Dass in Berlin dringend viele neue Wohnungen gebaut werden müssen, bezweifelt niemand mehr. Durch Zuzug gewinnt die Stadt jedes Jahr rund 40.000 Einwohner. Dazu kommt noch eine unberechenbare Zahl von Flüchtlingen, die auch ein Dach über dem Kopf brauchen. Doch obwohl es in Berlin jede Menge Brachflächen gibt, sind kurzfristig bebaubare Grundstücke knapp und teuer.
Von einer „historischen Aufgabe“ spricht Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, wenn er an den Neubau dringend benötigter Wohnungen denkt. „Ich bin aber sicher, dass wir dies meistern werden. 30.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen ist keine Hexerei“, erklärt der Senator. Auch in den 90er Jahren hat Berlin in dieser Größenordnung Wohnungen gebaut. „Wir brauchen dazu natürlich Bauplätze“, so Geisel. „Wir sind permanent dabei, neue Flächen zu aktivieren und die planungsrechtlichen Grundlagen für den Bau neuer Wohnungen zu schaffen.“ Der 2014 beschlossene Stadtentwicklungsplan Wohnen 2025 zeigt zwar Flächen auf, die für den Bau von 215.000 Wohnungen reichen, kurzfristig verfügbar sind davon aber nur die wenigsten Grundstücke.
Der Senat hat deshalb mehrere Änderungen des Flächennutzungsplans vorgenommen, um auf Flächen, die für andere Nutzungen vorgesehen waren, das Wohnen zu ermöglichen (siehe Kasten). Eine Änderung der Bauordnung und ein Wohnungsbaubeschleunigungsgesetz sollen Genehmigungsverfahren abkürzen und das Bauen vereinfachen. Bei Bauvorhaben mit mehr als 200 Wohnungen entzieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt grundsätzlich den Bezirken das Bebauungsplan-Verfahren, um die Planung zu beschleunigen. Bei den Buckower Feldern, dem Mauerpark und der Elisabethaue hat er dies getan – offensichtlich auch, um Bürgerbegehren auf Bezirksebene abzuwehren.
Grundstückstransfer an kommunale Unternehmen
Landeseigene Grundstücke werden von der Berliner Immobilienmanagement (BIM) als Sachwerteinlage an die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften übereignet. Im November 2015 hat der Senat eine dritte Tranche beschlossen: Die 43 Grundstücke liegen in allen Bezirken und haben einen Verkehrswert von 82 Millionen Euro. Zusammen mit den Grundstücken aus den ersten beiden Tranchen wurden so Flächen im Wert von 108 Millionen Euro an die Wohnungsbaugesellschaften übertragen, die dort über 2000 Wohnungen errichten können.
Auch für den Bau von Flüchtlingsunterkünften für 24.000 Menschen werden händeringend Flächen gesucht. Die Grundstücke müssen etwa 10.000 Quadratmeter groß sein, denn der Senat plant Modulbauten, die aus mehreren fünfgeschossigen Einheiten für je 75 Bewohner bestehen. Dazu kommt jeweils ein eingeschossiges Funktionsgebäude. Die Unterkünfte haben kleine Zimmer und sollen später auch für andere Zwecke nutzbar sein, zum Beispiel als Studentenwohnheim. Die Genehmigungsverfahren für diese Modulbauten entzieht der Senat den Bezirken ebenfalls. Im Auftrag der Senatsverwaltung für Finanzen wurden 5514 Grundstücke überprüft. Als geeignet haben sich aber nur 85 Flächen herausgestellt, davon sind lediglich 51 kurzfristig nutzbar. Diese Bauplätze sind sehr ungleich verteilt. Sie liegen vor allem am Stadtrand und ballen sich in Buch und Neu-Hohenschönhausen. Innerhalb des S-Bahn-Rings liegen hingegen nur drei Standorte, in den Bezirken Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg gar keine.
Der Senat will deshalb auch auf das Tempelhofer Feld zugreifen. Im November brachte er eine Änderung der entsprechenden Gesetze auf den Weg, mit der die Errichtung von mobilen Flüchtlingsunterkünften an den Rändern des ehemaligen Flugfeldes erlaubt werden soll. Das im Mai 2014 per Volksentscheid beschlossene Gesetz schreibt eigentlich die vollständige Freihaltung des Feldes vor. Der Senat will nun dort, wo er einst den Bau von 4700 Wohnungen vorgesehen hatte, mobile Bauten für Flüchtlinge und Asylsuchende aufstellen – befristet bis Ende 2019. Kritiker sind sehr skeptisch, sieht es doch ganz so aus, als wollte der Senat die erstbeste Gelegenheit nutzen, den ungeliebten Volkswillen aufzuweichen. Andreas Geisel versichert: „Wir stellen damit das Ergebnis des Volksentscheids und das geltende Tempelhof-Gesetz nicht in Frage. Es geht nicht um die Bebauung der Ränder des Tempelhofer Feldes, sondern um die befristete Möglichkeit, dort Flüchtlinge unterzubringen.“
Um Länder und Kommunen bei der Schaffung von Sozialwohnungen und der Unterbringung von Flüchtlingen zu unterstützen, gibt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) Bundesliegenschaften verbilligt ab. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat dazu im Dezember eine neue Richtlinie beschlossen. Für öffentliche Zwecke gab es schon vorher Preisnachlässe. Nun gehören auch der Bau von Sozialwohnungen und Flüchtlingsunterkünften zu den Zwecken, für die Verbilligungen gewährt werden. Wenn auf einem Grundstück mindestens acht Sozialwohnungen im Geschosswohnungsbau errichtet werden sollen, verringert sich der Kaufpreis um 25.000 Euro pro neu geschaffener Wohneinheit. Für Flächen, auf denen Flüchtlingsunterkünfte entstehen sollen, gibt es einen Nachlass von 350.000 bis 500.000 Euro pro Kaufvertrag.
