Eine Linde oder Kastanie vor dem Fenster sorgt im Sommer für kühlenden Schatten, bietet allerlei Tieren Lebensraum und macht selbst den tristesten Hinterhof ein wenig freundlicher. Doch während die einen den Blick ins Grüne genießen, ärgern sich andere darüber, dass weniger Licht in die Wohnung kommt. Wann darf der Vermieter einen Baum auf seinem Grundstück fällen lassen?
Wo immer in der Stadt die Kettensäge angesetzt werden soll, gehen die Berliner auf die Barrikaden. „Oft rufen uns aufgebrachte Nachbarn an, weil sie einen Baum retten wollen“, berichtet Christian Hönig von der Umweltorganisation BUND Berlin. Noch vor vier oder fünf Jahren standen die Straßenbäume im Fokus. Mittlerweile, so der BUND-Referent für Baumschutz, geht es bei den meisten Beschwerden um private Grundstücke. Immer häufiger stehen Bäume einer Bebauung im Weg, oder sie haben nach dem Anbau von Balkonen einen zu geringen Abstand zum Haus. Anfangs, so Hönig, waren vor allem Stadtteile mit hoher Bautätigkeit betroffen, allen voran Prenzlauer Berg und Friedrichshain-Kreuzberg. Inzwischen hätten Fällungen berlinweit massiv zugenommen.
So ist in Pankow die Zahl der Anträge auf Baumfällung bei privaten Grundstücken im vergangenen Jahr um fast ein Drittel gestiegen. Gingen 2012 noch rund 780 solcher Anträge ein, waren es im Jahre 2013 über 1000. Das liegt aber nicht nur an Neubau und Modernisierung, wie Andreas Dahlke vom Umwelt- und Naturschutzamt Pankow erklärt.
Bei Balkonanbauten reicht ein Rückschnitt
Auch Sturmschäden häufen sich, wobei viele Eigentümer übervorsichtig sind und auch bei kleinen Problemen einen Antrag auf Fällung stellen. Wegen Balkonanbau wird in der Regel keine Fällgenehmigung erteilt: „Da reicht auch das Zurückschneiden“, sagt Dahlke.
Allerdings gibt es zwischen den Bezirken große Unterschiede in der Handhabung. Mitunter bleibt den Ämtern auch gar nichts anderes übrig, als die Fällung zu genehmigen.
Gesetzliche Grundlage ist die Berliner Baumschutzverordnung. Demnach sind alle Laubbäume, Waldkiefern sowie die Obstbaumarten Walnuss und Türkischer Baumhasel geschützt, sofern sie einen Stammumfang von mindestens 80 Zentimetern haben. Will ein Vermieter auf seinem Grundstück einen solchen Baum beseitigen, muss er in jedem Fall beim Bezirksamt eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Sonst droht ein Bußgeld. Erteilt wird die Genehmigung, wenn der Baum krank oder standunsicher ist. Auch wenn die Grundstücksnutzung beeinträchtigt ist, etwa im Zuge eines geplanten Neubaus, darf gefällt werden. Eine Beeinträchtigung kann außerdem bei einer extremen Verschattung von Wohnungen vorliegen. Verboten ist übrigens nicht nur das Fällen, sondern auch Maßnahmen, die sich schädigend auf die Bäume auswirken und ihren Weiterbestand gefährden können, beispielsweise das Durchtrennen von Wurzeln. Sogenannte Pflegeschnitte bedürfen dagegen keiner Genehmigung.
„Wir machen in jedem Fall eine Vor-Ort-Begehung und überprüfen die vorgebrachte Begründung“, sagt Andreas Dahlke. Schließlich sei das Empfinden sehr subjektiv, gerade was die Verschattung angeht. Als Faustregel gilt: Wenn es in der Wohnung trotz Sonnenschein um die Mittagszeit so dunkel ist, dass man ohne künstliches Licht keine Zeitung lesen kann, liegt eine extreme Verschattung vor. Die Hürden seien hier sehr hoch, betont Dahlke. „Wir haben nur wenige Anträge – die Eigentümer wissen, dass eine Fällung in diesem Fall sehr schwierig durchzusetzen ist.“
Gefahr im Verzug muss dokumentiert werden
Und was ist, wenn ein Baum nach einem schweren Sturm umsturzgefährdet ist? Dann – also wenn Gefahr im Verzug ist und schnell gehandelt werden muss – darf der Eigentümer eigenmächtig vorgehen und eine Firma seiner Wahl oder aber die Feuerwehr mit der Fällung beauftragen. Dabei muss er aber den Zustand des Baumes mit Bildaufnahmen dokumentieren.
