Das Bundesverfassungsgericht hat die Berechnung der Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt und eine Reform bis Ende 2019 verlangt. Der Bundesfinanzminister hat sich nun mit seinen Kollegen aus den Bundesländern auf Eckpunkte einer Neuberechnung geeinigt, über die jetzt heftig diskutiert wird.
Die Berechnung der Grundsteuer beruht auf Einheitswerten aus den Jahren 1964 (West) und 1935 (Ost), die keineswegs mehr für eine gerechte Besteuerung taugen. So ist im Ostteil wegen des älteren Basiswerts die Grundsteuer im Schnitt niedriger als im Westteil. Zu weiteren Verzerrungen kommt es, weil jahrzehntelang die Neubewertung der Grundstücke unterlassen wurde. Zwischenzeitliche Modernisierungen, altersbedingter Wertverlust oder die allgemeine Marktentwicklung bleiben unberücksichtigt. Die Einheitswerte weichen mittlerweile je nach Gebäudealter und Lage stark von den aktuellen Verkehrswerten ab.
Schon seit über 20 Jahren streiten sich die Länder und der Bund um eine Neuregelung. Das Verfassungsgericht hat nun mit seiner Zeitvorgabe Druck in die zähe Debatte gebracht.
Im April hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) einen Gesetzentwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Es ist ein Mittelweg aus dem wertabhängigen und dem wertunabhängigen Modell. Beim wertunabhängigen Modell würden Immobilien allein nach der Grundstücks- und Gebäudefläche besteuert, unabhängig von Lage und Nutzung. Damit würde eine innerstädtische Villa genauso hoch besteuert wie ein Einfamilienhaus gleicher Größe am Stadtrand. Beim wertabhängigen Modell müssen alle Grundstücke und die darauf stehenden Gebäude amtlich neu bewertet werden – ein hoher bürokratischer Aufwand, der schätzungsweise zehn Jahre verschlingen würde.
Kein Kompromiss in Sicht
Scholz schlägt jetzt ein vereinfachtes wertabhängiges Modell vor. Drei Faktoren sollen für die Bewertung herangezogen werden: der von Gutachterausschüssen festgestellte Bodenrichtwert, der den Wert eines Grundstücks in Abhängigkeit der zulässigen Nutzungen angibt; das Gebäudealter, wobei alle bis 1948 errichteten Häuser gleich behandelt werden; und schließlich die durchschnittliche Nettokaltmiete. Die Durchschnittsmieten sollen dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes entnommen werden. Für öffentliche Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften sowie für den Sozialen Wohnungsbau soll die Steuermesszahl pauschal verringert werden.
Kaum war der Kompromiss verkündet, meldeten die Bayerische Staatsregierung und Teile der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Protest an. Sie wollen weiterhin ein reines Flächenmodell durchsetzen oder wenigstens erreichen, dass die Länder für sich abweichende Grundsteuer-Regelungen beschließen dürfen. Die Immobilienwirtschaft lehnt den Kompromiss einhellig ab. „Ein wertorientiertes Modell ist nicht die richtige Lösung“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW. „Insbesondere wenn der Bodenrichtwert und Durchschnittsmieten mit berücksichtigt werden, drohen in den sowieso schon belasteten Ballungsräumen massive Grundsteuererhöhungen, vor allem beim bezahlbaren Mietwohnungsbau – das schwächt die sozial durchmischte Stadt“, so Gedaschko. „Das wertunabhängige Flächenmodell ist das einzige Modell, dass verfassungsrechtlich unbedenklich und zügig umsetzbar ist“, meint Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbandes IVD. Der GdW hatte zusammen mit „Haus & Grund“ sogar die Abschaffung der Grundsteuer gefordert.
Auch das Bündnis „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ kritisiert den Scholz-Entwurf: „Grundsteuer kann und muss ohne Gebäudekomponente auskommen“, erklärt die Initiative, die von über 50 Bürgermeistern und Verbänden wie dem Deutschen Mieterbund (DMB), dem Naturschutzbund NABU und dem Institut der deutschen Wirtschaft getragen wird. Sie wirbt seit 2012 für ein Modell der reinen Bodensteuer, bei dem die Bebauung der Grundstücke außer Betracht bleibt. Der amtliche Bodenrichtwert soll die einzige Bemessungsgrundlage sein. Das stellt einerseits sicher, dass Stadtrandlagen geringer besteuert werden als City-Grundstücke. Andererseits verteuert das Modell die Spekulation mit Grund und Boden und gibt einen Anreiz, innerstädtische Brachen zu bebauen. „Mehrfamilienhäuser würden entlastet, und unbebaute Grundstücke würden deutlich höher belastet“, erklärt DMB-Direktor Lukas Siebenkotten. Die Bodensteuer sei deshalb „gleichermaßen plausibel, sozial und gerecht“.
