ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
Mit massiven Angriffen hatte die Immobilienwirtschaft versucht, das Inkrafttreten des Mietendeckels zu verhindern. Doch nicht jeder Kritiker wurde nun zum Gesetzesbrecher. Allerdings arbeiten viele Vermieter – auch auf Empfehlung ihrer Verbände – mit der „Schattenmiete“, bei Wiedervermietung und vermehrt auch bei Mieterhöhungen. Das führt zur Verunsicherung der Mieter und schmälert den Erfolg des Mietendeckels. Einige greifen auch zu absonderlichen Taschenspielertricks.
Am 23. Februar trat in Berlin das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen (MietenWoG Bln) in Kraft, besser bekannt als Mietendeckel. Beschlossen hat der Senat die Mietenbegrenzung am 18. Juni 2019. Zu diesem Stichtag wurden die Mieten eingefroren. Auch beim Abschluss eines neuen Mietvertrages darf die Miete nicht höher liegen als der Betrag, der am 18. Juni 2019 vom Vormieter gezahlt wurde. Sie darf gleichzeitig nicht den festgelegten Höchstwert überschreiten: Je nach Ausstattung und Baujahr liegen die Obergrenzen zwischen 3,92 Euro und 9,80 Euro pro Quadratmeter. Zudem dürfen Modernisierungen nur noch Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Barrierenbeseitigung umfassen und zu einer um höchstens 1 Euro pro Quadratmeter teureren Nettokaltmiete führen. Ab dem 23. November 2020 können außerdem überhöhte Mieten, die mehr als 20 Prozent über der Obergrenze liegen, abgesenkt werden.
Die klare Nichtbeachtung des Mietendeckels ist eher selten
Im Mai haben Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU und FDP eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil sie meinen, das Land Berlin hätte mit der Mietenbegrenzung seine Kompetenzen überschritten. CDU und FDP haben zusätzlich auch den Berliner Verfassungsgerichtshof angerufen. Wann und mit welchem Ergebnis über die Rechtmäßigkeit des Mietendeckels entschieden wird, ist offen.
Nach einem Jahr sind bei den Behörden nur verhältnismäßig wenig eindeutige Verstöße gegen das Mietendeckelgesetz gemeldet worden. Die Bezirksämter haben bis Ende Mai insgesamt 425 Anzeigen und Hinweise zu Verstößen gegen den Mietendeckel erfasst. 270 Anzeigen richten sich gegen unzulässige Mieterhöhungen. In 105 Fällen beschweren sich Mieter, dass ihr Vermieter ihnen nicht die zulässige Miethöhe mitteilt. 44 Anzeigen wenden sich gegen die Nichtbeachtung der geltenden Mietobergrenzen bei Wiedervermietung. Sechs Anzeigen beziehen sich auf die Senkung einer überhöhten Miete, die allerdings erst ab dem 23. November 2020 von den Vermietern umzusetzen sein wird.
„Die geringen Fallzahlen zu Anzeigen und Verstößen gegen den Mietendeckel zeigen: Trotz begründeter Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit hält sich die Wohnungswirtschaft selbstverständlich an Recht und Gesetz“, erklärt Maren Kern, Vorstand des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU).
Der Senat und der Berliner Mieterverein (BMV) bewerten die Zahlen nicht ganz so rosig. Denn das weit verbreitete Phänomen der „Schattenmieten“ taucht in der Bilanz nicht auf. In den meisten Wohnungsanzeigen werden zwei Miethöhen genannt: eine, die den Regeln des Mietendeckels entspricht, und eine meist viel höhere Miete, die der Vermieter für den Fall verlangt, dass der Mietendeckel vor Gericht scheitert oder ausläuft. Auch wenn es noch keine Rechtsprechung darüber gibt, ob dieses Vorgehen zulässig ist oder nicht, verstößt das Hintertürchen, das sich die Vermieter offenhalten wollen, gegen den Geist des Mietendeckel-Gesetzes. „Der Versuch, das Gesetz mittels Schattenmieten zu umgehen, ist Ausdruck eines wenig verantwortungsbewussten Handelns der Immobilienwirtschaft“, kritisiert Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke).
Die Vereinbarung von Schattenmieten wird Vermietern vom Eigentümerverband Haus & Grund ausdrücklich empfohlen. Der Verbandsvorsitzende Carsten Brückner sagt, durch den Mietendeckel sei es zwar verboten, eine bestimmte Miethöhe zu kassieren, aber nicht, die gewünschte Miete trotzdem in den Vertrag zu schreiben.
