ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
Der vieldiskutierte Mietendeckel wird kommen: Am 18. Juni hat der Berliner Senat Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz beschlossen. Die Mieten sollen sowohl eingefroren als auch an einer noch zu bestimmenden Höchstgrenze gekappt werden. Der Berliner Mieterverein (BMV) wirft ein Modell in die Debatte, das konkrete Höchstwerte festsetzt, aber für sehr niedrige Mieten moderate Erhöhungen zulässt. Bis Oktober soll der Gesetzentwurf ausgearbeitet sein.
„Mit dem neuen Gesetz wollen wir dem gravierenden Mietanstieg der letzten Jahre Einhalt gebieten und den überhitzten Mietenmarkt in Berlin beruhigen“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Die Eckpunkte sind eine Kombination der zuvor diskutierten Modelle des Einfrierens und Deckelns. Die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen werden auf dem Stand vom 18. Juni für fünf Jahre eingefroren. Gleichzeitig wird eine Miethöchstgrenze gezogen, auf die besonders hohe Mieten auf Antrag abgesenkt werden können. Bei Wiedervermietungen darf weder die Miete des Vormieters noch die festgelegte Höchstgrenze überschritten werden. Bei Modernisierungen gibt es eine Kappung mit speziellen Obergrenzen. Vermieter, die eine wirtschaftliche Unterdeckung nachweisen, können sich stärkere Mieterhöhungen genehmigen lassen. Den betroffenen Mietern wird dann ein finanzieller Ausgleich gewährt, der den Unterschied zwischen der Höchstmiete und der gezahlten Miete auffängt. Die Regelungen sollen für alle nicht preisgebundenen Wohnungen in Mehrfamilienhäusern gelten, also für insgesamt rund 1,5 Millionen Mieterhaushalte. Der Soziale Wohnungsbau und andere preisgebundene Wohnungen sind ausgenommen, weil für sie eigene Mietenbegrenzungen gelten. Für Neubauwohnungen soll der Mietendeckel ebenfalls nicht gelten.
Müller: „Länder sollen eigene Wege gehen“
Der Senat reagiert mit dem Mietendeckel auf die Untätigkeit der Bundesregierung. „Vom Bund gehen immer noch zu wenig und nur halbherzige Mietrechtsänderungen aus“, beklagt der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). „Wir müssen die Menschen jetzt vor untragbaren Mieten und wilder Spekulation schützen.
Als Anfang Juni vorab bekannt wurde, dass der Senat am 18. Juni Eckpunkte für einen Mietendeckel beschließen will, hat der Eigentümerverband Haus & Grund seine Mitglieder dazu aufgerufen, die Mieten bis zum 17. Juni zu erhöhen. Die Vermieter sollten schnell noch die Mieterhöhungsmöglichkeiten ausnutzen, bevor sie an diesem Stichtag eingefroren werden, so der Appell von Haus & Grund. Auf der Verbands-Homepage lief eine Countdown-Uhr bis zum 17. Juni, 23:59:59 Uhr. Die Rechtsberater des Berliner Mietervereins hatten daraufhin einen großen Andrang zu verzeichnen. Nach dem Erscheinen des neuen Berliner Mietspiegels 2019 im Mai sprechen ohnehin viele Vermieter Mieterhöhungen aus. Nun kamen noch die von Haus & Grund aufgescheuchten Eigentümer mit Torschlusspanik hinzu. Besonders diese Mieterhöhungen stellten sich oft als fehlerhaft heraus.
Wie bei jeder Mieterhöhung gilt: Man hat zwei volle Monate Zeit, die Mieterhöhung ruhig und sorgfältig zu prüfen. Auch wenn Vermieter versuchen, Druck zu machen, sollte man nicht vorzeitig zustimmen oder ablehnen. Mieterhöhungen sind nicht korrekt, wenn die letzte Mieterhöhung noch kein Jahr zurückliegt, wenn sie um mehr als 15 Prozent innerhalb von drei Jahren angehoben werden soll, oder wenn die ortsübliche Vergleichsmiete überschritten wird.
Hat sich bei der Prüfung herausgestellt, dass das Mieterhöhungsverlangen korrekt ist, muss der Mieter zustimmen und die höhere Miete zunächst zahlen. Es ist nicht nötig, die Zahlung unter Vorbehalt zu stellen. Wenn das Landesmietengesetz in Kraft tritt, wird für den Mieter von Gesetzes wegen ein Rückforderungsanspruch bestehen.
