Die Einbauküche hat seit den 1950er Jahren in fast allen deutschen Haushalten ihren Einzug gehalten. Eine „maßgeplante, komplette Einbauküche“, das ist die Norm, und wer keine hat, der wünscht sie sich. Über den Charme von Einbauküchen entzweien sich dennoch mittlerweile die Ansichten. Gelten sie dem einen nach wie vor als Statussymbol und Inbegriff der perfekten Küchengestaltung, wendet sich der andere angeödet ab: Zu standardisiert und monoton ist das Erscheinungsbild. Ihren Ursprung hatten die Einbauküchen in sogenannten Pantry-Küchen der Reisegastronomie, die auf kleinstem Raum in Zeppelinen und Speisewagen eingebaut wurden.
Als Urtyp der Einbauküche gilt die Frankfurter Küche, die von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 1926/27 entwickelt wurde. Sie ließ sich von den Eisenbahnküchen in den Mitropa-Speisewagen der Bahn inspirieren. Dort wurden auf einer Fläche von 1,97 mal 1,83 Metern und einer Anrichte mit denselben Ausmaßen Fünf-Gänge-Menüs zubereitet. Zwei Personen kochten auf beengtem Raum die Mahlzeiten für 80 Reisende in verhältnismäßig kurzer Zeit. Darüber hinaus befanden sich in diesen beiden Räumen mit zusammen 7,12 Quadratmeter Grundfläche Getränke, Essgeschirr, Bestecke und Gläser.
Schütte-Lihotzky versuchte, diese Erkenntnis auf den Privathaushalt zu übertragen. Sie wollte der Hausfrau durch optimierte Arbeitsabläufe Zeiteinsparungen ermöglichen und sie so von den Zwängen der Hausarbeit befreien.
Die Frankfurter Küche war insgesamt nur 6,5 Quadratmeter groß, ein schmaler Raum mit einem Fenster an der Stirnseite. Alle Ausstattungen und Einrichtungen waren als feste Einbaumöbel auf einen abgerundeten Betonsockel gesetzt – eine funktionale, übersichtliche Anordnung, um Platz, Arbeit und Wege zu sparen.
Die Rationalisierung der Küchen hatte 85 Jahre zuvor ihren Anfang in den USA genommen. Schon 1841 beschäftigte man sich dort mit der Gestaltung der Küche. Es wurde versucht, die effektive Arbeitsorganisation der Industrie auf die Hausarbeit zu übertragen. Man zerlegte die Abläufe in die drei wesentlichen Arbeitsgänge: Aufbereitung, Zubereitung und Reinigung. Diese wurden den Arbeitsstätten Herd, Vorratshaltung und Spüle zugeordnet und in eine zweckmäßige Anordnung gebracht, um zur Arbeitserleichterung beizutragen.
Wohnküche auf dem Rückzug …
Der spätere Siegeszug der seriell hergestellten Frankfurter Küche war allerdings nicht nur auf die Zeit- und Wegeersparnis zurückzuführen. Die ökonomische Ausstattung fügte sich bestens in den platzsparenden und kostengünstigen Massenwohnungsbau in Deutschland ein. Als prägend für die weitere Küchenentwicklung erwies sich aber vor allem auch die Entscheidung zugunsten einer reinen Arbeitsküche, während die Wohnküche mit ihren vielfältigen Möglichkeiten ins Abseits geriet.
Der Startschuss für die erste deutsche Einbauküche in Serienherstellung fiel auf der Kölner Möbelmesse von 1950. Das bis dahin immer noch vorherrschende Küchenbüfett wurde in Ober- und Unterschränke aufgelöst, die unabhängig voneinander aufgestellt und aufgehängt werden konnten. Kühlschrank, Herd und Spüle blieben aber vorerst weiterhin separate Beistellgeräte. Erst ab 1956 konnten sie unter einer fugenlosen Edelstahlabdeckung zusammengefasst werden. Seit 1957 gibt es einheitliche DIN-Normen für Elektrogeräte und Schrankteile, so dass das Einpassen in die Zeile vereinfacht wurde und wir auch noch heute sicher sein können, dass der neue Herd an die Stelle des alten passt.
Zu Beginn der 1950er Jahre bestand die Arbeitsfläche noch aus Linoleum, das um 1955 durch eine kunststoffbeschichtete Oberfläche, das widerstandsfähige Resopal, ersetzt wurde. Waren die Schränke zunächst eckig und nur in den Farben grau, weiß und schwarz zu haben, boten die Hersteller bald abgerundete Formen und Oberflächen in kräftigen Farben und Pastelltönen an. Vor allem durch die einheitlichen Resopal-Arbeitsflächen entstand ein harmonischer Gesamteindruck der Küche.
