Berlin eine naturferne Metropole? Von wegen! Die Stadt bietet Tausenden von Wildtieren Lebensräume und Nahrungsquellen. Auch wenn uns die einen willkommener sind als die anderen – wir können gut mit der Vielfalt leben. Ein wenig Aufmerksamkeit, kleine Änderungen an der Fassade, weniger Ordnung im Hof helfen sogar bedrohten Arten und sind für die Tiere überlebenswichtig, meint Derk Ehlert. der Wildtierexperte des Berliner Senats.
MieterMagazin: Herr Ehlert, wie viele Wildtierarten gibt es eigentlich in unserer Stadt?
Ehlert: Eine riesige Bandbreite! In Berlin leben ja nicht nur die uns bekannten Wildtiere wie Fuchs, Wildschwein, Dachs, Igel oder unsere Wildvögel, sondern auch viele kleinere Tiere wie beispielsweise Insekten und Spinnen. Nehmen wir die Pflanzen dazu, die Pilze und Flechten, konnten wir bisher 20.000 Wildarten nachweisen. Aber das ist längst kein Gesamtüberblick. Von vielen wissen wir einfach nichts, weil sie sehr klein sind. Dazu kommt: Es verschwinden Arten, werden verdrängt, während andere neu auftauchen.
MieterMagazin: Was bedeuten Wildtiere für eine Stadt wie Berlin?
Ehlert: Wildtiere und auch -pflanzen bedeuten Naturnähe, die sich heute viele Menschen wünschen. Die Berliner genießen es, wenn sie am Morgen und Abend Vogelstimmen hören, wenn sie Eichhörnchen im Hof beobachten können, wenn Mauersegler über die Dächer fliegen, Sperlinge und Hausrotschwänze auf den Büschen sitzen und Fledermäuse durch die Dämmerung huschen. Das sind Wohlfühlmomente.
Und dazu bringen uns etliche tatsächlich auch einen konkreten Nutzen. Nehmen sie nur die Mauersegler: Ein einziger Vogel frisst im Jahr fünf bis acht Kilo Insekten. Er muss natürlich weiterhin Brutmöglichkeiten haben. Die werden ihm durch Modernisierungen oft genommen. Die Vögel, die ja eigentlich in Felsen gebrütet haben, brauchen Schlupflöcher: Höhlungen durch fehlende Ziegel, Nischen in Dächern, „ruinöse“ Hauswände. Kurz: Für sie ist jede Instandsetzung und Sanierung eine Katastrophe, denn sie nimmt ihnen die Nistplätze. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie weit sind wir bereit, Wildtiere in der Stadt zu akzeptieren und zu unterstützen?
MieterMagazin: Aber wie soll das gehen in einer immer dichter werdenden Stadt, in der Brachen zugebaut, Bäume gefällt und Dächer gedämmt werden?
Ehlert: Bleiben wir bei den Vögeln: Indem wir beispielsweise auf ihre Brutplätze achten. Mieter haben oft aus ihrem Küchenfenster oder vom Balkon aus die Hauswand, das Dach oder die Bäume im Hof im Blick. Sie sollten vor einer Sanierung den Vermieter auf Nester und Einfluglöcher aufmerksam machen und im besten Fall mit ihm gemeinsam über Ersatz für die Tiere nachdenken: Brutsteine können in die Fassade eingelassen, Nistkästen aufgehängt, Insektenhotels aufgestellt werden.
Weniger ist mehr
Wohnungsbaugesellschaften sind dem Naturschutz gegenüber heute sehr aufgeschlossen, da hat ein Umdenken eingesetzt. Ein Blick in so manche Vorgärten und Innenhöfe zeigt, dass vogel- und insektenfreundliche Sträucher gepflanzt werden, wie Kupferfelsenbirne oder Vogelbeere. Dass oft schon überlegt wird, wann Strauch- und Rasenschnitt wirklich sein müssen, und nicht ein Reisig- und Laubhaufen über den Winter in einer Ecke liegen bleiben kann. Im Sinne des Naturschutzes gilt: Weniger ist mehr. Nicht alles perfekt aufräumen, Laub unter den Sträuchern liegen lassen.
Das MieterMagazin-Gespräch führte Rosemarie Mieder.
Was Berlins Wildtierexperte Mietern rät
Nicht nur die Sommer- oder Herbstbepflanzung länger in Kübeln und Balkonkästen stehen lassen, sondern auch die Wintergestecke. Bis in den April hinein bieten sie Insekten Schutz vor dem Frost – hier „verstecken“ sich sogar Bienen. Außerdem finden Vögel auch an Wintergestecken etwas zu fressen. Das gleiche gilt für Gehölze, die an Rankgittern in Töpfen wachsen. Sie sollten nicht schon im, sondern erst zum Frühjahr zurückgeschnitten werden. Derk Ehlert, der seit 18 Jahren Berlins Wildtierexperte ist, gibt übrigens auch gerne persönlich Auskunft und veranstaltet viele Führungen, etwa am Tegeler See. Wer sie erleben möchte und Fragen an den Experten hat, sollte in diesen Kalender schauen und sich anmelden: rm
www.umweltkalender-berlin.de
24.05.2018