Tempelhof-Schöneberg hat die Aufstellung zweier Milieuschutzgebiete beschlossen. Nach Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Mitte ist das der vierte Bezirk, der dieses Instrument nutzt. Auch andere Bezirke planen den Einstieg in den Milieuschutz – obwohl die Schutzwirkung in Berlin hinter den bestehenden rechtlichen Möglichkeiten hinterherhinkt. Indessen haben die Bezirke keine anderen Möglichkeiten, um die Verdrängung der angestammten Bewohnerschaft zu verhindern.
Die beiden Schöneberger Viertel Bayerischer Platz/Barbarossaplatz und Dennewitzplatz/Kaiser-Wilhelm-Platz will der Bezirk unter Milieuschutz stellen. „Jeder Mensch hat ein Recht auf angemessenen Wohnraum – aber nur, wenn wir den Bestand wirksam sichern, können wir dieses Recht auch durchsetzen“, begründet Stadtentwicklungsstadträtin Sibyll Klotz (Grüne) ihren Vorstoß. Mit der sozialen Erhaltungssatzung, allgemein als „Milieuschutz“ bekannt, können Luxusmodernisierungen untersagt werden. Damit wird ein großer Mietsteigerungsfaktor aus dem Spiel genommen. Für Nutzungsänderungen und Abrisse muss im Milieuschutz ebenfalls eine Genehmigung eingeholt werden. Damit könnte der Bezirk einen zweiten Fall wie am Barbarossaplatz verhindern. Dort wurde ein Wohnhaus mit günstigen Kleinwohnungen für den Bau eines Luxuswohnhauses abgerissen.
Die Entwickler spekulieren auf Verdichtung
Im Bayerischen Viertel sind viele Grundstücke in den 50er Jahren vergleichsweise locker bebaut worden – eine Situation, die die Verwertungsphantasien der Immobilienentwickler heute beflügelt. Mit dem Aufstellungsbeschluss können jetzt schon Vorhaben unterbunden werden, die die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ gefährden würden.
Offensiv wird der Milieuschutz bisher nur von Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow vertreten. Die beiden Bezirke haben im Frühjahr mit neuen Genehmigungskriterien gezeigt, dass sie das Instrument so wirksam wie möglich nutzen wollen. Auch weiten sie die Zahl der Milieuschutzgebiete aus. In Friedrichshain wird beiderseits der Petersburger Straße ein neues Erhaltungsgebiet aufgestellt. Pankow will Schritt für Schritt die aufgehobenen Sanierungsgebiete in den Milieuschutz einbeziehen. So ist das Gebiet Pankow-Zentrum bereits um das alte Sanierungsgebiet Wollankstraße erweitert worden.
Auch der Bezirk Lichtenberg nähert sich dem Thema langsam an. Zwar hat das Bezirksamt noch im April einen Milieuschutz für die Victoriastadt abgelehnt, die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat im August aber beschlossen, Gebiete zu suchen, für die sich der Milieuschutz eignet.
In der BVV von Mitte läuft ebenfalls ein Antrag, im Bezirk Verdachtsgebiete zu untersuchen. Obwohl Mitte mit der Oranienburger Vorstadt schon ein Erhaltungsgebiet hat, verhält sich das Bezirksamt sehr zurückhaltend. Neukölln blockt das Thema völlig ab: Der Quartiersrat des Reuterkiezes erhielt auf seine Bitte um Milieuschutz vom Bezirksamt eine kategorische Absage.
Ein Milieuschutzgebiet kann man nicht per Deklaration aufstellen. Damit die Verordnung rechtssicher wird, muss das betreffende Bezirksamt mit einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung nachweisen, dass einerseits ein großer Teil der Bevölkerung von Verdrängung gefährdet ist und dass andererseits die Bausubstanz und die Marktlage mietpreistreibende Modernisierungen erwarten lassen. Dabei ist vor allem die Befragung der Bewohner sehr aufwendig. Ein solches Gutachten kostet etwa 20.000 Euro. In bestehenden Milieuschutzgebieten müssen zudem in regelmäßigen Abständen Sozialstudien erstellt werden, um die Verordnung aufrecht zu erhalten. Für die Prüfung der Bauanträge und die Kontrolle der Auflagen benötigt die Verwaltung außerdem Personal, das die Bezirke nur mit Mühe stellen können.
Dass der Milieuschutz seine Wirkung nicht verfehlt, zeigen die allergischen Reaktionen der Eigentümerverbände, die das städtebauliche Instrument mit Sozialismus und Planwirtschaft gleichsetzen und verfallende Stadtteile prophezeien.
Jens Sethmann
MieterMagazin 10/13
Schon einmal wurde am Barbarossaplatz preiswerter Wohnraum abgerissen – das soll sich nicht wiederholen
Foto: Nils Richter
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CDU blockiert Umwandlungsverordnung
Viel schlagkräftiger könnte der Milieuschutz sein, wenn der Berliner Senat eine Umwandlungsverordnung erließe. Damit könnten die Bezirke in Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen für fünf Jahre verbieten und so einen Mietsteigerungsmotor ausschalten, denn mit einer Umwandlung gehen fast immer die Entmietung und eine übermäßig teure Modernisierung einher. Bisher blockiert die CDU eine solche Verordnung.
js
03.03.2018