Fast jeder vierte Berliner zwischen 30 und 44 Jahren denkt über einen Umzug nach. Es sind oft Familien, die unter Druck stehen, weil sie aus zu kleinen oder auch zu teuren Wohnungen ausziehen müssen. Das für die meisten bezahlbare mittlere und untere Mietsegment ist allerdings schmal. Ausweichmöglichkeiten liegen meist außerhalb der Stadt – oder im Zusammenrücken mit der Folge dichter belegter Wohnungen.
Der zunehmende Druck auf den hauptstädtischen Wohnungsmarkt wirkt sich immer stärker auf persönliche Lebensumstände aus: Bei einer Befragung von über 1000 Berlinern durch das Meinungsforschungsinstitut „Infratest dimap“ erklärte fast jeder Zehnte, dass er wegen der hohen Mieten schon einmal umziehen musste. Jeder siebte Befragte denkt aktuell wegen steigender Wohnkosten über einen Umzug nach. Nur die Hälfte von ihnen findet aber eine neue Wohnung und kann tatsächlich umziehen (siehe Kasten).
Der Wohnungsmarktbericht 2015 der Investitionsbank Berlin (IBB) zeigte auf, dass es seit 1991 noch nie eine solche Anspannung im mittleren und unteren Mietpreissegment gegeben hat. In allen Berliner Bezirken, so der Bericht, übersteige hier inzwischen die Nachfrage deutlich das Angebot.
Lediglich 1,9 Prozent Leerstand bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und ein Prozent bei den Genossenschaften vermeldet beispielsweise der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Dabei gilt eine Leerstandsreserve von drei Prozent als Untergrenze für einen funktionierenden Wohnungsmarkt.
Mit der immer schwieriger werdenden Wohnungssuche ändern sich offensichtlich auch die Ansprüche, die Mieter stellen: Stand in früheren Jahren die Ausstattung einer Wohnung beispielsweise mit Balkon und Terrasse an oberster Stelle, so ist jetzt die günstige Miete auf die Spitzenposition gerückt, wie der IBB-Bericht vermerkt.
Aber wer jetzt noch eine billige Wohnung sucht, hat schlechte Karten: Um 60 Prozent stieg die durchschnittliche Angebotsmiete am hiesigen Wohnungsmarkt seit 2008. Ende vergangenen Jahres lag sie laut IBB-Bericht bei durchschnittlich 8,91 Euro (nettokalt). Wer unter 7 Euro pro Quadratmeter nettokalt mieten möchte, für den kommen nur 22 Prozent aller Angebote infrage. Unter 5 Euro pro Quadratmeter nettokalt steht überhaupt nur noch ein Prozent freier Wohnungen zur Verfügung.
Neu-Berliner suchen günstigen Wohnraum
Die meisten Suchenden drängen sich aber laut IBB-Bericht auf den schmalen Marktsegmenten: Viele der rund 170.000 Neuberliner, die jährlich in die Stadt drängen, sind Auszubildende, Studenten oder Berufsanfänger. Unter Druck steht offensichtlich auch jene Altersgruppe, in der eine Familie gegründet wird und in der Kinder aufwachsen. Fast jeder vierte 30- bis 44-Jährige, so die Infratest-Umfrage, denke derzeit über einen Umzug nach. Die wenigsten können in ihrem alten Kiez bleiben – viele ziehen inzwischen wieder über den Stadtrand hinaus. Oder sie geben ihre Umzugsabsichten auf und rücken zusammen. Das Kinderzimmer wird geteilt, aufs Schlafzimmer verzichtet, eine Arbeitsecke im Flur eingerichtet. Sigmar Gude vom Stadtforschungsinstitut Topos: „Die Verdrängung erfolgt nicht mehr unbedingt in die Randgebiete der Stadt. Da gibt es ja auch so gut wie keine freien Wohnungen mehr. Die Verdrängung erfolgt in die immer dichtere Belegung von Wohnungen.“
Der Rückgang beim Wohnflächenverbrauch je Einwohner in Berlin bestätigt dies: Im vergangenen Jahr sank er um 0,5 Prozent auf durchschnittliche 38,8 Quadratmeter. Den wenigsten Platz gibt es dort, wo auch die sozialen Probleme groß sind, in Neukölln: Hier lebt ein Einwohner durchschnittlich auf 34,7 Quadratmeter.
Rosemarie Mieder
Umzugshäufigkeit: Berlin trägt die rote Laterne
Das Statistik-Portal Statista untersuchte im vergangenen Jahr die Umzugsaktivitäten in den deutschen Bundesländern. Sie sanken zwischen 2013 und 2014 durchschnittlich von insgesamt 9,9 Prozent auf 9,4 Prozent. Berlin liegt mit einem Rückgang der Umzüge von 7,6 auf 7 Prozent am Ende der Tabelle.
rm
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11.06.2018