In der DDR war die Entwicklung der Einbauküche eng mit den Bemühungen um einheitliche Wohnungsbaustandards verbunden. Hier entwickelte der Architekt Gerhard Kosel zwischen 1960 und 1962 den Plattenbautyp P2, der bis 1989 gebaut wurde. Das Besondere an ihm war die innenliegende, fensterlose und kleine Küche, die durch einen Vitrinenschrank vom Wohnraum abgetrennt wurde. Belichtet wurde die Küche ausschließlich über eine Durchreiche in dieser Vitrine. Ab 1972 gab es zusätzlich den Bautyp WBS 70, dessen Küchen größtenteils außen lagen.
… Wohnküche auf dem Vormarsch
Bis in die 1960er Jahre hinein waren für die westdeutschen Küchenhersteller die wichtigsten Designkriterien die rationelle Handhabung, eine ergonomische Verbesserung und absolute Hygieneansprüche. Erst ab Ende der 1960er Jahre spielten auch psychologische und soziale Aspekte bei der Gestaltung der Küchen eine größere Rolle. Warme Farben und holzimitierende Dekore kombiniert mit Ansetztisch und Esstheken sowie eingefügte Regale brachten die Vielfalt in die einheitlichen Küchenzeilen. Es war der zaghafte Beginn einer auf größere Wohnlichkeit und Kommunikation ausgerichteten Küche. Nicht zuletzt hatten hier die Wohngemeinschaften der 68er-Studenten Zeichen gesetzt. In den Küchen ihrer weitläufigen Altbauwohnungen spielte sich um den zentralen Küchentisch ein Großteil des Zusammenlebens ab.
In den 1970er Jahren verlor die sterile Einbauküche vollends ihre Vormachtstellung und wurde von einer „gemütlich gestalteten“ Essküche abgelöst. Die Wohnlichkeit wurde mit einer Vielfalt von Farben und Formen erzielt. Die Landhausküchen mit profilierten echten Holzfronten waren äußerst beliebt. Mit der Auflösung des traditionellen Familienbildes und den nach Individualisierung strebenden, gut verdienenden Singles entwickelten sich seit den 1980er Jahren wiederum neue Bedürfnisse und neue Lebensstile, die andere Ansprüche an die Küche stellten. Ästhetik, Genuss, Spaß am Kochen und darüber hinaus das gemeinsame Kochen mit Freunden standen nun verstärkt im Vordergrund.
Heute hat die Küche als abgeschotteter „Arbeitsplatz der Frau“ weitestgehend ausgedient. Durch ihre Wandlung zum geselligen Treffpunkt – ausreichend Platz vorausgesetzt – gerät die Ausstattung oftmals zum Statussymbol, an dem sich das soziale Milieu seines Besitzers sofort zuverlässig einschätzen lässt. Wie ein Showroom präsentiert die Edel-Einbauküche alles, was gut und teuer ist. Während früher Sofaecke und Schrankwand im Wohnzimmer den Status widerspiegelten, glänzen heute die Frontdekore der teuren Markenküchen, aus denen mit Elektromotor betriebene Vorratsschränke herausfahren, während die edelstählerne Kochinsel in der Raummitte thront und die hochgeschraubten Ansprüche unterstreicht. Besonders in selten kochenden Singlehaushalten ruft dieses Ausstattungslevel schon mal zum Lästern über die „Kathedrale des Spiegeleies“ auf.
„In Hamburg-Eppendorf oder München-Bogenhausen kommt es nun vor, dass ahnungslose Gäste an lange Tische gesetzt werden, an deren Stirnseite sich eine Herdinsel altarartig erhebt. Darüber wie ein Baldachin die Abzugshaube, die aber das Fachgesimpel des kochenden Hausherrn nicht zu entsorgen vermag“, schrieb schon 1995 bissig das Magazin „Der Spiegel“.
Jens Sethmann
Durchgeplante Zweckmäßigkeit
Die Frankfurter Küche, der Vorläufer der Einbauküche, war in der Grundausführung für einen Raum von nur 6,5 Quadratmeter konzipiert und durch eine Schiebetür vom Wohnraum getrennt. Der Abstand zwischen dem Herd und dem Esstisch im anderen Zimmer betrug nur drei Meter. Die zu reinigenden Flächen wurden auf ein Minimum reduziert. Als Oberfläche wurde Buchenholz mit einem unempfindlichen blauen Anstrich verwendet. Eine blaue Farbgebung hielt angeblich die Fliegen davon ab, sich darauf niederzulassen.
Die Arbeitsfläche war mit Linoleum belegt. Die Frankfurter Küche wurde innerhalb der ersten vier Jahre in rund 10.000 Wohnungen und einer unbekannten Anzahl von Einzelhäusern eingebaut. Insbesondere im Ausland war sie vielbeachtet und wurde zum Vorbild erklärt. In Deutschland setzte sich das Modell aus Frankfurt am Main erst nach 1945 durch.
js
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01.03.2017