Der Bezirk Neukölln versucht derzeit, das Vorkaufsrecht in einem Haus im Milieuschutzgebiet auf eine weitgehend unbekannte, aber im Baugesetzbuch geregelte Art auszuüben, dem auch nicht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entgegenstehen dürfte.
Die Weichselstraße 52 ist kein schmuckes Haus, das sieht man auf den ersten Blick. Aber hinter der Fassade ist der Zustand noch weitaus schlimmer. So schlimm, dass sich Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) entschlossen hat, das Haus per Ausübung des Vorkaufsrechts für eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft oder eine Genossenschaft zu erwerben.
Aber ist das Vorkaufsrecht der Bezirke nicht abgeschafft, seit das Bundesverwaltungsgericht die Ausübung nach Berliner Praxis für rechtswidrig erklärt hat? Nicht ganz. Denn in seinem Urteil hat das Gericht nur festgestellt, dass das Vorkaufsrecht nicht deshalb ausgeübt werden darf, weil dem Käufer erhaltungswidrige Nutzungsabsichten unterstellt werden. Allerdings können die Bezirke nach dem Baugesetzbuch weiterhin das Vorkaufsrecht ausüben, wenn Häuser beim Verkauf „erhebliche nachteilige Auswirkungen auf das soziale oder städtebauliche Umfeld aufweisen, insbesondere durch ihren baulichen Zustand“.
Dies ist nach Auffassung des Bezirksamts in der Weichselstraße 52 der Fall. Nun wird dringend ein Dritter gesucht, der das Haus übernehmen will, wobei sich allerdings der schlechte Zustand als nachteilig erweist. Wie bei jedem Vorkauf muss eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchgeführt werden. Hohe Sanierungskosten machen den Ankauf eines Hauses schnell unwirtschaftlich.
Inzwischen hat sich Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler eingeschaltet: Man unterstütze das Neuköllner Vorhaben, die letzte verbleibende Möglichkeit einer Ausübung des Vorkaufsrechts auszuschöpfen und stehe bereit, erforderlichenfalls den Erwerb über ein landeseigenes Wohnungsunternehmen zu bezuschussen. Auch die von Mietervereinsgeschäftsführerin Wibke Werner gleichentags aufgestellte Forderung an den Bundesgesetzgeber, das Baugesetzbuch so zu novellieren, dass der Vorkauf wieder praktiziert werden kann wie früher, befürwortete der Senator mit einem Appell an die Bundesregierung, den Gesetzesentwurf endlich zu beschließen.
Der Bezirk Neukölln prüft auch in einem weiteren Fall, einem Haus in der Hermannstraße 123, ob er das Vorkaufsrecht wahrnimmt. Aus anderen Bezirken ist über eine vergleichbare Vorkaufspraxis noch nichts bekannt.
Stefan Klein
27.09.2023