In der boomenden Partymetropole Berlin werden immer mehr Anwohner durch Kneipenlärm um den Schlaf gebracht. Was tun, wenn man nicht an den Stadtrand ziehen, sondern in seinem angestammten Kiez bleiben will – bei erträglichem Lärm?
Für Michael Jung ist es seit Herbst 2014 mit der Ruhe vorbei. Erst wurde die ehemalige Bäckerei in seinem Haus in der Neuköllner Bürknerstraße zehn Monate lang umgebaut. „Von 7 bis 22 Uhr wurde mit Bohrer und Presslufthammer gearbeitet, das war kaum auszuhalten.“ Im Juni 2015 wurde dann die Bar oder, wie sie im Verwaltungsdeutsch heißt, „Galerie mit Ausschank“ eröffnet. Seitdem finden immer wieder gut besuchte Veranstaltungen mit lauter Live-Musik statt. „Unter meinem Fenster stehen oder sitzen die Leute dann bis nachts herum, unterhalten sich laut und telefonieren“, erzählt der Mieter, der im ersten Stock wohnt. Nicht nur im Schlafzimmer, in der ganzen Wohnung sei der Krach zu hören.
Nachdem Gespräche mit den Betreibern der Bar nichts brachten und sein Vermieter ebenfalls auf stur schaltete, wandte er sich an das Ordnungsamt. Wie andere Mieter im Haus rief er außerdem mehrfach die Polizei und erstattete Anzeige. Gebracht hat das wenig. Nach einer Schallschutzmessung wurde die Musikanlage zwar verplombt, das heißt die Lautstärke wurde auf die zulässigen Dezibel-Werte heruntergepegelt. Aber es gibt offenbar diverse Möglichkeiten der Manipulation, wie man beim Neuköllner Ordnungsamt bestätigt.
Lärm allein rechtfertigt keine Schließung
In dem Trendbezirk registriert man eine eindeutige Zunahme von Lärmbeschwerden – und das nicht etwa, weil die Leute empfindlicher geworden wären, wie die Leiterin des Ordnungsamtes, Nicole Gebell, betont: „Die Belastung insgesamt ist einfach größer geworden.“ Durch einst verödete Wohnstraßen ziehen mittlerweile feierwütige Nachtschwärmer von einer Kneipe zur nächsten. Dazu komme, so Gebell, dass immer großzügiger Ausnahmegenehmigungen für Straßenfeste und andere Open-Air-Veranstaltungen erteilt werden: „Wenn jeden Tag Remmidemmi ist, halten das die Anwohner irgendwann nicht mehr aus.“ Dennoch: Dass eine Gaststätte nur wegen Lärmbeschwerden schließen musste, hat die Leiterin des Neuköllner Ordnungsamts noch nie erlebt: „Da müssen weitere, erhebliche Verstöße vorliegen.“ Wenn besonders viele Anwohner Druck machen, tut sich aber oft doch etwas. So gab ein Restaurantbetreiber aus der Weserstraße, der zusätzlich eine Clubdisko im Keller einrichtete, nach massiven Beschwerden den Kellerbetrieb wieder auf.
Längst ist belegt, dass Lärm krank macht. Daher gibt es ein Immissionsschutzgesetz, an das sich selbstverständlich auch Diskotheken und Bars halten müssen. Demnach gilt eine Ruhezeit von 22 bis 6 Uhr. „Die übrigen Mieter im Haus müssen in dieser Zeit dröhnende Musik, Grölen und Poltern nicht hinnehmen“, heißt es lapidar in einer Information des Berliner Senats. In der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) sind die zulässigen Dezibel-Werte festgelegt. In Wohngebieten dürfen tagsüber 55 db(A) nicht überschritten werden, nachts sind es 40 db(A). In Mischgebieten gilt ein höherer Immissionsrichtwert: 60 db(A) tagsüber, 45 db(A) nachts. Ein effektiver Schallschutz ist technisch kein Problem – kostet aber einiges.
Bei Michael Jung ist mittlerweile etwas mehr Ruhe eingekehrt. Seine Anwältin hat gegen die Betreiber der Galerie Unterlassungsansprüche geltend gemacht. „Die Doppelzange aus Ordnungsamt und angedrohter Unterlassungsklage scheint ihre Wirkung zu entfalten“, meint der Mieter.
Birgit Leiß
Wer ist zuständig?
Ansprechpartner bei Lärm durch Gaststätten ist das bezirkliche Ordnungsamt. Nach Dienstende, in der Regel ab 22 Uhr, kann man die Polizei unter 110 anrufen. Wichtig ist, auf einer Anzeige zu bestehen. Nur dann wird ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Zunächst wird der Störer zu einer Stellungnahme aufgefordert. Wenn dieser den Vorwurf bestreitet, die Polizeibeamten aber den Vorfall bestätigen können, gilt die Ruhestörung als gegeben. Ansonsten braucht man unabhängige Zeugen. Als Sanktionsmöglichkeiten stehen dem Amt neben Bußgeldern auch die Verhängung von Auflagen zur Verfügung, beispielsweise kann die Schankgartenerlaubnis oder die Genehmigung für Musikveranstaltungen entzogen werden. Als allerletztes Mittel kann auch ein Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet werden.
Auch den Vermieter kann man in die Pflicht nehmen. Er muss dafür sorgen, dass die Ruhestörung abgestellt wird. Grundsätzlich steht Mietern auch das Recht auf Mietminderung zu. Angesichts einer komplizierten Rechtsprechung sollte man davon aber nur nach entsprechender rechtlicher Beratung Gebrauch machen.
bl
Die Adressen der Berliner Ordnungsämter finden sich unter service.berlin.de/standorte/ordnungsaemter
Das Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin ist nachzulesen unter: www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/laerm/laermschutz/limschg.shtml
Weitere Informationen im BMV-Info 96:
Lärmbelästigungen – Das ABC der häufigsten Streitpunkte
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14.06.2016