Im beschaulich-bürgerlichen Friedenau kämpft eine Gruppe von Anwohnerinnen gegen den Leerstand und Verfall des Eckhauses . Es sind fast ausschließlich Frauen, viele davon im Rentenalter. Das MieterMagazin sprach mit den „Haus-Hüterinnen“, wie sie sich nennen.
MieterMagazin: Frau Schipper, wie hat alles angefangen?
Ingrid Schipper: Ich kannte das Haus vom Vorbeilaufen. Wie so viele im Kiez war ich empört, dass dieser wunderschöne Gründerzeit-Altbau leer steht, während andere verzweifelt eine Wohnung suchen. Im Frühjahr 2016 habe ich dann bei der Nachbarschaftsplattform „Nebenan.de“ einen Aufruf gestartet. Die Resonanz war groß. Um als Rechtsperson auftreten zu können, haben wir dann einen Verein gegründet. Mittlerweile haben wir etwa 30 Mitglieder, und es kommen auch immer mal wieder neue hinzu, auch Jüngere. Einige haben auch Interesse, selber in das Haus zu ziehen. Wir träumen nämlich von einem gemeinschaftlichen, integrativen Wohnprojekt, mit einer Kiezküche, einem Kinderladen und anderen Räumen für die Nachbarschaft.
Irene Reinhold: Wir wollen nicht gegen den Bezirk arbeiten, sondern miteinander. Ein nicht-aggressives Herangehen ist uns wichtig, Aber manchmal hat man schon den Eindruck, man müsse konfrontativ auftreten, damit sich etwas bewegt. Ich selber könnte mir gut vorstellen, mit meiner Familie in das Haus zu ziehen.
MieterMagazin: Wie haben Sie die Sache angegangen?
Ingrid Schipper: Im ersten Jahr haben wir vor allem versucht, öffentlichen Druck aufzubauen und uns Informationen über die Eigentümerin zu verschaffen. Ich war zwar Lehrerin für Sozialkunde, aber die Niederungen der Politik waren Neuland für mich. Wir mussten uns alle erst einmal schlau machen, welche rechtlichen und politischen Hebel es gibt. Nach einer Anfrage in der Bezirksverordnetenversammlung ging es dann plötzlich los mit Medienberichten und Presseanfragen.
MieterMagazin: Woran hakt es jetzt? Immerhin sind in Tempelhof-Schöneberg zwei Stadträte zuständig, deren Partei sich in der Regel offen zeigt für Wohnexperimente.
Ursula Priess: Ja, und die beiden haben das lange zwischen sich hin- und hergeschoben. Als in April 2018 das neue Zweckentfremdungsgesetz in Kraft trat, haben wir uns gewisse Hoffnungen gemacht, dass es nun einfacher werden würde, gegen den ungenehmigten Leerstand vorzugehen. Dann hieß es, das Gesetz greife nicht, weil das Haus unbewohnbar ist. Das stimmt aber nicht. Der Zustand ist nicht so schlimm.
Ingrid Schipper: Die gesetzlichen Möglichkeiten sind ausreichend, aber es fehlt am politischen Willen. Dabei haben wir mit der GSE (Gesellschaft für StadtEntwicklung gGmbH – die Redaktion) einen Treuhänder an der Hand, der die Bewirtschaftung übernehmen könnte. Außerdem haben wir als Initiative ein Konzept entwickelt, wie das Haus dem Spekulationsmarkt entzogen und als gemeinschaftliches Hausprojekt entwickelt werden kann. Wir stellen uns vor, das Haus ökologisch zu sanieren und Wohnraum für Geflüchtete, Alleinerziehende, Pflegebedürftige und andere bereitzustellen. Auch Werkstätten oder Musikübungsräume im Keller wären denkbar. Zusammen mit einem Nachbarschaftszentrum im Erdgeschoss könnte hier ein zukunftsweisendes Modell entstehen.
Ursula Priess: Der Bezirk könnte sich schmücken mit diesem Leuchtturmprojekt. Aber es fehlt ihm der Mut.
„Als Bürgerin nicht ernst genommen“
Ich finde es ungeheuerlich, dass so viel Engagement und Sachverstand einfach in den Wind geschlagen werden. Als Bürgerin fühle ich mich nicht ernst genommen.
Ingrid Schipper: Nachdem Steglitz-Zehlendorf nun als erster Bezirk die Einsetzung eines Treuhänders prüft, haben wir wieder Hoffnung geschöpft, dass sich endlich etwas bewegt. Doch unsere fürsorgliche, freundliche Inobhutnahme hat unsere Stadträtin als „nicht zielführende Hausbesetzung“ kritisiert. Das hat uns wirklich empört. Die Inobhutnahme eines verwahrlosten Hauses ist eigentlich Aufgabe der öffentlichen Hand.
Interview: Birgit Leiß
Das Geisterhaus
Das Eckhaus mit 16 Wohnungen steht seit über 15 Jahren komplett leer. Der Bezirk verhängt zwar immer wieder mal Bußgelder gegen die Eigentümerin, diese schöpft aber stets sämtliche Rechtsmittel aus. So ist es auch in ihrem anderen Haus, der Burgsdorfstraße 1 in Wedding, das seit über einem Jahrzehnt komplett leer steht und mittlerweile einsturzgefährdet ist. Die Eigentümerin verfolgt offenbar keine spekulativen Ziele, sondern scheint schlicht überfordert.
bl
Die Initiative trifft sich jeden 2. Donnerstag im Monat im Nachbarschaftsheim Schöneberg, Holsteinische Straße 30
www.leerstand-friedenau.blogspot.de
E-Mail: ni.friedenau@gmail.com
Lesen Sie auch zu diesem Thema:
30.08.2019