Sperrmüllaktionstage und Tauschfeste, Kiezhausmeister, Lastenfahrräder: Neukölln unternimmt – wie andere Bezirke auch – etliches, um der Unsitte zu Leibe zu rücken, dass Bewohner das Sofa oder den Kühlschrank einfach an den Straßenrand stellen. Dass die Stadt dennoch nicht sauberer wird, selbst die Androhung empfindlicher Bußgelder wenig zu bewirken scheint, liegt auch an einem Vollzugsproblem: Umweltsündern kann ihre Tat nur selten nachgewiesen werden.
Die Gelegenheit ist günstig: Um die alte Matratze loszuwerden, die Kommode auszurangieren, endlich das Schrottrad zu entsorgen: Für alles, was an diesem Samstagnachmittag im Oktober auf den Lipschitzplatz in der Neuköllner Gropiusstadt getragen wird, gibt es auch sofort die richtigen Abnehmer. Interessenten der umliegenden Häuser schauen und prüfen, was sich noch gebrauchen lässt, und für den „Schrott“ stehen vier Männer in Orange mit zwei Fahrzeugen der Berliner Stadtreinigung (BSR) bereit. Auch diese 7. Sperrmüll- und Tauschaktion, die der Bezirk mit Unterstützung des Internationalen Bundes Berlin-Brandenburg (IB) veranstaltet, ist wieder ein Gewinn für alle Seiten: „Die Leute kriegen ihren Keller leer, und was keiner mehr will, landet nicht illegal am Straßenrand“, umreißt Daniela Tadesse vom IB den Ansatz der Initiative. Sie leitet das Projekt „Kiezhausmeister“, bei dem es vor allem um das Thema Müllvermeidung geht.
„Wir erklären, beraten und wollen für den Umgang mit Müll sensibilisieren“, so Daniela Tadesse. Es muss ja auch nicht alles weggeworfen werden, manches lässt sich reparieren. Und was wirklich unbrauchbar ist, gehört nicht in den öffentlichen Raum, sondern auf einen Recyclinghof. Damit schwere Gegenstände wie kaputte Waschmaschinen oder der alte Röhrenfernseher da auch ohne Auto hingebracht werden können, hat der Bezirk extra Lastenräder angeschafft, die sich jeder kostenfrei ausleihen kann und von denen zwei an diesem Tag auf dem Lipschitzplatz bereitstehen.
Neukölln ist Spitzenreiter und wehrt sich
Neukölln kämpft gegen seine Sperrmüllberge, die sich immer wieder an Straßenrändern, auf Plätzen und in Parks ansammeln. 9480 Kubikmeter waren es im vergangenen Jahr, den rechtswidrig entsorgten Bauschutt und Sondermüll nicht mitgerechnet. „Damit sind wir leider Spitze in Berlin“, erklärt Martin Hikel, der Bezirksbürgermeister. Neukölln hat bewusst und trotzig sein Programm „Schön wie wir“ dagegengestellt. Martin Hikel: „Wir wollen deutlich machen, dass der öffentliche Raum für alle da ist und jeder verantwortungsvoll damit umgehen muss.“ Andererseits müsse aber auch jedem klar sein, dass Verstöße nicht hingenommen würden. So ließ Neukölln 2017 als erster Berliner Bezirk sogenannte Müll-Sheriffs patrouillieren. Die Zivilstreifen gingen dann auf ihre Kontrollgänge, wenn die uniformierten Mitarbeiter des Ordnungsamtes Feierabend machten – nach 22 Uhr.
„Seit die Dienstzeiten im Ordnungsamt ausgedehnt wurden und sie ebenfalls in Zivil auf Streife gehen dürfen, brauchen wir die Sheriffs nicht mehr“, so der Bürgermeister. Nun sind in Neukölln 50 Mitarbeiter an sieben Wochentagen in drei Schichten unterwegs. Aber die müssen Müllsünder möglichst auch auf frischer Tat ertappen, um sie gerichtsfest überführen zu können.
Auf eine schriftliche Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck im September diesen Jahres nach dem Ausmaß des Berliner Sperrmüllproblems und den Konsequenzen des ordnungsamtlichen Vorgehens dagegen teilte die Senatsverwaltung mit, dass 2018 stadtweit gerade einmal 278 Verursacher festgestellt werden konnten. In Neukölln wurden nach dieser Statistik 47 Umweltverschmutzer identifiziert; sie zahlten insgesamt ein Bußgeld von 7750 Euro. Selbst wenn die anderen Bezirke hinzugerechnet werden, sind die Strafzahlungen noch nicht einmal der Tropfen auf dem heißen Stein. Nach Auskunft des Pressesprechers der BSR, Sebastian Harnisch, kostet die jährliche Entsorgung von rund 30.000 Kubikmetern illegal abgelagerten Sperrmülls (ohne Bauschutt und Sondermüll) die Stadt regelmäßig 4,5 Millionen Euro.
