Eine neue Sozialstudie zu den Kreuzberger Milieuschutzgebieten Luisenstadt (SO 36), Graefestraße und Bergmannstraße-Nord verzeichnet übermäßig hohe Mieten und eine stark angestiegene Mietbelastung der Haushalte. Bei den Ursachen kann der Milieuschutz nichts ausrichten. Dennoch behält der Bezirk ihn bei, um zumindest Luxusmodernisierungen verhindern zu können.
In den drei Gebieten sind die Bruttokaltmieten in den letzten zehn Jahren stärker angestiegen als die Berliner Mietspiegelwerte. 1998 lagen sie noch bei 4 bis 4,50 Euro pro Quadratmeter, heute bei 5 bis 5,50 Euro. Die Einkommen der Bewohner sind aber nur genauso langsam gewachsen wie im Berliner Durchschnitt. In SO 36, einem der sozialstrukturell schwächsten Gebiete der Stadt, liegen die Einkommen nach wie vor bei drei Vierteln des Durchschnitts. Folge: „Die Mietbelastung hat enorm zugenommen“, sagt Sigmar Gude vom Stadtforschungsbüro Topos, das die Untersuchung durchgeführt hat. Die Bewohner müssen heute rund 31 Prozent ihres Einkommens für die Wohnung ausgeben. 1998 waren es rund 27 Prozent. Rechnet man die Heizkosten hinzu, müssen die Mieter heute mehr als ein Drittel ihrer Einkünfte für das Wohnen aufbringen.
„Es wandern zunehmend einkommensstarke kinderlose Haushalte zu“, beobachtet Gude weiterhin. Aufwertungstendenzen seien nicht mehr nur an der Bergmannstraße und im Graefekiez zu erkennen, sondern auch in SO 36, etwa am Paul-Lincke-Ufer. Von der vielbefürchteten Gentrifizierung seien die Gebiete aber noch entfernt: „Die Entwicklung stellt noch nicht den Beginn eines Bevölkerungsaustausches dar“, sagt Gude.
Der Milieuschutz konnte den Trend kaum aufhalten. Er wirkt nur gegen modernisierungsbedingte Mietsteigerungen, aber nicht bei allgemeinen Mieterhöhungen. Vor allem die freie Preisfestlegung bei Neuvermietungen lasse in Gebieten mit hoher Fluktuation das Mietniveau steigen. Die Bundesregierung habe zudem das früher starke Instrument Milieuschutz „ausgehöhlt“, bedauert Bezirksbürgermeister Franz Schulz. Will ein Eigentümer sein Haus auf nicht mehr als den bundesweit durchschnittlichen Ausstattungsstandard bringen, muss dies ohne Auflagen genehmigt werden. Einfluss kann die Verwaltung nur noch nehmen, wenn der Hausbesitzer aufwändiger modernisieren will.
Um sich diese Eingriffsmöglichkeiten aber zu erhalten, führt der Bezirk den Milieuschutz fort. Immerhin konnten dadurch die Mieterhöhungen für „Altmieter“, die eine Modernisierung erduldet haben, deutlich niedriger gehalten werden.
In den drei Gebieten wohnen 72.000 Menschen. Der Bezirk hat noch zwei weitere Milieuschutzgebiete in Kreuzberg ausgewiesen. Mehr als jeder zweite Kreuzberger lebt im Milieuschutz.
Jens Sethmann
MieterMagazin 12/08
Einen Trend Richtung Gentrifizierung beobachtet Topos am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer
Foto: Christian Muhrbeck
03.03.2018