Wenn ein Mietshaus verkauft werden soll, schrillen bei den Bewohnern mittlerweile sämtliche Alarmglocken. Angesichts der horrenden Kaufpreise droht die Verdrängung durch höhere Mieten oder gar die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Immer mehr Mieter setzen daher all ihre Hoffnungen auf ein Instrument, das in Berlin erst seit einigen Jahren Anwendung findet: das bezirkliche Vorkaufsrecht in den Milieuschutzgebieten. 39 Häuser konnten dadurch bislang vor dem Zugriff von Spekulanten gerettet werden. In all diesen Fällen geschah das nur durch erheblichen Druck der Mieter. Monatelang haben sie Transparente gemalt, Ausschusssitzungen besucht, Mieterversammlungen organisiert und Politiker persönlich kontaktiert. Das MieterMagazin stellt fünf Hausgemeinschaften vor, die es geschafft haben.
„Wir sind im sicheren Hafen der WBM angekommen“, sagt Martin Strubelt aus der Matternstraße 4 zufrieden. Im September 2017 ging der Friedrichshainer Altbau mit 33 Wohnungen in den Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte über. Der drohende Verkauf an eine Luxemburger Briefkastenfirma konnte mit viel Engagement und einem Quäntchen Glück verhindert werden.
Rückblick: Im Sommer 2017 sickerte durch, dass das Haus verkauft werden soll. Strubelt marschierte umgehend zum Grundbuchamt und fand heraus, dass genau einen Tag zuvor ein Kaufvertrag mit der Luxemburger Firma „Albert Immo 5 s.a.r.l.“ geschlossen worden war. Dass der Kiez schon seit einigen Jahren zum Sozialen Erhaltungsgebiet („Milieuschutzgebiet“) Petersburger Straße erklärt worden war, hatte er zwar mitbekommen, dem jedoch keine große Bedeutung beigemessen. Doch nun erfahren die Mieter, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Milieuschutzgebieten zugunsten eines Dritten, etwa einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, ein Vorkaufsrecht ausüben kann. Dieses Vorkaufsrecht kann der verkaufswillige Eigentümer nur mit einer Vereinbarung abwenden, in der er sich zur Einhaltung von Maßnahmen des Milieuschutzes erklärt. Viele Verkäufer sind zu einer solchen Vereinbarung aber nicht bereit. Das Problem im Fall der Matternstraße 4: Es bleiben gerade mal 60 Tage Zeit. Der Countdown läuft ab Unterzeichnung des Kaufvertrages. „Der Zeitdruck war enorm, wir mussten in wenigen Tagen von 0 auf 100 kommen, dabei wusste keiner von uns, wie das mit dem Vorkaufsrecht funktioniert“, sagt Strubelt rückblickend. Obwohl einige der Ansicht waren, das bringe doch sowieso nichts, setzte ein Kreis von rund fünf Mietern in den folgenden zwei Monaten alle Hebel in Bewegung. Schritt eins: alle wichtigen Daten zum Haus recherchieren, insbesondere die Mieteinnahmen, denn diese spielen für die Wirtschaftlichkeitsberechnung einer möglicherweise kaufwilligen Wohnungsbaugesellschaft eine große Rolle. Dabei erwies es sich von Vorteil, dass sich die Bewohner der Matternstraße 4 ganz gut untereinander kennen. Zwar ist die Hausgemeinschaft nicht sehr eng, aber man weiß voneinander, insbesondere seit Martin Strubelt in Ermangelung eines Balkons irgendwann einmal eine Bank vor das Haus gestellt hatte. „Wenn man sich nicht kennt, ist es natürlich schwierig, beim Nachbarn zu klingeln und nach der Miethöhe zu fragen“, so Strubelt.
Zweiter Schritt: herausfinden, wer etwas zu sagen hat und Kontakte knüpfen. Florian Schmidt, bündnisgrüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg und bekanntermaßen energischer Verfechter des Vorkaufsrechts, unterstützte die Mietergemeinschaft von Anfang an. Als Hauptproblem erwies sich der Kaufpreis: stolze 5,1 Millionen Euro. Der WBM, die zuerst Interesse signalisiert, war das ohne einen zusätzlichen Zuschuss der Berliner Finanzverwaltung zu teuer. Denn die durchschnittliche Kaltmiete von 6,43 Euro pro Quadratmeter ergibt einen sogenannten Kaltmietenfaktor von 35,4. Das heißt, dass der Kaufpreis dem 35,4-fachen der jährlichen Mieteinnahmen entspricht. In der Regel winken die Wohnungsbaugesellschaften ab, wenn der Kaltmietenfaktor über dem 26-fachen liegt.