Eine vernünftige Baumpflege sorgt aber dafür, dass der Baum gesund bleibt und nicht gleich beim ersten Herbststurm umknickt. „Auch das Problem der Verschattung kann man bei vorausschauender, fachgerechter Baumpflege in Ansätzen regulieren“, sagt Baumexperte Hönig vom BUND. Doch genau daran hapert es nach seiner Einschätzung.
Viele Bäume würden nicht fachgerecht beschnitten und versorgt, häufig werde auch zu radikal zurückgeschnitten: „Wir haben in den letzten Jahren einen gigantischen Qualitätsverlust – meist werden die billigsten Firmen beauftragt.“ Das gelte sowohl für die bezirklichen Grünflächenämter als auch für private Bauherrn. Vor allem bei größeren Bauvorhaben werden Bäume, die im Weg sind, schnell gefällt. Da nutzt es auch wenig, dass nach der Baumschutzverordnung für einen Ausgleich gesorgt werden muss: Sofern der Baum nicht krank war, sondern aus anderen Gründen mit einer Ausnahmegenehmigung gefällt wurde, muss der Eigentümer eine Ausgleichsabgabe zahlen oder eine Ersatzpflanzung vornehmen. Doch bis das neu gepflanzte Bäumchen den gleichen ökologischen Wert hat wie ein großer Baum, vergehen viele Jahre. In dicht bebauten Gebieten ist zudem eine Ersatzpflanzung am gleichen Ort oft gar nicht möglich.
Auf der anderen Seite hat Hönig auch schon erlebt, dass die Efeu-Berankung an der Hauswand entfernt werden musste, weil sich Mieter durch das Vogelgezwitscher gestört fühlten. Allerdings, so der Baumexperte, stehe Berlin im Vergleich zu anderen Städten ganz gut da. Der Stellenwert der Bäume für das Stadtklima und die Lebensqualität werde zunehmend anerkannt.
Ein Irrglaube ist es übrigens, dass vom 1. März bis zum 30. September gar nicht gefällt werden darf. Zwar sieht das Bundesnaturschutzgesetz eine entsprechende Schonzeit vor, insbesondere um brütende Vögel zu schützen. Doch ein Bauherr, der im März eine Baugenehmigung erhält, muss trotzdem nicht bis zum Herbst warten. Auf Antrag kann er in begründeten Fällen von dem gesetzlichen Verbot befreit werden.
Birgit Leiß
Wenn die Äste bereits ins Küchenfenster ragen oder die Wohnung durch eine riesige Kastanie verschattet wird, kann das mietrechtlich gesehen ein Mangel sein. Mieter können vom Vermieter verlangen, für Abhilfe zu sorgen. Ist es mit einem einfachen Pflegeschnitt nicht getan, muss der Vermieter beim Bezirksamt eine Genehmigung zum Zurückschneiden beziehungsweise Fällen einholen. Das Problem: Ein unwilliger Vermieter wird sich vermutlich wenig Mühe geben, seinen Antrag zu begründen. Zudem werden Fällungen wegen Verschattung in der Regel nicht bewilligt. Wird der Antrag abgelehnt, kann gleichwohl gegebenenfalls die Miete gemindert werden. Doch Vorsicht: Das gilt nicht, wenn die Verschattung bereits beim Einzug gegeben war. Vor Gericht wird abgewogen, ob die Lichtverhältnisse wirklich unzumutbar sind. So urteilte das Amtsgericht Neukölln, dass natürlicher Baumwuchs und die dadurch zunehmende Verschattung keinen Mietmangel darstellen, wenn es sich um eine Erdgeschosswohnung vor einem baumbestandenen parkähnlichen Garten handelt (Amtsgericht Neukölln vom 2. Juli 2008 – 21 C 274/07). Der Mieter habe von Anfang an damit rechnen müssen, dass die Bäume wachsen und zunehmend mehr Licht wegnehmen werden. Er habe daher weder einen Anspruch auf Rückschnitt, noch könne er die Miete mindern.
bl
MieterMagazin 4/14
Gegen Verschattung oder Standunsicherheit hilft häufig schon ein Pflegeschnitt
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Des einen Freud, des andern Leid: grüne Höfe – manchen stört sogar das Vogelgezwitscher
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Infos zur Baumschutzverordnung gibt es auf der Homepage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung:
www.stadtentwicklung.berlin.de/natur_gruen/
naturschutz/baumschutz/
07.07.2019