Leitsätze:
a) Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch einen Vermieter stellt eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Bestätigung der Senatsurteile vom 6. Juli 1977 – VIII ZR 277/75, WM 1977, 1126, und vom 1. Oktober 2003 – VIII ZR 326/02, WuM 2003, 708).
b) Der Vermieter, der eine Wohnung in Abwesenheit des Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Titels durch verbotene Eigenmacht in Besitz nimmt, hat sich aufgrund der ihn treffenden Obhutspflicht nicht nur zu entlasten, soweit ihm die Herausgabe nachweislich vorhandener Gegenstände unmöglich wird oder nachweislich eine Verschlechterung an herauszugebenden Gegenständen eintritt. Er muss aufgrund seiner Obhutspflicht die Interessen des an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters auch dadurch wahren, dass er bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufstellt und deren Wert schätzen lässt. Kommt er dem nicht nach, hat er zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben des Mieters abweichen, soweit dessen Angaben plausibel sind (Anschluss an BGHZ 3, 162).
c) Zu den Anforderungen an eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO.
BGH v. 14.7.2010 – VIII ZR 45/09 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 12 Seiten]
Anmerkungen:
Nachdem der Mieter mehrere Monate mit unbekanntem Aufenthaltsort abwesend war und die Miete für zwei Monate nicht gezahlt hatte, kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis fristlos. Einen Monat später ließ sie die Mieterwohnung öffnen, entsorgte einen Teil der Wohnungseinrichtung und lagerte einen anderen Teil der Mietergegenstände bei sich ein. Der betroffene Mieter machte später Schadensersatzforderungen in Höhe von rund 62 000 Euro geltend. Der BGH entschied, dass die Vermieterin für die Folgen der eigenmächtigen Wohnungsräumung haften muss. Die eigenmächtige Inbesitznahme der Wohnung, die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckt war, und das eigenmächtige Ausräumen durch die Vermieterin stellten eine unerlaubte Selbsthilfe dar. Auch wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters nicht bekannt ist, ist Voraussetzung für eine Räumung der Wohnung immer ein Räumungstitel.
Das rechtsstaatliche Verfahren – Räumung der Wohnung nur mit Räumungstitel – ist auf jeden Fall einzuhalten. Nur Gerichte dürfen entscheiden, ob die Wohnung geräumt werden darf oder nicht.
09.05.2017