In Berlin leben, gemessen an der Bevölkerungszahl, die meisten Alleinerziehenden bundesweit. Mehr als ein Drittel der Haushalte mit Kindern sind Ein-Eltern-Familien. Von den etwa 155.000 Alleinerziehenden in Berlin sind 87 Prozent Frauen. Nur etwa die Hälfte der Alleinerziehenden kann ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen bestreiten. Das hat auch Auswirkungen auf die Wohnverhältnisse.
„Alleinerziehend“ heißt in der Praxis auch „alleinbezahlend“. Während Ehepartner die Kosten für Lebensunterhalt und Miete gemeinsam tragen, müssen Alleinerziehende auch allein für alles aufkommen. Im Vergleich zu Paarhaushalten ist das Pro-Person-Durchschnittseinkommen von Alleinerziehenden um die Hälfte niedriger und das Armutsrisiko erheblich höher. Dieses Risiko nimmt zu, je mehr Kinder im Haushalt leben und umso jünger diese Kinder sind. Alleinerziehende mit mehreren Kindern unter drei Jahren sind häufig auf Sozialleistungen angewiesen. Laut drittem Armut- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sind Alleinerziehende fast doppelt so häufig von Armut betroffen wie die Gesamtbevölkerung. Auch wenn Kinder- und Elterngeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschüsse und andere staatliche Leistungen dazu beitragen, das Armutsrisiko zu senken: Die Hälfte der Alleinerziehenden empfindet ihre finanzielle Lage als unbefriedigend, und ein Viertel gibt an, sich sehr einschränken zu müssen.
Bundesweit verfügt nur jede Fünfte der Alleinerziehenden über Wohneigentum, 80 Prozent wohnen zur Miete. Die Statistik besagt, dass Alleinerziehende im Vergleich zu anderen Erwachsenen mit Kindern über weniger Wohnfläche verfügen. Die Wohnfläche, die den Kindern wiederum zur Verfügung steht, unterscheidet sich kaum. Karin S., die mit ihrer vierjährigen Tochter Maria in der Danziger Straße lebt, bestätigt: „Lieber schränke ich mich ein, der Kleinen soll es an nichts fehlen.“ Die Haushalte von Alleinerziehenden sind oft schlechter mit modernen Haushaltsgeräten ausgestattet – das hat finanzielle Gründe. Karin S. besitzt Fernsehgerät, Waschmaschine und Kühlschrank – alles andere muss sie als „Luxus“ auf bessere Zeiten verschieben. Problematisch wird es, wenn ein Gerät ausfällt. Schon die Reparaturkosten würden das enge Monatsbudget sprengen.
Bezirke fördern Netzwerke
Seit einer Impulsveranstaltung („Netzwerke für Alleinerziehende“) vor zwei Jahren werden in den Bezirken Hilfen installiert. Seit 2011 besteht zum Beispiel das „Netzwerk Alleinerziehende Marzahn-Hellersdorf“. In diesem Bezirk leben 44 Prozent Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren, darunter überdurchschnittlich viele junge Mütter unter 25. Projektleiterin Anett Dubsky: „Mit speziell entwickelten Angeboten möchten wir Alleinerziehenden Möglichkeiten geben, ihren Alltag zu erleichtern.“
Geht es um die Unterstützung Alleinerziehender, sind auch die Wohnungsbaugesellschaften gefordert. In der Golliner Straße 5 und 7 in Marzahn-Nord stellt die Wohnungsbaugesellschaft Degewo 15 Wohnungen für Alleinerziehende zur Verfügung. Im Rahmen der laufenden Sanierung der Gebäude wird ein Treffpunkt für junge Eltern und ihre Kinder eingerichtet – als Ort zum Reden, für gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern und Vorträge.
Der Senat hat das Projekt „Jule“ im Rahmen des Programms „Aktionsräume plus“ aufgelegt. Marina Bikádi, Projektleiterin vom Kinderring Berlin: „Die jungen Mütter oder Väter beziehen eine eigene Wohnung, und wir halten ihnen den Rücken frei und unterstützen sie bei der Betreuung der Kinder, dem Schulabschluss und bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.“
Immer wieder berichten Alleinerziehende auch über rechtliche Probleme, die aus dem Sorge- und Umgangsrecht resultieren und sich auf die Wohnungssuche auswirken. Will eine Mutter zum Beispiel mit dem Kind umziehen, weil sie ihre Arbeitsstelle wechseln muss, braucht sie die Zustimmung des Vaters, wenn beide das Sorgerecht haben. Werden sich die Eltern in diesem Punkt nicht einig, muss die Mutter beim Familiengericht beantragen, dass ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein übertragen wird. Sie kann erst umziehen, wenn das Gericht zu ihren Gunsten entschieden hat. Diese und andere juristische Probleme schränken die Handlungsfreiheit Alleinerziehender ein, Reformen sind hier längst überfällig.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 6/12
Weitere Informationen:
SHIA SelbstHilfeInitiative Alleinerziehender e.V.,
Rudolf-Schwarz-Straße 29/31, 10407 Berlin,
Tel./Fax 425 11 86,
E-Mail: kontakt@shia-berlin.de
www.shia-berlin.de
VAMV Verband alleinerziehender Mütter und Väter,
Landesverband Berlin e.V., Landesvorstand,
Seelingstraße 13, 14059 Berlin,
Tel. 851 51 20,Fax 85 96 12 14,
E-Mail: vamv-berlin@t-online.de
www.vamv-berlin.de
Zum Thema
Die Umsetzung lässt auf sich warten
„Wir wollen die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern. Dieses soll insbesondere in verlässlichen Netzwerkstrukturen für Alleinerziehende lückenlos, flexibel und niedrigschwellig bereitgestellt werden. Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltung des bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrags in einen Abzug von der Steuerschuld möglich und interessengerecht ist.“ Das steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Umgesetzt wurde davon bisher nichts. Im Koalitionsvertrag der Berliner SPD und CDU kommt das Wort „Alleinerziehende“ noch nicht einmal vor.
rb
03.05.2022