„Wir wussten, dass es mit dem Baustadtrat kein Problem geben würde, aber wir mussten uns an den Finanzsenator halten, und zur SPD hatten wir zuerst keinen Zugang“, berichtet Martin Strubelt. Zum Glück war gerade Wahlkampf, und so trugen die Mieter ihr Anliegen beim Wahlkampffest der SPD auf dem Petersburger Platz vor. Auch der damalige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel war zufällig anwesend – und posierte spontan hinter dem Transparent „Berlin Kauf mich!“.
Auch konnten fast alle Hausbewohner davon überzeugt werden, einer freiwilligen 15-prozentigen Mieterhöhung zuzustimmen. Nach weiteren Tagen Zittern und Bangen konnten die Mieter aufatmen: Der Zuschuss seitens des Finanzsenators wurde gewährt, und im September 2017 kam die erlösende SMS: Die Matternstraße 4 ist in kommunaler Hand. Das Erfolgsgeheimnis, so Strubelt rückblickend: „Wir sind schnell raus aus der Diskutierphase und rein in die Handlungsphase gegangen.
Die Bewohner der Wrangelstraße 66 haben dagegen die Erfahrung gemacht, dass es ohne den Druck von der Straße nicht geklappt hätte. Die Wrangelstraße 66 ist das erste Haus eines privaten Eigentümers in Berlin, wo das Vorkaufsrecht angewandt worden ist. „Eigentlich hat niemand von uns geglaubt, dass wir das wirklich schaffen“, erklärt Joachim Knecht, der seit über 25 Jahren in dem Kreuzberger Altbau wohnt.
Politisch motivierter Widerstand
„Es ging uns aber auch nicht nur um unsere eigenen Mietverhältnisse, sondern um den Widerstand gegen Privatisierung und Spekulation“, betont seine Mitstreiterin und Nachbarin Kristina Dietz. Angefangen hatte es im Juli 2015, als den Mietern ihre Wohnungen im Rahmen des gesetzlichen Vorkaufsrechts angeboten wurden. Erst da erfuhren sie, dass diese bereits umgewandelt worden waren und nun im Paket an einen Käufer veräußert werden sollten. Vom Vorkaufsrecht der Bezirke in Milieuschutzgebieten hatten einige vage gehört, auch davon, dass dieses Instrument in München und Hamburg bereits erfolgreich angewandt worden war. In Berlin dagegen betrat man damit Neuland. Das erste Gespräch mit einer Abteilungsleiterin im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg war wenig ermutigend. „Uns wurde gesagt, das sei völlig unmöglich.“ Doch nachdem die Hausgemeinschaft Bezirksverordnete angeschrieben und den Fall in einer Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses der Bezirksverordnetenversammlung vorgestellt hatte, kam es schließlich zum einstimmigen Beschluss, alles zu versuchen, damit hier erstmalig das Vorkaufsrecht ausgeübt werden kann.
Die Mieter organisierten sich als Hausverein und führten Gespräche mit der „Stiftung Umverteilen“ und dem „Mietshäuser Syndikat“. Der Haken auch hier: der hohe Kaufpreis von 3,7 Millionen Euro. Schließlich wurde mit dem städtischen Wohnungsunternehmen Gewobag ein Bündnispartner gefunden. Umso größer der Schock, als die Gewobag plötzlich absprang. Dass der damalige und mittlerweile verstorbene Baustadtrat Hans Panhoff (Bündnis 90/Die Grünen) trotzdem im Dezember 2015, kurz vor Ablauf der Frist, das Vorkaufsrecht anmeldete, war „unglaublich mutig“, wie Kristina Dietz sagt. Man sei Panhoff für seinen unermüdlichen Einsatz sehr dankbar: „Der politische Druck von der Straße gab dem Stadtrat den nötigen Rückenwind.“ Es war der Sommer von „Bizim Kiez“. Der halbe Kreuzberger Wrangelkiez war auf den Beinen, um mit dieser Nachbarschaftsinitiative gegen Verdrängung zu protestieren. Hinzu kam, dass die Mietergruppe einen Rechtsanwalt an der Hand hatte, der sich intensiv in die neue Materie ein- und der Verwaltung zuarbeitete. Die hatte zu diesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrung mit dem Vorkaufsrecht. Kurze Zeit später hat die Gewobag dann doch in den Kauf des Hauses eingewilligt.
