Ein Gerüst vorm Fenster ist keine schöne Sache. Umso ärgerlicher, wenn die Bauarbeiten überhaupt nicht vorangehen oder das Gerüst offenbar lediglich als Reklame-Halterung dient. Kann man sich wehren?
Wolfgang Hoth kam eines Tages im Februar nach Hause, als Bauarbeiter gerade dabei waren, an seinem Haus in der Lützowstraße 37 ein Gerüst aufzubauen. Ein paar Tage später wurde ein großformatiges, über mehrere Stockwerke reichendes Reklameposter ausgerollt. Eine Ankündigung hatte es nicht gegeben. „Seitdem sitze ich mit meiner schwer kranken Frau Tag und Nacht im Dämmerlicht und ohne jeden Ausblick“, beschreibt der 80-jährige Mieter die „Knastatmosphäre“. Außerdem hat das Ehepaar große Angst, dass sich Einbrecher über das Gerüst Zugang zur Wohnung verschaffen könnten.
Nachdem die Hausverwaltung auf seine Beschwerde nicht reagierte, wandte sich Wolfgang Hoth an den Berliner Mieterverein. Dort riet man ihm, die Miete zu mindern. Außerdem forderte der stellvertretende Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, die Hausverwaltung schriftlich auf, das Gerüst zu entfernen. Als auch das nichts brachte, erwirkte ein Anwalt eine Einstweilige Verfügung. In dem Beschluss ordnete das Amtsgericht Mitte an, das Gerüst nebst Werbeplanen so zurückzubauen, dass die Mieter wieder freie Sicht aus ihrer Wohnung haben. Das Aufstellen des Gerüsts stelle eine Störung des Besitzes an der Mietwohnung dar, heißt es in dem Beschluss. Zudem handele es sich um eine verbotene Eigenmacht der Vermieterseite. Irgendeine Sinnhaftigkeit sei darin nicht zu erkennen, berichtet Wolfgang Hoth. Kein Bauarbeiter rührte in den folgenden Monaten auch nur einen Handschlag. Das Gerüst hatte offenbar nur den Zweck, das Werbeposter zu halten.
Der Vermieter ignoriert den Gerichtsbeschluss
„Eine Einstweilige Verfügung ist ein schnelles Mittel“, erklärt Bartels. Gerade wenn das Gerüst gar nicht angekündigt ist, gibt es gute Chancen, eine solche Verfügung durchzusetzen. Schließlich sind Mieter verpflichtet, ihre Hausratversicherung vorab über die Aufstellung eines Baugerüsts zu informieren. Aber es muss auch wirklich eine Eilbedürftigkeit vorliegen: „Wer monatelang das Gerüst hinnimmt, hat daher schlechte Karten.“ Dann kommt nur eine Klage auf Beseitigung in Frage – und das kann dauern. Bei der sogenannten Besitzstörung, auf die hier abgestellt wird, geht es zudem ausschließlich um die konkrete Beeinträchtigung des Antragstellers. „Meine Nachbarn hatten gehofft, dass sie von meinem Urteil profitieren können, aber das Gericht hat leider entschieden, dass das Gerüst nur vor unserer Wohnung zurückgebaut werden muss“, sagt Wolfgang Hoth. Doch es gibt noch ein anderes Problem: die Vollstreckung. Im Falle der Lützowstraße ignoriert der Eigentümer bis heute den Gerichtsbeschluss. Dem 80-jährigen Mieter blieb nichts anderes übrig, als selbst eine Firma für den Rückbau zu beauftragen. Dafür musste er Kostenvoranschläge einholen. Derzeit läuft das Zwangsvollstreckungsverfahren.
Und was ist, wenn zwar eine ordentlich angekündigte Modernisierung stattfindet, aber die Baufirmen einfach monatelang nicht aufkreuzen? Starre Grenzen, wie lange man die Zwangsverdunkelung hinnehmen muss, gibt es nicht, erklärt Stefan Schetschorke, Leiter der Rechtsabteilung beim BMV: „Der Vermieter kann immer argumentieren, dass es bald weitergehen soll und dass es ein zu hoher Aufwand wäre, das Gerüst ab- und wieder aufzubauen.“
In jedem Fall kommen Mietminderungs- und Schadensersatzansprüche in Betracht, beispielsweise wenn durch die lange Dunkelheit Pflanzen eingehen und sich herausstellt, dass das Gerüst unnötig lange dagestanden hat.
Birgit Leiß
Kein Pardon der Gerichte bei fehlender Ankündigung
Der Mieter hat im Wege der Einstweiligen Verfügung einen Anspruch auf Entfernung des Gerüsts, welches ohne jegliche Ankündigung angebracht worden war und die Sicht aus der Wohnung des Mieters behindert, urteilte das Landgericht Berlin (LG Berlin vom 27. September 2013 – 65 T 158/13). Für die Demontage sei eine Frist von 10 Tagen zu setzen. Das Amtsgericht Charlottenburg zeigte unlängst Verständnis für Beeinträchtigungen durch ein Reklameposter an der Fassade. Der Mieter könne vom Vermieter die Beseitigung eines Werbeplakats verlangen, das in diesem Fall an einem Baugerüst vor vier von fünf Fenstern der Wohnung und dem Balkon angebracht worden war. Wegen der dadurch verursachten Verdunkelung der Räume und der Behinderung der freien Sicht hielt das Gericht eine Mietminderung von 20 Prozent für angemessen (AG Charlottenburg vom 14. Dezember 2017 – 239 C 196/17).
bl
28.09.2018