Der außer Rand und Band geratene Immobilienmarkt hat auch Folgen für das Gewerbe. Wenn kleine Läden und Kitas, selbst Apotheken und Arztpraxen sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können, ist nicht nur die Vielfalt in den Quartieren in Gefahr, sondern auch die Versorgung ihrer Bewohner. Doch ein besserer gesetzlicher Schutz für Gewerbemieter lässt weiter auf sich warten.
Die Verdrängung der alteingesessenen Buchhandlung Kisch & Co. ließ kürzlich in Kreuzberg Tausende auf die Straße gehen. Beispiele wie diese gibt es zuhauf, auch wenn Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, derzeit keine allgemeine Gewerbemietenexplosion sieht. Die Entwicklung sei extrem unterschiedlich, sagte er bei einer Veranstaltung der Bezirksgruppe Mitte des Berliner Mietervereins (BMV) zum Thema Gewerbemietmarkt. In den Top-Lagen der Innenstadt gebe es durchaus hohe Steigerungsraten bei Neuvermietung und auch Verdrängungsprozesse. Andererseits sei die Nachfrage pandemiebedingt moderat, was den Preis drückt. Dazu kommt ein verändertes Verbraucherverhalten, Stichwort Online-Handel.
Das Grundproblem: Gewerbemieter sind rechtlich praktisch ohne Schutz. Die Grünen haben daher 2018 auf Bundesebene einen Gesetzentwurf eingebracht, der unter anderem einen verbesserten Kündigungsschutz, eine Mietpreisbremse sowie einen Anspruch auf Vertragsverlängerung vorsieht. Seit mehr als drei Jahren liegt der von den Linken unterstützte Vorstoß im Ausschuss fest. CDU und SPD blockieren ihn – letztere nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil sie ja schlecht einen Gesetzentwurf der Opposition unterstützen könne, wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert bei der BMV-Veranstaltung unumwunden einräumte. Auch sie sagt: „Wir brauchen Schutzrechte und Regularien aus dem Wohnmietrecht, und das muss vom Bund geregelt werden.“ Bei der CDU setzt man dagegen auf den Bau von Gewerbehöfen und Instrumente der Städtebauförderung wie das Geschäftsstraßenmanagement. Zusätzliche Regularien, insbesondere einen verbindlichen Gewerbemietspiegel, lehnt die CDU ebenso wie die FDP und die AfD strikt ab. Man sollte stattdessen im Gespräch mit dem Vermieter nach individuellen Lösungen suchen, empfahl Ottilie Klein, Kandidatin der CDU für den Bundestag. Solche Sichtweisen brachten bei der BMV-Diskussion einige auf dem Podium in Rage. „Wenn individuelle Gespräche je etwas gebracht hätten, brauchten wir weder Mietervereine noch Gewerkschaften“, meinte Martin Neise, Direktkandidat der Linken für den Bundestag: Für kleine Gewerbetreibende gehe es schlicht um die Existenz, sie haben sich einen Kundenstamm aufgebaut und können nicht einfach woanders neu anfangen.
„Verhandlung auf Augenhöhe“ ist eine Utopie
Von Vertragsfreiheit könne beim Kleingewerbe und bei sozialen Einrichtungen keine Rede sein, betonte auch Sebastian Bartels von der BMV-Geschäftsführung. „Sie haben keine Marktmacht – es ist daher eine Utopie, dass hier auf Augenhöhe verhandelt wird.“ Der BMV fordert einen verbesserten Kündigungsschutz und die Einführung eines Gewerbemietendeckels. Zudem müssten die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verpflichtet werden, Gewerberäume zu angemessenen Preisen zu vermieten. Schließlich sind es die kleinen, inhabergeführten Geschäfte, die einen Kiez lebenswert machen.
Birgit Leiß
Gewerbemieter im Mieterverein
Der Berliner Mieterverein hat rund 500 Gewerbe-Mitglieder. Sie können sich beraten lassen, sind aber im Gegensatz zu Wohnungsmietern nicht rechtsschutzversichert. Die Erfahrung zeigt, dass viele sich nicht trauen, ihre Rechte einzufordern. Selbst bei gravierenden Mängeln, etwa Schimmel oder Wasserschäden, halten sie sich zurück, weil sie fürchten, dass andernfalls der Vertrag nicht verlängert wird. Werden die Räume aufgegeben, ob freiwillig oder nicht, gibt es – anders als etwa in Frankreich – keinerlei Entschädigung für ihre Investitionen. Das müsse sich ändern, fordert der Berliner Mieterverein.
bl
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21.09.2021