Es gab Zeiten, da hat der Postbote nicht nur Ansichtskarten und Liebesbriefe zugestellt, sondern außerdem an der Wohnungstür die Miete abkassiert oder Geld ausgezahlt. Heute kommen nicht einmal mehr Telefonrechnungen oder Kontoauszüge mit der Post, weswegen der Briefkasten oft tagelang leer bleibt. Dennoch gehört er nach wie vor zu jeder Wohnung.
Die ersten Vorläufer des Briefkastens tauchten im 16. Jahrhundert in Florenz auf, das weiß jedenfalls Wikipedia zu berichten. In diese hölzernen Kästen konnte die Bevölkerung ursprünglich anonyme Anzeigen für die Regierung legen. Später sei dort auch Post für die Geistlichen eingeworfen worden. Fest steht: Private Hausbriefkästen, wie wir sie heute kennen und die in Mehrfamilienhäusern vor der Haustür oder im Eingangsbereich angebracht sind, waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Ausnahme. Stattdessen gab der Postbote die Sendungen persönlich an der Wohnungstür ab. In aller Regel war tagsüber die Hausfrau oder ein Dienstmädchen da, um die Briefe in Empfang zu nehmen. Kaum ein Amt sei beschwerlicher als das des Briefträgers, klagte ein Funktionär im Amtsblatt der Deutschen Reichs-Postverwaltung von 1873.
Um dem Postboten „das oft überaus langweilige Warten auf endliches Öffnen“ zu ersparen, wurde vehement für die Einführung von Hausbriefkästen geworben. Doch nur wenige zeigten Einsicht: „Ein Teil öffnet lieber täglich mehrere Male die Thür und hat das Vergnügen, den Herrn Briefträger selbst zu sehen und ihm die Briefe eigenhändig abzunehmen“, heißt es im Amtsblatt.
Der Kampf um die flächendeckende Ausstattung der Häuser mit Hausbriefkästen sollte die Post noch die nächsten 150 Jahre beschäftigen – bis heute. Die Briefzustellung gestalte sich in den großen Städten, namentlich in Berlin, immer schwieriger, monierte die Deutsche Verkehrszeitung im Jahre 1880. Grund sei „das Anschwellen der Bevölkerung und die zunehmende Zahl der Stockwerke in Vorder- und Hinterhäusern.“ Staunend berichtete der Beamte über seine Erfahrungen aus einem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten: „Bedenken Sie, welche Anstrengung dazu gehört, wenn die Briefträger in den großen Städten fortwährend 2 bis 5 Treppen steigen müssen. Das geht auf Kosten der Lunge unserer bedauernswerthen Mitmenschen! Von Alledem weiß der New Yorker Briefträger nichts. Er hat eine sehr stark durchdringende Pfeife, auf welcher er in dem Hausflur sein Signal gibt. Für die Hofbewohner stellt er sich unten in den Hof, dort macht er‘s ebenso; alsdann kommen die Bewohner, um zu hören, welche Adresse der Briefträger ausruft und um den Brief unten in Empfang zu nehmen.“ In Deutschland, so räumt der Schreiber ein, sei dies wegen der Wahrung des „Korrespondenz-Geheimnisses“ nicht denkbar. Aber auch das Beispiel Frankreich hat ihn beeindruckt. Dort war es den Briefträgern per Gesetz verboten, die Stockwerke hinauf zu steigen. Stattdessen wurden alle gewöhnlichen Briefe zu ebener Erde, meist an den Portier, abgegeben. Die Wohnungsbriefkästen, in Berlin also die in vielen Gründerzeithäusern eingebauten Einwurfklappen an den Wohnungstüren, machten die Arbeit der bedauernswerten Zusteller dagegen nicht einfach.
Die Post zahlte zehn Mark Prämie
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Werbefeldzug für den Hausbriefkasten mächtig Fahrt auf. In den Jahren nach der Währungsreform und dem wirtschaftlichen Aufschwung stiegen die Postsendungszahlen rasch an, und die Traglast der Zusteller wuchs. Appellen an die Hausbesitzer war zunächst nur wenig Erfolg beschieden. Das Blatt wendete sich erst, als man 1955 eine großangelegte Werbeaktion startete, bei der auch Prämien für jeden neu angebrachten Hausbriefkasten gezahlt wurden. Die bescheidene Summe von 10 D-Mark überzeugte so manchen Hauseigentümer. 1960 konnte ein Bestand von immerhin 10 Millionen Hausbriefkästen in Deutschland verzeichnet werden. Berlin hinkte dieser Entwicklung hinterher, hier setzte sich der Hausbriefkasten erst Mitte der 1960er Jahre allmählich durch. Eine gesetzliche Verpflichtung gab es nicht, auch nicht für den Neubau. Zwar gab es zeitweise Überlegungen, über das Baurecht eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Aber letztendlich sah man davon ab und setzte auf Freiwilligkeit.