Die Pläne des Finanzministers rufen hingegen Befürchtungen hervor: „Nettokaltmieten als Bemessungsgrundlage führen dazu, dass Mieter, die heute schon vergleichsweise viel Miete zahlen, künftig auch noch mit einer vergleichsweise hohen Grundsteuer belastet würden“, heißt es in einer Stellungnahme von „Grundsteuer: Zeitgemäß!“. „Dies befördert die Gentrifizierung und beschleunigt die Verdrängung von Geringverdienern aus den Innenstädten.“
„Grundsteuer raus aus den Betriebskosten“
Der DMB und der Berliner Mieterverein (BMV) fordern zudem, dass die Grundsteuer nicht mehr auf die Mieter umgelegt wird. Dazu haben sie die Kampagne „Grundsteuer raus aus den Betriebskosten“ gestartet. Nach jetziger Rechtslage kann die Grundsteuer über die Betriebskostenabrechnung vollständig auf die Mieter abgewälzt werden. Nach der Berliner Betriebskostenübersicht 2017 müssen die Mieter im Mittel monatlich 28 Cent pro Quadratmeter Wohnfläche für die Grundsteuer zahlen. Die Spannweite ist riesig: Das Gros der Mieter zahlt zwischen 14 und 46 Cent pro Quadratmeter. Bei einer 80 Quadratmeter großen Wohnung müssen Berliner Mieter also jährlich zwischen 134 und 442 Euro Grundsteuer bezahlen. „Die Grundsteuer ist eine Eigentumssteuer und hat bei den Betriebskosten nichts zu suchen“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
Das sehen im Bundestag auch SPD, Grüne und Linke so und wollen die Umlagemöglichkeit auf die Betriebskosten abschaffen. Die Bundesregierung müsste dazu – unabhängig von der Grundsteuerreform – die Betriebskostenverordnung ändern. In der jetzigen Koalition dürfte das jedoch schwierig werden: CDU und CSU wollen weiter die Eigentümer schonen und die Mieter zur Kasse bitten.
Die Vermieter- und Eigentümerverbände heulen bereits auf: „Die Abschaffung der Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die Mieter wäre verfassungswidrig, weil die Grundsteuer zu einer speziellen Vermögensteuer für Grundstücke werden würde“, heißt es in einer Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID).
Der IVD sagt voraus, dass die Eigentümer dann weniger in Modernisierung und Neubau investieren würden. Der GdW meint, die Grundsteuer würde dann in die Kalkulation der Nettomieten einfließen. „Haus & Grund“ ist der Auffassung, damit würde ein „Mietenturbo“ in Gang gesetzt – alles vermutlich leere Drohungen, denn schon jetzt werden alle Mieterhöhungsmöglichkeiten ausgenutzt. Der Mietenturbo läuft längst auf Hochtouren.
Jens Sethmann
Ein verlässlicher Brocken
Die Grundsteuer ist eine Steuer auf den Grundstücksbesitz, die allein den Städten und Gemeinden zugute kommt. Für landwirtschaftliche Flächen gilt die Grundsteuer A. Weitaus bedeutsamer ist hingegen die Grundsteuer B für bebaute und bebaubare Flächen. Die deutschen Städte und Gemeinden erlösen mit der Grundsteuer insgesamt knapp 14 Milliarden Euro pro Jahr. Im Durchschnitt entspricht das 15 Prozent der kommunalen Einnahmen. Für die Finanzen der Städte und Gemeinden ist die Grundsteuer eine wichtige Basis, weil die Einnahmen zuverlässig und ohne konjunkturelle Schwankungen fließen. Berlin hat im Jahr 2018 über 816 Millionen Euro an Grundsteuer eingenommen.
js
Modell des Bündnisses „Grundsteuer: Zeitgemäß!“:
www.grundsteuerreform.net/
19.12.2019