Die Maßnahmen zur Energieeffizienz haben an den Fassaden ihren wohl sichtbarsten Niederschlag gefunden: Rund 720 Millionen Quadratmeter Styropor-Dämmplatten wurden bislang an deutsche Hauswände geklebt und geschraubt. Für deren spätere Entsorgung müssen die Eigentümer – und zum Teil auch die Mieter – aufkommen. Das wird teuer werden, denn aufgrund des in den Platten enthaltenen Flammschutzmittels Hexabromcyclododecan gilt der Dämmstoff jetzt als Sondermüll.
Styropor, ein expandierter Polystyrolpartikelschaum (EPS, kurz: Polystyrol) wird unter hohem Energieeinsatz aus Erdöl hergestellt. Rund 80 Prozent der eingesetzten Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) bestehen heute aus Polystyrol. Schätzungen beziffern die Gesamtmasse auf rund 1.570.000 Tonnen. Niemand weiß, wie lange eine Styropor-Dämmung hält. Fachleute wie der Architekt Mark Linnemann aus Kaiserslautern rechnen mit maximal 25 Jahren. Die WDVS der ersten Generation stehen inzwischen vor der Überarbeitung, das heißt der Anstrich ist zu erneuern, das System ist zu renovieren oder zu entfernen und durch aktuelle Systeme zu ersetzen. Das Münchner Fraunhofer-Institut für Bauphysik und das Forschungsinstitut für Wärmedämmung gehen davon aus, dass die Rückbaumenge bis zum Jahr 2050 deutschlandweit bis zu 50.000 Tonnen pro Jahr erreicht.
Bisher als Bauabfall verheizt
Bisher konnte Polystyrol problemlos als Kunststoffabfall oder gemischter Bauabfall in Müllheizkraftwerken verbrannt werden. Nach der kürzlich in Kraft getretenen Novelle zur Abfallverzeichnisverordnung gilt eine Wärmedämmung aus Polystyrol als Sondermüll, wenn sie das giftige Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) enthält. In Deutschland wurde HBCD bis August 2015 eingesetzt, danach erfolgte laut Auskunft des Industrieverbandes Hartschaum die Umstellung auf unbedenkliche Stoffe.
HBCD ist solange ungefährlich, wie es in den Polystyrol-Platten gebunden ist, kann jedoch bei Bränden oder Abrissarbeiten freigesetzt werden. Es reichert sich in lebenden Organismen an und kann die Entwicklung von Embryonen und Säuglingen negativ beeinflussen, auch wenn es nicht als akut toxisch für den Menschen gilt.
Bisher wurden Dämmplatten aus HBCD-haltigem Polystyrol geschreddert und mit anderen Abfällen in dafür zugelassenen Heizkraftwerken verbrannt. Eine Lagerung in oberirdischen Deponien war auch bisher nicht zulässig. Künftig muss HBCD-haltiges Polystyrol in Sondermüllanlagen so entsorgt werden, dass das schwer abbaubare HBCD zerstört wird. Über die Entsorgung ist ein Nachweis zu führen. Technologien zur Wiederverwendung von Polystyrol aus WDVS gibt es aktuell ebenso wenig wie für die Abtrennung von HBCD. Oder, wie eine Studie, in Auftrag gegeben durch zwei Verbände der Dämmstoffindustrie, feststellt: „Das Potenzial des WDVS für einen Wertstoffkreislauf wird aktuell noch nicht genutzt.“
Der Berliner Mieterverein bezeichnet die neue Verordnung als „umweltpolitisch inkonsequent“ und fordert, den Einsatz von Polystyrol generell zu verbieten. Schließlich stehen ausreichend alternative Dämmstoffe wie Mineralwolle, Schaumglas oder Blähton und Dämmstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe zur Verfügung – auch wenn diese teurer sind.
Die Entsorgung des HBCD-haltigen Polystyrols kann auch für die Mieter teuer werden. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins: „Gibt es in 20 Jahren eine nachholende Modernisierung, weil der Vermieter einen neuen Dämmstoff mit besserer Energieeinsparung aufträgt, werden die Entsorgungskosten des bisherigen Dämmstoffs zu den Modernisierungskosten zählen.“
Rainer Bratfisch
Dämmung ist ein Milliarden-Geschäft
Die nachträgliche Dämmung der Außenwände ist seit Beginn der 1960er-Jahre ein Milliardengeschäft für die Hersteller. Immer wieder ist es der Dämmstoff-Lobby in den letzten Jahrzehnten gelungen, den Absatz ihre Produkte trotz aller Kritikpunkte zu steigern. Auf der anderen Seite sind in Deutschland noch immer rund 70 Prozent aller Wohngebäude schlecht oder gar nicht gedämmt. Wurden 2009 noch 16,2 Milliarden Euro in die Gebäudehüllendämmung investiert, waren es 2015 bereits 21,9 Milliarden Euro. 2020 könnte der Betrag nach Schätzungen der Unternehmensberatung Roland Berger auf 31,9 Milliarden Euro steigen.
rb
05.02.2018