Um dem Hausbriefkasten endlich zum Durchbruch zu verhelfen, gab die Deutsche Bundespost sogar eine Broschüre heraus, die es mit Witz versuchte. „Dieses Haus hat keine Briefkästen – dieses Haus hat keine Zivilisation“, heißt es in den „Plaudereien über den Hausbriefkasten“. Der Verfasser wird nicht müde, die Vorzüge für die Kunden zu betonen: Man müsse nicht mehr vom Frühstückstisch aufstehen, um dem Briefträger zu öffnen, die anderen Mieter im Haus würden nicht mehr durch das Schellen gestört, und man bekomme seine Post wesentlich früher. Um die Attraktivität zu steigern, wurde sogar ein Briefkasten mit integriertem Milchfach vorgeschlagen.
Schrauben und Scharniere eingespart
Ähnliche Innovationen sind auch aus der DDR zu berichten, wo Kollege Willy Siegmung vom Postamt Langewiesen im Jahre 1948 einen neuartigen Hausbriefkasten aus Holz konstruiert hatte. Der Clou: Statt eines Schlosses war er mit einem Zahlenkombinationsverschluss ausgestattet. Man brauchte also keinen Schlüssel mehr. Zudem wurden weder Scharniere noch Schrauben benötigt. Dadurch wurden bereits kurz nach der fabrikmäßigen Serienherstellung 8000 Scharniere und 30.000 Schrauben eingespart, wie das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen stolz verkündete.
Und heute? Immer noch gibt es in Berlin etliche Häuser, die nur über Einwurfschlitze in den Wohnungstüren verfügen. Die Post versucht unermüdlich, die Hauseigentümer von der Anbringung von Hausbriefkästen zu überzeugen – mit bescheidenem Erfolg, wie Anke Blenn, Sprecherin von Deutsche Post DHL einräumt: „Manchmal wird das mit den räumlichen Gegebenheiten begründet, aber vermutlich ist es einfach eine Kostenfrage.“ Zwingen könne man niemand. Es gibt zwar eine DIN-Norm für den normgerechten Briefkasten, doch eine gesetzliche Verpflichtung für Vermieter, diese auch anzuwenden, existiert anders als in anderen europäischen Ländern nicht. Bei den Zustellern sind die „Laufhäuser“, wie sie hier genannt werden, verständlicherweise unbeliebt. Für die Kundschaft haben sie dagegen nur Vorteile. Die Post kann nicht geklaut werden, für den Urlaub muss kein Leerungsdienst engagiert werden und statt morgens im Bademantel zum Briefkasten zu schlurfen, findet man die Zeitung vor der Wohnungstür oder im Flur – im Idealfall jedenfalls. Ob die Post noch weitere 150 Jahre Überzeugungsarbeit leisten muss?
Birgit Leiß
Vom Recht auf den Briefkasten
Mietrechtlich gesehen ist der Briefkasten strittiges Thema. Unstrittig ist lediglich, dass eine Vorrichtung zum Posteinwerfen vorhanden sein muss. Ob dafür eine Klappe in der Wohnungstür reicht, ist ebenso unklar wie die Frage, ob ein DIN-A4-Umschlag reinpassen muss. So hielt das Landgericht Berlin vor etlichen Jahren einen zu kleinen Briefschlitz für einen Mangel (11. Mai 1990 – 29 S 20/90). Anders das Amtsgericht Neukölln: Grundsätzlich habe der Mieter keinen Anspruch auf Bereitstellung eines Briefkastens, der der DIN-Norm entspricht (AG Berlin-Neukölln vom 12. Februar 2009 – 10 C 273/08). Zu den Verpflichtungen eines Vermieters gehört es, dafür zu sorgen, dass eine geordnete Postzustellung möglich ist, befand ein Gericht in einem anderen Fall (Amtsgericht Osnabrück vom 4. November 1999 – 47 C 216/99 XXXII).
Der Vermieter darf auch gegen den Willen des Mieters im Hausflur eine Briefkastenanlage installieren und somit die Postzustellung für den Mieter, der bislang die Post durch den Türschlitz zugestellt bekam, verschlechtern, urteilte das Amtsgericht München (11. Januar 1989 – 223 C 40534/88). Das erstmalige Anbringen einer Hausbriefkastenanlage dürfte als Modernisierung auf den Mieter umlegbar sein. Rechtsprechung gibt es dazu allerdings nicht. Unstrittig ist außerdem, dass es zum vertragsgemäßen Gebrauch gehört, an seinem Briefkasten einen Aufkleber „Keine Werbung“ anzubringen.
bl
25.03.2018