Auf dem Wohnungsmarkt bahnt sich eine Megafusion an: Vonovia und Deutsche Wohnen wollen zusammengehen. Um Vorbehalte auszuräumen, bieten die Unternehmen dem Land Berlin an, 20 000 Wohnungen zu kaufen. Mieterverein und Mieterinitiativen haben starke Bedenken. Das Volksbegehren, das die Vergesellschaftung beider Unternehmen verfolgt, hat derweil so viele Unterschriften gesammelt, dass es am 26. September zum Volksentscheid kommt.
Verzockt?
Nach Redaktionsschluss teilte die Vonovia mit, dass die Fusion voraussichtlich platzt, weil zu wenig Deutsche Wohnen-Aktien zum Verkauf standen. Man wolle nun zunächst weitere Optionen prüfen.
Am 25. Mai haben der größte und der zweitgrößte deutsche Immobilienkonzern verkündet, fusionieren zu wollen. Durch den Zusammenschluss von Vonovia und Deutsche Wohnen würde Europas größter Vermieter mit einer halben Million Wohnungen entstehen. Die Vonovia mit bundesweit 350.000 Wohnungen wird die Deutsche Wohnen mit 160.000 Wohnungen übernehmen. Den Deutsche-Wohnen-Aktionären werden 53,03 Euro pro Aktie geboten. Das sind 25 Prozent mehr als der Preis, den man für die Aktie an der Börse kurz vor Bekanntwerden der beabsichtigten Fusion bezahlt hat. Für Berlin hat die Megafusion eine besondere Bedeutung: Hier ist die Deutsche Wohnen mit 110.000 Wohnungen Marktführer. Die Vonovia hat in Berlin 40.000 Wohnungen. In der deutschen Hauptstadt entstünde ein Riesenkonzern mit einer enormen Marktmacht.
Die Chefs von Vonovia und Deutsche Wohnen, Rolf Buch und Michael Zahn, haben ihre künftige Zusammenarbeit in einer Pressekonferenz mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller und Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) bekanntgegeben. Dabei verkündeten sie auch einen „Zukunfts- und Sozialpakt Wohnen“ mit dem Land Berlin.
Darin verpflichtet sich die Vonovia, in den kommenden drei Jahren ihre regulären Mieterhöhungen „über ihren Berliner Bestand insgesamt auf höchstens ein Prozent jährlich zu begrenzen, in den beiden danach folgenden Jahren nur im Rahmen eines Inflationsausgleichs“ vorzunehmen. Bei „Modernisierungen für den Klimaschutz“ will sie die Modernisierungsumlage bei zwei Euro pro Quadratmeter deckeln. Jungen Familien mit Kindern bietet die Vonovia neue Vierzimmerwohnungen an, deren Miete „zehn Prozent unter der durchschnittlichen Neuvermietungsmiete des jeweiligen Stadtteils“ liegen soll. Für die Prävention von Obdachlosigkeit wird sie „eine dreistellige Zahl von Wohnungen“ zur Verfügung stellen. Nicht zuletzt bietet der neue Großkonzern dem Land Berlin rund 20.000 Wohnungen zum Kauf an.
Michael Müller begrüßte das Angebot: „Damit besteht in Berlin die Chance, den Bestand an Wohnungen in öffentlicher Hand weiter auszubauen.“ Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sollen den Kauf über Kredite selbst finanzieren. Dieser Deal wurde offenbar von den SPD-Senatsmitgliedern allein ausgehandelt. Die Koalitionspartner Linke und Grüne wurden erst kurz vor der Verkündigung informiert. Auch der für das Wohnen zuständige Senator Sebastian Scheel (Linke) wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.
Mit ihren Zusagen versuchen die Wohnungskonzerne ganz offensichtlich, dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Wir müssen den Mietern die Ängste nehmen“, erklärt Rolf Buch. „Pragmatische Lösungen auf freiwilliger Basis sind der bessere Weg“, ergänzt Michael Zahn. „Wir gehen einen Schritt auf Berlin zu.“ Auch Michael Müller stellt sich klar gegen das Enteignungsbegehren: „Ich setze eher auf Kooperation statt auf Konfrontation.“
BMV: Branchenriese mit problematischer Marktmacht
„Wir sind überrascht, mit welcher Naivität der Regierende Bürgermeister Müller und Finanzsenator Kollatz den Immobiliendeal begrüßen“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Durch die Fusion würde ein Branchenriese entstehen, der noch mehr Druck auf die Politik ausüben kann und in einzelnen Berliner Quartieren eine problematische Marktmacht hätte. Wild: „Der versprochene Zukunfts- und Sozialpakt ist weitgehend heiße Luft.“ Die zugesagte Kappung von Mieterhöhungen ist nicht auf das einzelne Mietverhältnis bezogen, sondern auf den Gesamtbestand. Bei der Vonovia lag die jährliche Steigerung der Mieteinnahmen zuletzt sogar unter einem Prozent – ein Hinweis darauf, dass die ortsüblichen Vergleichsmieten vielerorts schon erreicht oder überschritten waren.
