Beim Kampf um ihr Zuhause wollen die Bewohner der Hobrechtstraße 59 Gesicht zeigen. Im März wurde ihr Haus verkauft, der Investor plant Luxusmodernisierungen. Mit Aktionen wie dem Offenen Wohnzimmer und einer „Kiezkantine“ machen sie deutlich, welche Schicksale dahinter stehen.
Am 3. Mai hatte die Hausgemeinschaft aus dem Reuterkiez zu einem dreigängigen Dinner in vier Wohnungen geladen. Gekommen waren neben Journalisten auch zwei SPD-Bundestagsabgeordnete. Das Rentnerehepaar Ursula und Horst, beide Mitte 80, erzählte den erstaunten Besuchern bei Salat und Pasta, dass man seit 62 Jahren in dem Altbau wohne. „Wir haben hier unseren Sohn großgezogen, hier wollten wir bis zum Schluss bleiben“, sagen sie. Die ungewisse Situation macht ihnen große Angst. Das Gefühl des „Vertriebenwerdens“ erinnert Ursula an ihre Flucht aus Breslau als junges Mädchen.
Eva aus dem 4. Stock wohnt seit 1975 hier. Seit vielen Jahren pflegt sie ihre Partnerin. Die Wohnung ist so eingerichtet, dass die Rund-um-die-Uhr-Pflege gewährleistet ist und Eva auch einen Rückzugsraum hat.
Die pensionierte Musiklehrerin schwankt zwischen Verzweiflung und Kampfgeist. Seit Jahrzehnten war sie zum ersten Mal wieder auf einer Demo – der Mietenwahnsinn-Demo Anfang April. „Eigentum verpflichtet doch!“, betont sie immer wieder. „Das ist unser Lebensmittelpunkt, unser ganzes soziales Umfeld ist hier im Kiez.“
Es sind Tischgespräche, die schwer im Magen liegen. Doch die Hausgemeinschaft hält fest zusammen und setzt alle Hoffnungen in das bezirkliche Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet. Bis 24. Mai (nach Redaktionsschluss) hatte der Kaufinteressent Zeit, eine Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben. Ansonsten kann der Bezirk Neukölln sein Vorkaufsrecht ausüben. Über den Investor ist wenig bekannt, er war bisher vor allem in Polen aktiv. Man möchte „einzigartige Apartments für außergewöhnliche Menschen gestalten“, heißt es auf seiner Website. Die Bewohner der Hobrechtstraße 59 dagegen möchten einfach nur in Frieden in ihrem Haus wohnen bleiben.
Birgit Leiß
23.05.2019