Entscheidende Hilfe vom Rechtsanwalt
Während in der Wrangelstraße 66 alle gemeinsam kämpften, schaffte es in der Zossener Straße 48 eine Mieterin quasi im Alleingang, ihr Haus zu retten. Es ist der bisher einzige Fall in Berlin, wo im Rahmen des Vorkaufsrechts der Hauskauf durch die Bewohnerschaft gelungen ist. „Ich habe kein Nein akzeptiert“, äußert Yvonne von Langsdorff bestimmt. Die quirlige 49-Jährige telefonierte sich „durch halb Berlin“, verschickte unzählige E-Mails und setzt sogar drei Monate in ihrem Job aus, nur mit einem Ziel: Wir kaufen unser Haus!
Als der Altbau mit 18 Wohnungen Ende 2016 an die „Trusthouse GmbH“ veräußert werden soll, war das Vorkaufsrecht immer noch juristisch unsicheres Terrain. Beim seinerzeit frisch ins Amt gekommenen Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt rannte sie zwar offene Türen ein, aber in der Verwaltung – so von Langsdorff – hätten damals noch die Bedenkenträger und Bremser gesessen.
Als außerordentlich wichtig erwies sich denn auch hier die Arbeit des Rechtsanwalts, der schon die Wrangelstraße 66 und die Wrangelstraße 21 beraten hatte. Yvonne von Langsdorff bezahlte ihn aus eigener Tasche: „Der hatte sich in die Materie eingefuchst und den Stadtrat und die Zuständigen im Bezirksamt mit seinem Know-how ganz schön beeindruckt.“ Das neue in diesem Fall: von Langsdorff wollte keine städtische Wohnungsbaugesellschaft als Käufer. Im Falle Wrangelstraße 21 war kurz zuvor die Ausübung des Vorkaufsrechts gescheitert, weil ein städtisches Wohnungsunternehmen plötzlich einen Rückzieher gemacht hatte. „Das Risiko war mir zu hoch.“ Also ging sie zum zuständigen Sachbearbeiter im Bezirksamt und fragte, ob er auch den Kauf durch die Mieterschaft unterstützen würde. Dessen Antwort: „Wenn Sie mir 2,7 Millionen Euro bringen, geht das.“ Kein Problem, sagte Yvonne von Langsdorff und machte sich sofort daran, mit der „Nord-Süd-Brücken-Stiftung“ zu verhandeln. Diese war tatsächlich bereit, die 2,7 Millionen Euro auf den Tisch zu legen. Über die Mieten wird die Mietergemeinschaft das Haus für 1,7 Millionen wieder zurückkaufen, der Boden bleibt im Besitz der Stiftung. Einzige Bedingung: 100 000 Euro sollten die Hausbewohner als Sicherheit auf ein treuhänderisches Konto einzahlen – und das innerhalb kürzester Zeit. Alle bis auf einen Mieter machten mit.
Es sah also gut aus für die Zossener Straße 48, und Yvonne von Langsdorff wollte eigentlich ein paar Tage verreisen, als sie, einem Instinkt folgend, noch einmal zum Bezirksamt fuhr. Das war einen Tag vor Fristablauf. Auf dem Flur kam ihr bereits die Sachbearbeiterin entgegen: „Es tut mir sehr leid, Frau von Langsdorff, der Kaufinteressent will jetzt doch die Abwendungsvereinbarung unterschreiben.“ Dem Bezirk waren damit die Hände gebunden, ein Vorkauf war nicht mehr möglich. Doch mehrere Telefonate später war klar: Es gab bereits einen zweiten Kaufvertrag. Die Trusthouse GmbH wollte das Haus weiterveräußern. Der neue Käufer wäre vermutlich nicht an die Abwendungsvereinbarung des ersten Käufers gebunden gewesen. Damit waren die Mieter wieder im Spiel – und konnten ihr Haus kaufen. Es wurde eine GmbH gegründet, in der nicht die einzelnen Mieter, sondern der eigens gegründete Hausverein Gesellschafter ist. Minderheits-Gesellschafter ist das Mietshäuser Syndikat, das mit seinem Veto verhindern kann, dass die Wohnungen irgendwann einmal weiterverkauft oder sonstwie profitabel verwertet werden. Die Zossener Straße 48 gehört jetzt nicht irgendwelchen Spekulanten, sondern den Bewohnern.
