palais errichten ließ, war es – schließlich war Strousberg als Eisenbahnpionier ein Mann des Fortschritts – das modernste Gebäude Berlins. „Die Oberlichter der Treppe, der Bibliothek und des Tanzsaals werden am Abend durch bewegliche Schirme mit Gasflammen erleuchtet. Neben dem Tanzsaal lässt sich durch Niederlegen einer parquettirten Wand in dem anstossenden bedeckten Lichthofe eine kleine Bühne für theatralische oder musikalische Aufführungen einrichten. Die Erwärmung des Hauses erfolgt durch Warmwasserheizung; für den Betrieb der Küche, der Back-, Wasch- und Badevorrichtungen wird durchweg Dampfkraft benutzt“, heißt es dazu in dem Buch „Berlin und seine Bauten“ aus dem Jahr 1877. Geld spielte dabei keine Rolle: 300.000 Taler kostete das Gebäude, 122.500 Taler das Grundstück. Bereits 1875 musste Strousberg das Palais allerdings aufgeben, da er sich verspekuliert hatte und sein Finanzimperium in Konkurs gegangen war. Das Gebäude wurde vermietet, unter anderem an die englische Botschaft, und mehrmals umgebaut. Der letzte britische Botschafter vor dem Zweiten Weltkrieg, Sir Nevile Henderson, beschrieb die Botschaft als „eng, finster und muffig“.
Genauso wohnten freilich auch die Normal-Berliner in dieser Zeit. Zwar war 1876 der Kühlschrank, 1901 die elektrische Waschmaschine, in den 1920er Jahren der Elektroherd und der elektrische Geschirrspüler erfunden worden – leisten konnten sich diese technischen Errungenschaften allerdings die wenigsten. Rundfunkempfänger, Grammofon und später das Fernsehgerät waren lange Zeit Luxus. Erst ab den 1960er Jahren entwickelte die Technisierung der Haushalte zunehmend Tempo. Daran hatten auch Veränderungen der gesamtgesellschaftlichen Bedingungen ihren Anteil: Die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen erforderte Erleichterungen in der Hausarbeit. Und höhere Einkommen sowie die Massenproduktion technischer Haushaltgeräte ermöglichten breiten Kreisen den Zugang zu neuester Technik.
Eine Grundausstattung mit elektrischen und elektronischen Geräten ist heute selbstverständlich. Über 80 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über einen Computer. Viele Wohnungen werden bereits mit Internet-Zugang vermietet. Fernsehen, Computer, Haushaltsgeräte, Playstation, Handy & Co. wachsen immer weiter zusammen.
1997 bezog Bill Gates, Begründer von Microsoft und einer der reichsten Männer der Welt, sein „Cyberhome“, ein komplett vernetztes und computergesteuertes Anwesen am Lake Washington bei Seattle – für rund 100 Millionen Dollar. Bewohner und Besucher tragen einen Chip, der alle Vorlieben und Gewohnheiten speichert und dem Zentralcomputer im Haus den aktuellen Aufenthaltsort meldet. Beim Betreten eines Raumes schaltet sich eine individuelle Beleuchtung ein, die Temperatur passt sich an, die Lieblingsmusik erklingt, an den Wänden leuchten die Lieblingsbilder in digitalen Bilderrahmen, im Badezimmer stellt sich die Wassertemperatur ein. Der Chip, der die Ausgangsinformationen speichert, könnte heute ohne weiteres auch implantiert werden. Zukunftsmusik?
Realität sind auch Home-Office-Arbeit, Telefon- und Videokonferenzen, die zwar unproduktive Wegezeiten und zeitraubende Meetings vermeiden, aber auch das produktive Miteinander und den spontanen Gedankenaustausch unterbinden. Ebenfalls zu haben: der in der Küche installierte Scanner, der den aktuellen Bestand und Fehlbestand an Lebensmitteln und anderen Waren kontrolliert und ab einem bestimmten Schwellenwert den Bewohner informiert oder einen Dienstleister mit der Beschaffung beauftragt.
Schließlich auch schon Realität: Fabbing – das Herstellen von Gegenständen des täglichen Bedarfs zu Hause. Eine Maschine von der Größe eines Geschirrspülers formt auf Knopfdruck über eine PC-Schnittstelle Teller, Schüsseln, Besteck und anderen Alltagsbedarf aus Kunststoff. Solch autonomes Leben – das an das Dasein auf einer Raumstation erinnert – wird aber wohl nicht jedermanns Geschmack sein.
Rainer Bratfisch
Guten Morgen ohne Sorgen
„Lieber Nutzer, guten Morgen! Deine Lieblingsmilch der Marke Kuhstolz ist zurzeit nicht in der von Dir benannten Preisspanne und Geschwindigkeit verfügbar. Meine Bestellung erfolgte nun für ein ähnliches Produkt. Mein Gesundheitscheck ergab, dass sich die Bestandteile nicht wesentlich von Deiner Lieblingsmarke unterscheiden. Bitte teile mir doch durch Druck auf den [OK] Knopf oder Kopfnicken mit, ob diese Alternative auch in Zukunft infrage kommt.“
MieterMagazin 1+2/12
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