Die Anzeigen nehmen zu
„Allerdings gibt es mit jedem Jahr mehr Hinweise von Bürgern auf illegale Ablagerungen“, erklärt Arne Herz, stellvertretender Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf. Waren das 2016 in seinem Bezirk noch rund 3000 Meldungen, die im Ordnungsamt eingingen, so registrierte die Behörde schon bis zum 30. September 2019 3400 Anzeigen. Mehr und mehr Menschen, so der Bürgermeister, nutzen das Portal „Ordnungsamt Online“: „Das zeigt uns doch, dass die Aufmerksamkeit für das Problem zunimmt.“ Wohl hat sich auch die Gewissheit gefestigt: Nach der Meldung werden Sofa, Regalbretter und Kühlschrank ja immer irgendwann von der BSR weggeräumt. „Allerdings werden die Verursacher in der Regel auch in unserem Bezirk nicht festgestellt“, so Arne Herz. Und das sei selbst mit noch mehr Personal und noch höheren Strafen kaum anders.
Für Stephan von Dassel, den Bezirksbürgermeister von Mitte, bedeutet das, dass Bürger mehr Zivilcourage zeigen sollten: „Wer einen Müllhaufen meldet, sollte den Mut haben, aus der Anonymität herauszutreten und als Zeuge auch den Schuldigen zu benennen.“ Stephan von Dassel ist sich sicher: „Die über 5400 Kubikmeter illegaler Sperrmüll, die im vergangenen Jahr in Mitte von der BSR abgeholt werden mussten, kommen nicht alle aus privaten Haushalten, sondern sind zu einem guten Teil gewerblich.“ An solch einer Situation würden noch mehr Zivilstreifen und verdeckte Ermittler kaum etwas ändern können: „Es muss sich eben auch herumsprechen, dass Anwohner aufpassen – und Anzeige erstatten.“
Um dafür Anreize zu geben und für ein sauberes Umfelt zu sensibilisieren, unternimmt auch der Bezirk Mitte einiges: Sperrmülltage, an denen die Bürger kostenfrei ausrangiertes Mobiliar auf die Transporter der BSR laden können und gemeinsame Clean-Up-Aktionen von Anwohnern in Grünanlagen auf Initiative des Quartiersmanagements und zusammen mit der BSR.
Einem regelmäßigen kostenlosen Sperrmülltag steht der Bezirksbürgermeister von Mitte durchaus offen gegenüber: „… sofern die bezirklichen Sperrmülltage in ausgewählten Straßen auch dazu führen, dass danach für längere Zeit dort nichts mehr illegal abgeladen wird.“ Unabhängig davon seien kundenfreundlichere Öffnungszeiten und die Annahme von Sondermüll wie etwa alte Farbtöpfe auf allen 15 Recyclinghöfen notwendig. Von Dassel: „Wenn die Stadt ihr Renommee nicht verspielen will, muss es einen Mentalitätswechsel bei den Berlinern geben.“ Das beträfe die achtlos weggeworfene Kippe und den Kaffeebecher genauso wie das alte Klobecken, das bei Nacht neben die Haustür gestellt werde, weil es ja doch irgendwann andere wegräumen.
Rosemarie Mieder
Müllsünden – deutlich höhere Bußgelder
Die Maßnahmen des Senats, um Berlin zu einer „Sauberen Stadt“ zu machen, reichen von witzigen Werbekampagnen über Sperrmüllaktionstage, die personelle Verstärkung der Ordnungsämter bis zu der Idee eines „Kaufhauses der Zukunft“, in dem noch funktionsfähige Gebrauchtwaren getauscht, abgegeben und gehandelt werden könnten. Es gelten jetzt aber auch deutlich höhere Bußgelder zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Bereich des Umweltschutzes. Beispielsweise kann für die achtlos fallen gelassene Zigarettenkippe oder einem Kaugummi ein Verwarnungsgeld in Höhe von 55 Euro beziehungsweise ein Bußgeld in Höhe von 80 bis 120 Euro verhängt werden. Wird Hundekot nicht sofort beseitigt, so kann das bis zu 300 Euro kosten – in Grünanlagen sogar bis zu 1500 Euro. Für illegal abgestellte Altreifen werden 350 bis 800 Euro fällig. Und das Abladen von Bauabfällen kann – je nach Schwere des Vergehens – mit 600 bis 25.000 Euro geahndet werden.
rm
04.02.2020