Auch die Beschränkung der Mieterhöhung nach Modernisierung auf 2 Euro pro Quadratmeter ist ohne große Bedeutung. Höhere Umlagen sind sowieso nur bei Ausgangsmieten ab 7 Euro pro Quadratmeter zulässig.
Die Reduktion der Neubaumiete für junge Familien auf zehn Prozent unterhalb der durchschnittlichen Angebotsmiete für neue Wohnungen ist ebenfalls kein Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung, wenn statt 17 Euro pro Quadratmeter dann 15,30 Euro verlangt werden. Dass das Land Berlin 20.000 Wohnungen von Vonovia kaufen kann, begrüßt der BMV. „Das ist gut, aber kein Geschenk“, so Wild. Berlin wird pro Wohnung vermutlich mehr hinblättern müssen, als das Wohnungsunternehmen jetzt für die Übernahme der Deutsche-Wohnen-Bestände zahlt. Mit anderen Worten: Der Verkauf an Berlin würde zum Teil die Fusion refinanzieren.
Von den Wohnungen, die Berlin ankaufen soll, stammen knapp 12.000 aus den Beständen der Deutschen Wohnen und gut 8000 von der Vonovia. Sie gehören in beiden Unternehmen zum „nichtstrategischen Portfolio“, also zu den Beständen, die sie ohnehin nicht auf Dauer bewirtschaften wollten. Dazu zählen das Falkenhagener Feld in Spandau, die Thermometersiedlung in Steglitz-Zehlendorf, die High-Deck-Siedlung in Neukölln sowie das Kottbusser Tor in Friedrichshain-Kreuzberg. Das sind zum großen Teil geförderte und ehemals landeseigene Wohnanlagen, von denen einige einen hohen Instandhaltungsstau aufweisen.
Die Initiative Kotti & Co fordert seit 2012 die Rekommunalisierung ihrer Wohnhäuser am Kottbusser Tor, warnt hier aber vor einem „vergifteten Deal“. Der Preis läge um ein Vielfaches über dem Preis, zu dem die Wohnungen 2004 mit der GSW privatisiert worden waren – und das, obwohl die Deutsche Wohnen in den vergangenen 15 Jahren kaum etwas in den Erhalt der Wohnungen investiert habe. Kotti & Co: „Diese Häuser sind Schrott und verdienen höchstens einen Schrottpreis.“ Die Mieterinitiative fordert deshalb deren Vergesellschaftung über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.
Grünes Licht vom Bundeskartellamt
Das Bundeskartellamt gab Ende Juni grünes Licht für die Fusion der beiden Immobiliengiganten. „Die gemeinsamen Marktanteile der Unternehmen rechtfertigen keine wettbewerbsrechtliche Untersagung“, erklärt Andreas Mundt, Präsident der Behörde. „Wir haben die verschiedenen regionalen Wohnungsmärkte sorgfältig geprüft.“ In Berlin beherrschen Vonovia und Deutsche Wohnen gemeinsam rund zehn Prozent des Mietwohnungsmarktes. Wenn man das Marktsegment der Zwei- und Dreizimmerwohnungen mit normaler Ausstattung und Nettokaltmieten bis 7 Euro pro Quadratmeter betrachtet, bleibt das fusionierte Unternehmen in Berlin unter 20 Prozent. Dadurch sei „keine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu erwarten“, meint das Kartellamt.
Die Grunderwerbsteuer umgeht die Vonovia mit einem Share Deal: Die Bank Société Générale beteiligt sich an dem Handel, so dass die Vonovia knapp unter 90 Prozent der Deutsche-Wohnen-Anteile erwirbt. Damit entgehen dem Staat geschätzt eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen.
Jens Sethmann
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„Der Druck unserer Kampagne wirkt: Wir haben einen DAX-Konzern in die Knie gezwungen“, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die Initiative hält das Angebot, Wohnungen zu hochspekulierten Marktpreisen zu kaufen, für unattraktiv. „Die Berlinerinnen und Berliner werden diesen Deal als Mogelpackung entlarven und erst recht beim Volksentscheid mit ‚Ja‘ stimmen“, ist sich Taheri sicher.
Der Unterschriftensammlung hat die angekündigte Fusion zusätzlichen Schwung gegeben. Ende Juni reichte die Initiative nach der viermonatigen Sammelphase 359.063 Unterschriften ein. Nötig wären 171.783 gültige Unterschriften gewesen. Damit ist das Volksbegehren zustande gekommen, und der Volksentscheid kann am Wahltag 26. September durchgeführt werden.
js
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28.07.2021