„Es ist gut und richtig, dass das Land den Mietendeckel in Angriff nimmt“, erklärt der BMV-Vorsitzende Dr. Rainer Tietzsch. Für den Rechtsanwalt gibt es keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Argumente, die gegen die Zuständigkeit der Länder für das Wohnungswesen sprächen, auf dem der Landesmietendeckel fußt. „Und wer die Zuständigkeit hat, hat auch die Verantwortung“, so Tietzsch. Angesichts der Entwicklungen auf dem Mietwohnungsmarkt liegt eine öffentlich-rechtliche Preisbegrenzung, wie sie der Mietendeckel beabsichtigt, im öffentlichen Interesse.
Das BMV-Modell im Detail
Im Juli hat der BMV einen eigenen, ganz konkreten Vorschlag für einen Mietendeckel vorgelegt, der von den Eckpunkten des Senats teilweise abweicht. Kern des Entwurfs ist eine Höchstwerttabelle, die gestaffelt nach Gebäudealter und Wohnungsgrößen die höchstzulässige Nettokaltmiete pro Quadratmeter angibt. Die Werte beruhen auf den Mittelwerten des Berliner Mietspiegels von 2011, die im Jahr 2010 erhoben worden sind – dem letzten Jahr, in dem der hiesige Wohnungsmarkt ausgeglichen war. Auf diese Werte wurde der Anstieg der Lebenshaltungskosten seit 2010 aufgeschlagen. Die übermäßigen Mietsteigerungen, die seither auf dem überhitzten Markt entstanden sind, wirken sich somit nicht auf die künftigen Miethöchstwerte aus.
Diese Tabellenmieten – zwischen 5,17 Euro und 9,79 Euro pro Quadratmeter – dürfen nach dem Modell des Berliner Mietervereins in der Regel nicht überschritten werden. Für Wohnungen, die in den letzten acht Jahren energetisch saniert oder barrierearm umgebaut wurden, sind Zuschläge auf den Tabellenwert vorgesehen, etwa 0,48 Euro pro Quadratmeter für einen Aufzuganbau oder 0,83 Euro für eine umfassende energetische Modernisierung. Für Wohnungen ohne Sammelheizung oder ohne Bad soll es Abschläge geben.
Mieten, die über dem so ermittelten Höchstwert liegen, können dem BMV-Modell zufolge auf Antrag abgesenkt werden. Niedrigere Mieten dürfen zwar bis zum Höchstwert angehoben werden, aber nur um 1,5 Prozent im Jahr. Diese Mieten werden also nicht ganz eingefroren. Damit kommt man den gemeinwohlorientierten Vermietern entgegen, vor allem den Genossenschaften, die bisher geringe Mieten verlangen und auch Modernisierungen nicht in vollem Umfang auf die Mieten umgelegt haben. Ein weiterer Unterschied zum Modell des Senats ist, dass Modernisierungen nicht auf ihre Auswirkungen auf die Miete überprüft werden müssen. „Es wäre zu bürokratisch, wenn man sich jede Modernisierungsmaßnahme genehmigen lassen müsste“, sagt Reiner Wild.
Das BMV-Modell ist bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und in den Abgeordnetenhaus-Fraktionen mit Interesse aufgenommen worden. Auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), eigentlich ein Gegner des Mietendeckels, nennt den BMV-Vorschlag „erfrischend differenziert und diskussionsfähig“, so Vorstand Maren Kern.
Bis Mitte September werden Verbände und Fachleute zum geplanten Mietengesetz angehört. Im Oktober will der Senat den Gesetzentwurf beschließen und dem Abgeordnetenhaus zur Beratung vorlegen. Das Parlament soll das Gesetz im Dezember verabschieden, so dass es spätestens am 11. Januar 2020 in Kraft treten kann.
Jens Sethmann
Schrille Töne aus der Immobilienbranche
Die Vermieterverbände laufen Sturm gegen den Mietendeckel und versuchen der Öffentlichkeit weiszumachen, dass eine Mietenbegrenzung letztlich gegen die Interessen der Mieter sei. „Die Leidtragenden werden die Mieter sein“, sagt etwa Kerstin Huth, Vorsitzende des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) Berlin-Brandenburg.
„Eingefrorene Mieten führen zu mehr sozialer Kälte“, meint der Bundesverband freier Wohnungsunternehmen (BFW). Haus & Grund orakelt, Eigentümer würden „verdrängt“ und der Mittelstand „zerstört“. Der BBU sieht nur Bedarf, „schwarzen Schafen“ entgegenzutreten und bringt dafür sinnvolle Maßnahmen ins Spiel: ein Erschweren der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, ein Kündigungsschutz für Senioren, mehr Schutz vor Luxusmodernisierungen oder höhere Hürden für Eigenbedarfskündigungen. Das wären aber alles Gesetzesänderungen, die der Bund beschließen müsste – und der bleibt seit Jahren untätig.
js
28.09.2022