Das gilt aber nur für Konversionsflächen, also Grundstücke, die ehemals militärisch genutzt wurden. In Berlin sind das zum Beispiel die Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau, die Kaserne Hessenwinkel in Rahnsdorf und die Rheinpfalzallee 83 in Karlshorst. Sie gehören zu den Flächen, die der Senat für die Flüchtlingsunterbringung vorsieht.
Altlasten und fehlende Erschließung
Warum ist es so schwierig, schnell bebaubare Grundstücke zu finden? Wenn man die Innenstadt auf dem S-Bahn-Ring umkreist oder auf den Ausfallstraßen stadtauswärts fährt, sieht man schließlich massenhaft Brachflächen, die sich auf den ersten Blick für den Wohnungsbau eignen. Insbesondere die ehemals gewerblich genutzten Flächen sind jedoch häufig mit Altlasten verseucht. Bevor hier auch nur eine Wohnung gebaut wird, müsste man einen teuren und langwierigen Bodenaustausch vornehmen. Viele Grundstücke haben auch keine Erschließung. Man müsste also erst Straßen, die Kanalisation, Strom-, Gas-, Fernwärme- und Telekommunikationsleitungen heranführen. Darüber hinaus sehen private Eigentümer oft keinen Anreiz, Brachflächen zu bebauen, denn die Grundsteuer ist für ein unbebautes Grundstück sehr niedrig oder wird dem Eigentümer sogar vollständig erlassen. Nur für voll genutzte Grundstücke wird die volle Grundsteuer erhoben. Der Deutsche Mieterbund (DMB) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) fordern deshalb eine Grundsteuerreform. „Besteuert werden darf künftig nur noch der Boden. Die Größe und der Wert des Grundstücks müssen Maßstab für die Höhe der Grundsteuer sein, nicht mehr die vorhandene Bebauung“, so DMB-Präsident Franz-Georg Rips und NABU-Vorsitzender Olaf Tschimpke in einer gemeinsamen Erklärung. „Wir brauchen Anreize, um teil- und unbebaute Grundstücke zu bebauen und zu verdichten und Baulücken zu schließen. Gleichzeitig dürfen Investitionen, wie Sanierungen, Um-, An- oder Ausbauten, nicht mit höheren Steuern bestraft werden.“ Eine Grundsteuerreform, die den Wert des Bodens zum Maßstab macht, würde das spekulative Zurückhalten von Bauflächen teurer machen, brächte so Bewegung in den Grundstücksmarkt und setzte Investitionsanreize für den Wohnungsbau.
Jens Sethmann
Mehr Wohnen im Flächennutzungsplan
Im November hat der Senat den Berliner Flächennutzungsplan (FNP) an zehn Stellen geändert, um dort den Bau von 6580 Wohnungen zu ermöglichen. Allein auf dem ehemaligen Militärgelände in Lichterfelde-Süd sollen 2500 Wohnungen entstehen. Rund 1000 Wohnungen können auf einem brachliegenden Gewerbegebiet am Blockdammweg in Karlshorst errichtet werden. In Mahlsdorf sollen auf zwei Flächen an der Elsenstraße und an der Parlerstraße 920 Wohnungen entstehen. In Spandau wird eine Gewerbefläche zwischen Niederneuendorfer Allee und Havel in ein Wohngebiet mit 315 Wohnungen umgewandelt sowie ein Teil des Waldkrankenhaus-Geländes an der Griesingerstraße für den Bau von rund 200 Wohnungen erschlossen. In Kreuzberg werden an der Stresemannstraße, am Halleschen Ufer und an der Lindenstraße Gemeinbedarfs- und Kerngebiete in Mischgebiete umgewidmet, damit dort insgesamt 720 Wohnungen entstehen können. An der Wexstraße in Schöneberg sollen bis zu 400 Wohnungen gebaut werden. Durch Umplanungen in der Wissenschaftsstadt Adlershof entstehen zusätzlich 350 Wohnungen. Am Mohnweg in Altglienicke stehen Flächen für 100 Wohnungen bereit und auf dem Gelände des ehemaligen Auguste-Viktoria-Krankenhauses in der Leonorenstraße in Lankwitz können 80 Wohnungen entstehen.
Informationen zum Flächennutzungsplan (FNP):
www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/fnp/
Initiative zur Grundsteuerreform:
www.grundsteuerreform.net
29.01.2016