Mehr als 1,5 Millionen Wege werden von den Berlinern täglich mit dem Fahrrad zurückgelegt – Tendenz steigend. Bis 2020 wird der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen der Hauptstadt 20 Prozent betragen. Bereits jetzt ist das Fahrrad in der Innenstadt das schnellste Verkehrsmittel. Der Senat hat im November 2004 die erste Radverkehrsstrategie für Berlin beschlossen, 2008 folgte ein Leitfaden für die Planung „Fahrradparken in Berlin“, 2013 eine neue Radverkehrsstrategie. Von den rund 80 vorgesehenen Maßnahmen wurden bisher jedoch nur einige wenige umgesetzt.
Fahrradfahren ist heute ein Massensport, eine umweltschonende Alternative zu Auto, Bahn, Bus und Tram – und für immer mehr Berliner angesichts steigender Fahrpreise auch eine ökonomische Notwendigkeit. Amsterdam und Kopenhagen können sich mit gutem Gewissen als Fahrradhauptstadt bezeichnen. Berlin ist noch weit davon entfernt. Mehr und bessere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und E-Bikes am Wohnort und an öffentlichen Straßen und Plätzen wären ein entscheidendes Instrument, um den Radverkehr in Berlin zu stärken. Aber gerade hier versagt der Senat.
Täglich verschwinden in Berlin fast hundert Fahrräder. Fahrraddiebstahl ist zu einem Massenphänomen geworden. Im vergangenen Jahr wurden von der Polizei allein in Berlin 32.244 Fälle registriert. Das sind 4,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor – der höchste Wert der vergangenen zehn Jahre.
Der Bedarf ist riesig
Private Prävention ist wichtig, aber nie 100 Prozent sicher. Jedes noch so teure Fahrradschloss kann geknackt werden, denn auch die Fahrraddiebe rüsten auf. Viel wichtiger sind also sichere Abstellplätze. Die Entwicklung konzeptioneller Ansätze zum Fahrradparken an Bahnhöfen und Haltestellen wird deshalb ein wichtiger Baustein im „Masterplan Fahrradparken“ des Senats sein, der seit Jahren in der Diskussion ist. Bis 2020 soll mindestens eine Fahrradstation mit mindestens 500 Stellplätzen und Serviceangeboten für Radfahrer realisiert werden. Aber das ist nicht genug. Die Initiatoren des „Volksentscheids Fahrrad“ fordern 200.000 zusätzliche, sichere und bedarfsgerechte Fahrradabstellplätze bis 2025 – eine Hälfte an U-, S- und Bahn-Stationen, die andere Hälfte in Wohn- und Gewerbegebieten, wo Bedarf ist. Bei privaten und öffentlichen Neubauten soll eine größere Zahl an Fahrradstellplätzen eingeplant werden.
Die Neufassung der Bauordnung sieht Fahrradständer für Neubauten vor sowie für Gebäude, an denen wesentliche bauliche Veränderungen vorgenommen werden. Alternativ müssen Stellplätze auf öffentlichem Straßenland vor dem Baugrundstück angelegt oder durch Zahlung eines Geldbetrages vor Baubeginn abgelöst werden. Diese Mittel werden dann zweckgebunden für den Bau von Abstellmöglichkeiten in der Stadt verwendet. Beim Neu- oder Umbau von Bahnhöfen gibt es dagegen noch immer keine verbindlichen Vorgaben für den Bau von Fahrradparkplätzen. Verantwortlich für vor 2006 installierte Anlagen sind die Bezirke, für danach installierte Anlagen die Verkehrsunternehmen.
An größeren Berliner Bahnhöfen sollen endlich Fahrradparkhäuser entstehen, fordert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). Brandenburg ist da wesentlich weiter. In Bernau ist eine erste große Fahrradparkanlage fertig. Im Parkhaus am Potsdamer Hauptbahnhof wurde eine Radstation mit mehr als 550 überwachten Stellplätzen für Fahrräder eingerichtet. Ein Tagesticket kostet 1 Euro, ein Monatsticket 10 Euro und eine Jahreskarte 99 Euro.
Andernorts ist Radparken kostenlos
Am Hauptbahnhof in Offenburg wurde bereits 2013 das „Radhaus“ eröffnet, ein vollautomatisches Fahrradparkhaus mit Palettentechnik. Vorbild sind die Parktürme für die Smart-Autos. Auf fünf Etagen bietet das Fahrradparkhaus 120 wetter- und diebstahlgeschützte Stellplätze. Die Fahrräder stehen jeweils in einer der zwölf durch Trennwände separierten Boxen auf einer Trägerpalette. Der Mieter erhält bei Vertragsabschluss eine Chip-Karte, die jederzeit den Zugang zu einem Stellplatz gewährleistet. Das Angebot ist vorerst auf Dauernutzer ausgerichtet, die Stellplätze werden jahresweise vermietet. Auch in Hannover besteht ein Fahrradparkhaus. Hamburg setzt seit den 1980er Jahren auf abschließbare Fahrradhäuschen mit mehreren Etagen, die allerdings oft die Sicht für andere Verkehrsteilnehmer beeinträchtigen. Die niedrige Ausführung, seit 1980 nach dem Vorbild von Rotterdam als „Fietstrommel“ im Einsatz, ist jedoch besonders vandalismusgefährdet. In Dortmund gibt es bereits 14 Fahrradgaragen. In Amsterdam sind die Fahrradparkhäuser kostenlos. Am Hauptbahnhof Münster ist der Betrieb des Fahrradparkhauses kostendeckend, da Fahrradverleih und Service mit angeboten werden. Die Stadt übernimmt dort die Kosten der Immobilie. Und Berlin? Auch hier steigt der Handlungsdruck, aber der Senat verfolgt derzeit noch eine Politik der kleinen Schritte.
