Deutschland baut sich zu: Täglich werden 69 Hektar neu als Siedlungs- und Verkehrsfläche ausgewiesen. Jeden Tag werden 98 Fußballfelder verbraucht. Vor allem Einfamilienhausgebiete und Einkaufszentren wuchern in die Landschaft. Dabei stagniert die Einwohnerzahl Deutschlands seit Jahrzehnten und wird auch nach neueren Schätzungen nicht so exorbitant steigen wie der Flächenfraß. Gleichzeitig stehen nicht nur in strukturschwachen Regionen zunehmend Wohnungen, Läden und Büros leer. Diese paradoxe Situation brachte den Publizisten Daniel Fuhrhop zu der radikalen Schlussfolgerung: „Verbietet das Bauen!“ Was würde das für Berlin bedeuten? Das MieterMagazin fragte beim Autor nach.
MieterMagazin: Das Bauen zu verbieten, ist angesichts des Berliner Wohnungsmarkts eine erklärungsbedürftige Forderung. Wie soll Berlin mit dem jährlichen Zuwachs von 40.000 Einwohnern fertig werden, ohne neue Wohnungen zu bauen?
Daniel Fuhrhop: Die Lage wird in Berlin etwas dramatisiert. Berlin hatte schon einmal, Anfang der 90er Jahre, so viele Einwohner wie heute. Seitdem sind über 200.000 Wohnungen gebaut worden. Das zeigt: Neubau löst die Probleme nicht.
MieterMagazin: Was sollte man stattdessen tun?
Daniel Fuhrhop: Es gibt nicht die eine einfache Lösung. Man kann auf viele Weisen den vorhandenen Wohnraum besser nutzen. Gerade Berlin braucht eine Vielfalt der Lösungen: Sanierung und Umbau fördern, Abriss vermeiden, Leerstand bekämpfen und Zweckentfremdung verhindern.
MieterMagazin: Sie schlagen auch vor, dass die Menschen näher zusammenrücken.
Daniel Fuhrhop: Wir haben nicht mehr die Großfamilien wie früher. In Berlin wohnen an die 60 Prozent der Menschen allein. Dadurch ist der Flächenverbrauch pro Kopf gestiegen. Es gibt viele Wohnformen, wo Menschen zusammenleben und Wohnungen oder einzelne Räume miteinander teilen. Solche Projekte werden meist nur von einzelnen Engagierten auf den Weg gebracht. Sie hätten es aber verdient, dass die Politik sie ernst nimmt und fördert. Gefördert werden sollten auch Umzüge, damit es für Mieter, die allein in zu großen Wohnungen leben, attraktiv wird, in eine kleinere Wohnung zu ziehen.
MieterMagazin: Solche Wohnungstauschbörsen gibt es ja schon. Leider treffen sie auf wenig Resonanz.
Daniel Fuhrhop: Ich habe nicht den Eindruck, dass das ernsthaft betrieben wird. Wenn man Leute zum Umzug bewegen will, muss es sich für sie auch lohnen. Man muss sie beraten, nach ihren Wünschen fragen und Umzüge auch finanziell fördern. Das rechnet sich auch für die Stadt. Neubau kostet mehr Geld.
MieterMagazin: Sie wollen auch gefragte Städte wie Berlin „uncool“ machen, um den Zuzug einzudämmen. Wie das?
Daniel Fuhrhop: Man sollte in diesen Städten Anti-Marketing machen. Mein Vorschlag ist, ein Nonstop-Volksmusikkonzert auf dem Boxhagener Platz zu veranstalten, um zu zeigen: Die Provinz ist schon da. Das ist natürlich augenzwinkernd gemeint. Man muss sich aber fragen, ob Berlin immer noch mehr Tourismus will und dabei weiter auf Masse setzt.
Interview: Jens Sethmann
Denkanstöße
Der Buchtitel soll provozieren, ist aber durchaus ernst gemeint. Der Autor Daniel Fuhrhop hat viele beispielhafte Lösungen zusammengetragen, wie Neubau vermieden werden kann. So wird hier eine Bremerhavener 50er-Jahre-Wohnsiedlung, deren Modernisierung sich als günstiger erwiesen hat als ein Abriss mit anschließendem Neubau, ausführlich vorgestellt. Nachahmenswert ist, wie niederländische Behörden gegen Wohnungsleerstand vorgehen oder wie ein ungenutztes Frankfurter Bürohochhaus zu Wohnungen umgebaut wurde. Fuhrhop listet 50 Werkzeuge auf, die den Neubau überflüssig machen. Darunter sind auch ein paar extravagante Ideen: Damit wieder Leute in das leerstandsgeplagte Duisburg ziehen, möchte er es in „Düsseldorf-Nord“ umbenennen. Um das Problem ungenutzter Zweitwohnungen zu lösen, sollte es eine Residenzpflicht für Reiche geben. Auch wenn das scherzhaft klingt, sind das interessante Denkanstöße. Die Streitschrift gegen die blinde Bauwut ist ein dringender Appell, alle Potenziale und Ressourcen der bestehenden Stadt auszuschöpfen, bevor man an Neubau denkt.
js
07.05.2016