Eigenbedarf ist nach Angaben des Deutschen Mieterbundes (DMB) der häufigste Kündigungsgrund. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Möglichkeiten für Eigenbedarfskündigungen in den letzten Jahren immer weiter ausgeweitet. Vermieter können mit haarsträubenden Begründungen einen Eigenbedarf durchsetzen und müssen nur geringe Konsequenzen fürchten, wenn ein vorgetäuschter Eigenbedarf auffliegt. Es ist höchste Zeit für eine gesetzliche Klarstellung, die den Missbrauch des Eigenbedarfs beendet.
Eigenbedarf liegt vor, wenn der Vermieter die Mieterwohnung für sich selbst oder für eine zu seinem Hausstand gehörende Person, zum Beispiel eine Pflegekraft, oder für Familienangehörige zu Wohnzwecken benötigt. Als Familie gelten Eltern, Kinder, Enkel, Großeltern oder Geschwister des Vermieters. Der Vermieter muss darlegen, für wen er gerade diese Wohnung benötigt.
Auch gelegentlicher Berlin-Besuch ist ein Grund
Nach und nach hat der BGH den Kreis der begünstigten Personen erweitert. So kann auch für Nichten und Neffen Eigenbedarf angemeldet werden (BGH vom 27. Januar 2010 – VIII ZR 159/09). Selbst für den Wohnbedarf eines Schwagers kann man unter Umständen Mieter kündigen (BGH vom 3. März 2009 – VIII ZR 247/08).
Aufsehen erregte ein Urteil des Landgerichts Berlin, das einem Chefarzt aus Hannover erlaubte, einer Mieterin in Friedrichshain wegen Eigenbedarfs zu kündigen, weil er gelegentlich seine in Berlin lebende Tochter besuchen wolle (LG Berlin vom 22. August 2013 – 67 S 121/12). Man sollte meinen, für solche Zwecke gäbe es in Berlin ein ausreichendes Angebot an Hotels, doch auch das angerufene Bundesverfassungsgericht hatte an dem Urteil nichts zu beanstanden (BVerfG vom 23. April 2014 – 1 BvR 2851/13). Das Interesse eines Eigentümers an bequemen Stippvisiten wird also höher gewichtet als das Wohnbedürfnis einer Mieterin, die seit 1987 in der Wohnung lebte.
Der BGH hat 2013 entschieden, dass man schon drei Jahre nach Anmietung mit einer Eigenbedarfskündigung rechnen muss (BGH vom 20. März 2013 – VIII ZR 233/12). Zuvor galten Eigenbedarfskündigungen nach weniger als fünf Jahren Mietzeit als rechtsmissbräuchlich.
Der BGH entschied auch, dass Mitglieder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Eigenbedarf geltend machen können (BGH vom 16. November 2016 – VIII ZR 232/15). Vier Personen hatten als GbR ein Münchner Mietshaus gekauft und die Mieter einer Fünfzimmerwohnung gekündigt, weil die Tochter eines der Gesellschafter die Wohnung benötige. Das Urteil öffnet der Unsitte Tür und Tor, per Eigenbedarf unliebsame Mieter loszuwerden: Irgendein GbR-Mitglied wird schon einen Neffen mit Wohnbedarf aufweisen können. Auch die Anbietpflicht wird aufgeweicht. Eigentlich muss der Vermieter bei einer Eigenbedarfskündigung dem Mieter eine Ersatzwohnung anbieten, wenn eine solche in derselben Wohnanlage verfügbar ist. Für den Fall, dass der Vermieter für sich selbst Eigenbedarf angemeldet hat, muss er die von ihm bisher bewohnte Wohnung dem gekündigten Mieter aber nicht anbieten, wenn dies einen Umzug im „fliegenden Wechsel“ an einem Tag bedeuten würde (BGH vom 19. Juli 2017 – VIII ZR 284/16). Verletzt ein Vermieter die Anbietpflicht, hat dies nicht mehr wie nach bisheriger Rechtsprechung zur Folge, dass die Eigenbedarfskündigung nichtig ist (BGH vom 16. November 2016 – VIII ZR 232/15).
„Wer von einem privaten Vermieter eine Wohnung anmietet, sitzt auf dem Pulverfass“, sagt DMB-Direktor Lukas Siebenkotten. Der DMB fordert, dass Eigenbedarfskündigungen nur noch für einen eng begrenzten Kreis von Personen ausgesprochen werden dürfen, die die Wohnung dauerhaft zu Wohnzwecken nutzen wollen.
Jens Sethmann
Schadenersatz bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Bei vorgetäuschtem Eigenbedarf gibt es immerhin eine kleine Verbesserung in der Rechtsprechung. Bislang musste der Mieter beweisen, dass der Eigenbedarf vorgeschoben war. Das war praktisch unmöglich, denn er musste nicht nur nachweisen, dass seine ehemalige Wohnung nicht von dem begünstigten Angehörigen bezogen wurde, sondern auch, dass dies nie beabsichtigt war. Nach einem Urteil des BGH muss der Vermieter, der seinen Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat umsetzt, nun stimmig erklären, warum in der Zwischenzeit der Eigenbedarf entfallen ist (BGH vom 11. Oktober 2016 – VIII ZR 300/15). Damit kann ein Mieter Schadenersatzansprüche leichter durchsetzen. Seine Wohnung, aus der er unberechtigt hinausgeworfen wurde, bekommt er aber nicht zurück.
js
27.03.2022