Eigentümer mit Abrissplänen dürften frohlockt haben, als der Bundesgerichtshof (BGH) unlängst eine sogenannte Verwertungskündigung bestätigte. Doch das Urteil bezieht sich auf einen Sonderfall.
Bei dem Streit ging es um die in den 1930er Jahren als „Behelfsheim“ gebaute Hamburger Ried-Siedlung. Weil der Vermieter den Wohnblock abreißen und an seiner Stelle Neubauwohnungen errichten will, kündigte er der letzten verbliebenen Mieterin wegen sogenannter Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung. Der BGH bestätigte nun, dass ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses vorliegt (BGH vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10). Die Nachteile der Wohnungen – kleine gefangene Räume mit niedrigen Decken, schlechte Belichtung, Ausstattung nur mit kleinen WC-Räumen und Waschbecken – könnten auch durch Sanierung nicht beseitigt werden. Zudem gebe es bereits ein städtebauliches Konzept und öffentliche Fördermittel für die neue Siedlung.
Frank Maciejewski, Rechtsexperte beim Berliner Mieterverein, befürchtet, dass das Urteil vor allem für Berlins 50er-Jahre-Bauten Folgen haben könnte. Viele haben so gravierende Mängel, dass sie gar nicht oder zumindest nicht mit einem vertretbaren Kostenaufwand zu sanieren seien. Der Eigentümer könnte also eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit ins Feld führen.
Ganz anders stellt sich die Lage für die Mieter der „Bayer-Schering Pharma AG“ in Wedding dar. Ihr Haus soll einer neuen Verwaltungszentrale weichen (das MieterMagazin berichtete in Ausgabe 12/2010, Seite 9: „Alle Mieter gekündigt“). „Hier wurde aufgrund vager Ideen gekündigt, ein städtebauliches Konzept oder gar eine öffentlich-rechtliche Genehmigung liegen nicht vor“, sagt Christoph Müller, Fachanwalt für Mietrecht. Anders als im Hamburger Fall handele es sich zudem um gut gepflegte Wohnungen, die auch heutigen Wohnbedürfnissen gerecht werden.
Fraglich ist, ob sich die Chancen der Mieter am Schöneberger Barbarossaplatz durch das BGH-Urteil verschlechtert haben. Auch hier wird der geplante Abriss mit einem hohen Sanierungsaufwand sowie städtebaulichen Aspekten begründet (das MieterMagazin berichtete in Ausgabe 4/2010, Seite 8: „Ein harter Kern kämpft ums Bleiben“). Allerdings sind die kleinen Wohnungen durchaus nachgefragt, auch wegen der attraktiven Lage.
In jedem Fall, so Maciejewski, sei es wichtig, eine gesetzliche Verpflichtung zu schaffen, wonach der Vermieter angemessenen Ersatzwohnraum besorgen muss.
Birgit Leiß
MieterMagazin 4/11
Die „Schering“-Mieter im Wedding betrachten das BGH-Urteil zur Verwertungskündigung mit gemischten Gefühlen
Foto: Christian Muhrbeck
Weitere Informationen: „Abrisskündigung“,
Rubrik Mietrecht, Seite 28
30.06.2017