Während in den ersten Jahren das bezirkliche Vorkaufsrecht von den Investoren nicht besonders ernst genommen wurde, ist man inzwischen aufgeschreckt – und beschreitet mittlerweile immer häufiger den Klageweg. Bislang hatte damit allerdings noch kein Eigentümer Erfolg. Strittig ist lediglich die Frage, ob ein Ankauf zum Verkehrswert statt zum spekulativ überhöhten Kaufpreis zulässig ist. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist das Land Berlin hier in zwei Klageverfahren beim Landgericht unterlegen. Die Berufungsverfahren vor dem Kammergericht laufen noch.
Auch in der Rathenower Straße 50 hängen die Bewohner derzeit in der Luft, weil der Kaufinteressent eine Klage angestrengt hat. Für den Altbau in Moabit hat der Bezirk Mitte im Februar 2018 sein Vorkaufsrecht zugunsten der Wohnungsbaugesellschaft WBM ausgeübt. Die Hausgemeinschaft, eine bunt gemischte Gruppe von Studenten, Familien, Wohngemeinschaften und Senioren, musste dafür ganz schön Druck machen. Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) wollte zuerst nicht so recht. Eine Abwendungsvereinbarung mit dem Käufer wäre ihm lieber gewesen, schließlich muss die öffentliche Hand dafür kein Geld in die Hand nehmen. Doch der potenzielle Käufer weigerte sich, auf Luxusmodernisierungen und die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu verzichten.
Der Stadtrat war zögerlich
Auch hier war es purer Zufall, dass die Mieter vom drohenden Verkauf Wind bekommen hatten. „Bei mir haben irgendwann zwei Herren geklingelt, die sich als Makler vorstellten und das Haus angucken wollten“, berichtet Martina Schmidt. Die resolute Hausmeisterin hatte gerade anderes zu tun und überhaupt: Ohne Ankündigung wollte sie niemanden reinlassen. Einige Mieter wandten sich an den Stadtrat und andere Bezirkspolitiker. Parallel wurden E-Mails geschrieben und die Öffentlichkeit mobilisiert. Mit Erfolg. Doch nun – ein Jahr später – wissen die Mieter immer noch nicht, wie es weitergeht.
„Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als aktiv zu werden, vergleichbarer Wohnraum in der Stadt ist mittlerweile unbezahlbar für uns“, sagen auch die Mieter aus der Gleimstraße 56: „Entweder man macht richtig Rabatz oder man ist raus.“ Sie haben es mit einem wahren Protest-Marathon geschafft, das erste Vorkaufshaus in Pankow zu werden – und das trotz des exorbitant hohen Kaufpreises von 7,9 Millionen Euro. Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen), der wesentlich zögerlicher bei der Ausübung des Vorkaufsrechts auftritt als sein Kollege in Friedrichshain-Kreuzberg, war zunächst nicht gerade Feuer und Flamme. „Es war ein ungeheurer Kraftakt“, seufzt Tanja Kapp vom Mieterverein „Gleim 56“. Man musste den Bezirk regelrecht beknien, sonst wäre gar nichts passiert. Zwei Monate lang wurden Flyer in der Nachbarschaft verteilt, Pressemitteilungen herausgegeben, selbst gekochte „politische Kampfmarmelade“ vor dem Abgeordnetenhaus verteilt und wöchentliche Protest-Spaziergänge organisiert. „Konsequent Gesicht zeigen“ sei genauso wichtig wie die Lobbyarbeit hinter den Kulissen, sagt Tanja Kapp. Damit die Bezirkspolitiker die Menschen, über deren Schicksal sie entscheiden, persönlich kennenlernen konnten, hat man sie ins Haus eingeladen. Über 70 Leute aus dem Bezirk und Vertreter des Abgeordnetenhauses kamen und plauderten beispielsweise mit der Rentnerin, die 1952 hier im Haus geboren worden war. Alle wussten: „Wenn wir nichts unternehmen, wird es mit Sicherheit nicht zu unseren Gunsten ausgehen.“ Bis zur großen Party muss die Gleimstraße 56 allerdings noch warten. Obwohl das Haus bereits von der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau verwaltet wird, ist die Frist, innerhalb derer der Kaufinteressent Widerspruch einlegen kann, noch nicht abgelaufen.
Und wie geht es den Häusern heute?
In die Matternstraße 4 ist Ruhe eingekehrt. Die Hausgemeinschaft ist nicht enger als vorher, nicht einmal den Erfolg habe man gebührend gefeiert, bedauert Martin Strubelt. Mit der Verwaltung durch die WBM ist man zufrieden, die freiwillige Mieterhöhung sei bis heute nicht eingefordert worden.