Manche Vermieter wollen sich mit einer Schattenmiete nicht nur einen eventuellen künftigen Anspruch auf eine höhere Miete sichern, sondern auch noch rückwirkend die nach ihrer Ansicht ihnen bis dahin entgangenen Mieteinnahmen vom Mieter nachfordern. So heißt es etwa in Wohnungsinseraten des Vermieters ADO: „Dabei wird sich der Vermieter im Mietvertrag die Nachforderung von Differenzen und zukünftig vollständige Zahlung insbesondere für den Fall vorbehalten, dass sich die Verfassungswidrigkeit oder sonstige Nichtigkeit des MietenWoG Bln erweisen sollte.“
Da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Mietendeckel tatsächlich vor Gericht scheitert, stellen die geforderten Schattenmieten die Wohnungssuchenden vor große Unwägbarkeiten – müssten sie sich doch im Fall der Fälle auch die höhere Miete leisten können, wenn sie nicht gleich wieder umziehen wollen.
Wenn nötig, greift auch die Mietpreisbremse
Man sollte sich aber auch nicht zu leicht ins Bockshorn jagen lassen, denn unabhängig vom Berliner Mietendeckel gilt auch noch die bundesweite Mietpreisbremse. Demnach darf bei einer Wiedervermietung die Miete in der Regel höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, sofern der Vormieter nicht schon mehr gezahlt hat, es sich nicht um einen Neubau handelt und auch keine umfassende Modernisierung stattgefunden hat. Die Schattenmieten, die in vielen Wohnungsannoncen Miethöhen genannt werden, überschreiten die reguläre Grenze der Mietpreisbremse augenscheinlich oft bei Weitem. Mieter haben also noch die Möglichkeit, die Mietpreisbremse zu ziehen.
Es gibt auch Vermieter, die eine gerichtliche Klärung gar nicht erst abwarten, sondern von den Mietern gleich die überhöhte Miete haben wollen, indem sie ihnen eine „Treuhandlösung“ unterbreiten. Den Mietern wird angeboten, dass der Vermieter für sie ein Treuhandkonto zur „unverzinslichen Verwahrung der Differenz der zulässigen Miete nach dem MietenWoG zu der nach dem BGB vereinbarten Miete“ einrichtet. Es gibt natürlich keinen Grund, dem zuzustimmen. Mieter können ihre eingesparte Miete auch selbst „verwahren“ und brauchen dann später auch nicht ihrem Geld hinterherzulaufen, wenn der Mietendeckel gerichtlich bestätigt wird.
Währenddessen gab es auch Versuche, mehr als die gedeckelte Miete zu verlangen, indem Wohnungen möbliert oder zum Schein mit teilgewerblichen Mietverträgen vermietet wurden, oder indem statt eines Mietvertrages ein „Nutzungsvertrag“ geschlossen wurde – letztlich erfolglos, denn der Mietendeckel gilt auch für solche Fälle.
Einen eigenwilligen Weg hat ein Vermieter gewählt, der seine Berliner Mieter in einem umfangreichen Brief um eine freiwillige „Schenkung“ der nach dem Mietendeckel nicht mehr zulässigen Miete bat. Der Jurist und CDU-Lokalpolitiker aus einer brandenburgischen Kleinstadt sieht sich als Opfer des „neo-kommunistischen Unsinns-Gesetzes“ einer aus „linken Brandstiftern“ bestehenden rot-rot-grünen Koalition. Die Mieter, die seine vorbereitete Erklärung unterschreiben, würden ihm „Rechtssicherheit und Ruhe vor Nachstellungen des Senats“ gewähren. Sollten sich Steuerersparnisse ergeben, wolle er diese der Welthungerhilfe spenden. Geradezu vermessen gerät die Begründung, mit der er sein Anliegen moralisch rechtfertigt: „Vielleicht bin ich ja ein Traumtänzer und die Idee ist in einer Welt, wo jeder primär an sich denkt, abenteuerlich.“
Jens Sethmann
Mietendeckel wirkt
„Der Mietendeckel bringt eine spürbare Entlastung für alle Mieter in Berlin“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Nach Schätzung des Mietervereins beachten Vermieter zu 95 Prozent das Mieterhöhungsverbot und halten sich mit Modernisierungen zurück. Einer Untersuchung des Immobilienportals Immowelt zufolge lagen die Angebotsmieten in Berlin in den ersten Monaten des Jahres 2020 um fünf Prozent niedriger als in den letzten Monaten von 2019, während in den anderen deutschen Metropolen die Preise um drei bis sechs Prozent angestiegen sind. Die Berliner Amtsgerichte haben den Mietendeckel überwiegend bestätigt. Die von Immobilienwirtschaftlern prophezeite Umwandlungswelle von Miet- in Eigentumswohnungen ist nicht eingetreten. Zwar gibt es mehr Kaufangebote, doch die Zahl der tatsächlichen Wohnungsverkäufe ist leicht gesunken. Auch der Wohnungsneubau ist entgegen vieler Unkenrufe nicht eingebrochen.
js
www.berliner-mieterverein.de/mietendeckel.htm
29.10.2023