Im März 2016 weihte Wilfried Nünthel, Lichtenbergs Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, auf dem Vorplatz des Bahnhofs Lichtenberg die „bundesweit erste abschließbare Fahrradabstellbox“ ein – für gerade mal zehn Fahrräder. Inzwischen stehen zwei der grünen, runden Boxen auch am S-Bahnhof Karlshorst und am Checkpoint Charlie. Mit der „velo-easy-App“ lässt sich ein freier Platz lokalisieren und reservieren. Laut Betreiber verzeichnet die Box zurzeit „bis zu sieben Buchungen am Tag“. Ein Grund für die zögerliche Nutzung ist der Preis: Die erste Stunde kostet 1 Euro, die zweite 0,80 Euro, die dritte 0,70 Euro. Der Tagespreis beträgt 3 Euro. Die Berechnung erfolgt pro angefangener Stunde. Der Bezirk Lichtenberg gewährt den Betreibern eine kostenfreie Aufstellung für eine zweijährige Pilotphase.
Am Bahnhof Südkreuz kommt demnächst eine Variante mit reihenweise aufgestellten Boxen zum Einsatz. Die Lösung des Problems Fahrradparken sind die Boxen jedoch nicht. Am S-Bahnhof Zehlendorf soll Berlins erstes Fahrradparkhaus nach dem Offenburger Vorbild entstehen. 600.000 Euro soll es kosten – die Finanzierung ist noch ungeklärt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt will einen Betreiber suchen. Das kann dauern.
Seit 2015 veranstaltet die Senatsverwaltung einen Runden Tisch zur „Strategie Fahrradparken“, bei dem auch der Berliner Mieterverein vertreten ist. Beim Expertenworkshop im November 2015 „wurde der Wunsch nach konkreten Ergebnissen und einer Umsetzung von Maßnahmen deutlich“, wie das Protokoll vermeldet. Mit Hilfe der Strategie soll ein Budget für den Bau von „Fahrradparkplätzen“ eingefordert werden. Die Finanzierung soll sich allerdings nicht auf einige wenige Modellprojekte beschränken, forderten die Teilnehmer. Fahrradparken in Berlin ist noch immer ein Problem, trotz aller Runden Tische, Strategiepapiere und Änderungen der Bauordnung.
Rainer Bratfisch
Der Fahrradpass
Wichtige Daten zum Fahrrad sollten in einem Fahrradpass, den die Polizei kostenfrei zur Verfügung stellt, dokumentiert werden: Beschreibungen inklusive Fotos, Individualnummern am Rahmen, Codiernummer und so weiter. Der Fahrradpass ist im Faltblatt zur Prävention des Fahrraddiebstahls enthalten und kann unter www.polizei-beratung.de heruntergeladen und ausgedruckt werden. Für das Smartphone stehen Fahrradpass-Apps zur Verfügung.
Als zusätzlichen Service kennzeichnet die Polizei Fahrräder mit einem individuell nummerierten Aufkleber. Dieser Sticker ist witterungsbeständig und kann nicht einfach entfernt werden. Die Daten des Fahrrads (Hersteller, Farbe und Rahmennummer) werden zusammen mit den Angaben zum Besitzer des Rades in einer Datei gespeichert, auf die die Polizei zugreifen kann. Sollte das Rad gestohlen werden, kann es beim Auffinden von der Polizei leicht zugeordnet werden.
rb
Volksentscheid Fahrrad
Für einen Volksentscheid Fahrrad werden zurzeit – mit Unterstützung des ADFC – in Berlin 20.000 Unterschriften gesammelt. Die Ziele des Volksentscheids:
- 350 Kilometer Fahrradstraßen, die auch für Kinder und Senioren sicher genug sind
- Zwei Meter breite Radverkehrsanlagen an jeder Hauptstraße
- Sicherung von 75 gefährlichen Kreuzungen pro Jahr
- Transparente, schnelle und effektive Mängelbeseitigung
- 200.000 Fahrrad-Abstellplätze an ÖPNV-Halten und Straßen
- 50 Grüne Wellen für Fahrräder
- 100 Kilometer Radschnellwege für den Pendelverkehr
- Fahrradstaffeln und eine Sondereinheit Fahrraddiebstahl bei der Polizei
- Mehr Planerstellen und zentrale Fahrradabteilungen
- Berlin für mehr Radverkehr sensibilisieren
rb
09.06.2016