In der Zossener Straße 48 wird das Haus nun von den Mietern selber verwaltet. Statt 4,50 Euro netto pro Quadratmeter zahlen die Bewohner jetzt 6,50 bis 7 Euro. Freiwerdende Wohnungen will man für 8,50 Euro vermieten. Immer noch bezahlbar, findet Yvonne von Langsdorff. Man müsse auf die Wirtschaftlichkeit achten, der Kredit muss zurückgezahlt werden. „Das ist alles sehr anstrengend und zeitaufwendig und schafft auch Frust“, sagt sie. Den-noch zögert sie keine Sekunde bei der Antwort auf die Frage, ob es sich gelohnt hat: „Wir haben alle vor Augen, was geworden wäre, wenn es nicht geklappt hätte, das rechtfertigt alles.“ Während man sich vorher im Haus kaum kannte, sitzen die Mieter nun öfter zusammen.
In der Rathenower Straße ist man als Hausgemeinschaft noch enger zusammengerückt und will bei der WBM künftig mehr mitreden. Man habe nicht gekämpft, damit alles so weiter laufe wie bisher.
Auch in der Gleimstraße wird Mitbestimmung eingefordert. „Jetzt wollen wir mitentscheiden, beispielsweise zu welchen Bedingungen saniert wird“, sagt Anne-Katrin Altmann.
Dazu muss man dicke Bretter bohren, heißt es in der Wrangelstraße 66. Hier ist man enttäuscht und verärgert, dass die Gewobag den Hausverein nicht einmal als Ansprechpartner akzeptiert. „Wir wollen Verantwortung übernehmen in den Stadtteil hinein, aber das wird alles abgeblockt“, sagt Joachim Knecht. Das Konzept zur Mieterselbstverwaltung, das man dem Wohnungsunternehmen vorgelegt hat, sei als „sehr durchdacht, aber in der Praxis nicht anwendbar“ abgeschmettert worden. Aber: „Vorkaufshäuser sind besondere Häuser, wir haben einfach gemerkt, dass wir als Hausgemeinschaft super funktionieren“, sagt Kristina Dietz.
Birgit Leiß
Der Senat ist mit im Boot
Seit 2015 wurde in den 56 sozialen Erhaltungsgebieten Berlins für 1174 Wohnungen in 39 Häusern das Vorkaufsrecht ausgeübt. 19 Häuser befinden sich in Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln zieht mit 10 Häusern allmählich nach. Dazu kommen 2715 Mietwohnungen, für die eine Abwendungsvereinbarung mit dem Käufer geschlossen wurde (Stand: 1. März 2019).
Um zu vermeiden, dass der Bezirk ihnen die Immobilie wegschnappt, können sich die Käufer nämlich auch dazu verpflichten, die Ziele des Milieuschutzes einzuhalten. Die genauen Inhalte sind unterschiedlich, meist wird der Verzicht auf die Umwandlung in Eigentumswohnungen und eine Begrenzung von Mietsteigerungen vereinbart. In der Anfangszeit waren die Abwendungserklärungen „windelweich“ und gingen mitunter kaum über die ohnehin geltenden Regelungen in Milieuschutzgebieten hinaus.
Mittlerweile wurde deutlich nachgeschärft. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sind derzeit nur 20 der insgesamt 39 Vorkäufe rechtskräftig.
Die meisten Vorkauf-Häuser gingen an städtische Wohnungsbaugesellschaften, die Eisenbahnstraße 2-3, Ecke Muskauer Straße 10 in Kreuzberg jedoch an einen privaten Erwerber. Er hat sich zu weitgehenden Mietschutzklauseln verpflichtet.
Der Senat begrüßt die vermehrte Anwendung des Vorkaufsrechts durch die Bezirke ausdrücklich und stellt dafür Zuschüsse aus einem Fonds zur Verfügung. Kritiker wenden ein, dass dafür unverhältnismäßig hohe Summen aufgewendet werden müssen, zumal es offenbar einige Investoren inzwischen bewusst auf einen Vorkauf anlegen und den Kaufpreis sehr hoch ansetzen. Die öffentliche Hand würde somit ungewollt die Preise nach oben treiben.
bl
Die Zossener Straße 48 sucht private Geldgeber, um Reparaturen und Investitionen für das Haus durchführen zu können
www.zossener48.de
Einige Häuser haben sich inzwischen im Bündnis „Kommunal und selbstverwaltet wohnen“ zusammengeschlossen.
www.kommunal-selbstverwaltet-wohnen.de/
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20.03.2019