Die Großsiedlungen Berlins stehen vor enormen Herausforderungen. Einerseits vollzieht sich hier ein Wandel, der Nachbarschaften überfordern könnte. Andererseits sorgen behutsame und fördernde Stadtentwicklung für lebenswerte Quartiere. Zwei Untersuchungen geben der Wohnungspolitik differenzierte Empfehlungen an die Hand.
Etwa ein Viertel der Berliner Bevölkerung lebt in einer der 51 Großsiedlungen, die zumeist zwischen den 1960er und den 1980er Jahren sowohl im Ost- als auch im Westteil der Stadt gebaut wurden. Nun liegen zwei Untersuchungen auf dem Tisch, die sich aus unterschiedlichem Blickwinkel mit der sozialen Situation, den Potenzialen und den Problemen in den Wohnquartieren beschäftigen.
Unter der Fragestellung „Berliner Großsiedlungen am Scheideweg?“ beleuchtet das „Netzwerk Kompetenzzentrum Großsiedlungen“ die Veränderungen, die sich in den zurückliegenden Jahren in diesen Wohngebieten vollzogen haben: „Das Tempo des sozialen und demografischen Wandels hat uns überrascht – und auch alarmiert“, erklärt Bernd Hunger, Vorsitzender des Kompetenzzentrums, das unter anderem bundesweit den Erfahrungs- und Informationsaustausch zur Zukunft der großen Wohngebiete organisiert.
So beziehen heute in den Berliner Großsiedlungen wie Marzahn-Hellersdorf, dem Märkischen Viertel, der Gropiusstadt oder Hohenschönhausen rund 160.000 Menschen Transferleistungen nach SGB II beziehungsweise SGB XII – das sind 37,2 Prozent der Bewohner. Die Kinderarmut liegt bei 43,8 Prozent (Berlin insgesamt: 22,6 Prozent). Und auch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund hat sich zwischen 2012 und 2018 in den Siedlungen im Ostteil Berlins von 15,8 auf 25,9 Prozent erhöht und beträgt damit mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Die Siedlungen mit circa 450.000 Wohnungen sind ein großes und unverzichtbares Segment des angespannten Berliner Wohnungsmarktes.
Aus diesem Grund startete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2020 auch das Programm „Stärkung Berliner Großsiedlungen“, das auf 24 Quartiere in zehn Bezirken ausgerichtet ist und von einer Untersuchung des Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik begleitet wird.
Während die Studie des Kompetenzzentrums in seinen Empfehlungen an die Politik vor allem eine ausgewogene Wohnraumvergabe anmahnt, mit der man sich durch entsprechende Maßnahmen auch bessergestellte Zuzügler in den Quartieren erhofft, gibt die Untersuchung des Senats Einblicke in konkrete soziale und städtebauliche Strukturen und in die Wirkungsweise von Stadtsanierung und Fördermaßnahmen. Diese sind von Quartier zu Quartier unterschiedlich. Zusammen mit dem Überblick, den das Kompetenzzentrum vorgelegt hat, ergibt sich ein differenziertes Bild von den Wandlungen und Herausforderungen in einem lebendigen Teil der Stadt.
Rosemarie Mieder
28.07.2021