Leitsatz:
Eigenbedarf an einer vermieteten Wohnung kann bei Vorliegen besonderer Konstellationen auch begründet sein, wenn der Vermieter die Wohnung nur für wenige Wochen im Jahr für sich und seine Familie nutzen will.
BGH vom 21.8.2018 – VIII ZR 186/17 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 16 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging um die Wirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung zum Zwecke der Nutzung der Wohnung als Ferien- und Zweitwohnung.
Der Vermieter ist Nießbrauchsberechtigter eines aus vier Wohnungen bestehenden Hauses in sehr bevorzugter Lage in Wiesbaden. Eigentümer des Hauses sind seine drei Kinder, die jeweils verheiratet sind und ihrerseits insgesamt sechs Kinder haben. Ebenso wie der Vermieter haben seine Kinder und deren Familien ihren Lebensmittelpunkt in Finnland. Der Vermieter und seine Kinder nutzen zwei der vier Wohnungen für gelegentliche Aufenthalte in Wiesbaden. Und zwar etwa zweimal pro Jahr für ein bis zwei Wochen, insbesondere für Familientreffen. Das Anwesen stammt aus Familienbesitz. Die Kinder des Vermieters haben von Kindheit an eine starke Verbundenheit mit Wiesbaden.
Der Mieter wohnt seit 1993 in einer im zweiten Obergeschoss des Hauses gelegenen Fünfzimmerwohnung. Er verfügt zudem über Wohnimmobilien (!) sowohl in unmittelbarer Nähe des Hauses als auch im nahe gelegenen Wiesbaden-B.
2014 erklärte der Vermieter die Kündigung des Mietverhältnisses zum 1. September 2015 wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung führte er aus, er benötige eine weitere Wohnung in dem Anwesen für die Familien seiner Kinder, um deren Aufenthalte in Wiesbaden sicherzustellen. Die bisher hierzu von seinen Kindern und deren Familien genutzte Dachgeschosswohnung sei für sechs Erwachsene und vier Kinder zu klein; zudem würden nach der Familienplanung für die nächsten Jahre weitere vier (Enkel-)Kinder erwartet.
Das Landgericht gab der Räumungsklage statt. Die hiergegen eingereichte Revision hatte keinen Erfolg. Zu Recht – so der BGH – sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Kinder und Enkel des Vermieters als Familienangehörige im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusehen seien und der Vermieter daher die Eigenbedarfskündigung auf die beabsichtigte Nutzung der Wohnung durch diese Personen stützen könne.
Ebenfalls zutreffend sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass auch eine vom Vermieter beabsichtigte Nutzung der dem Mieter überlassenen Wohnung als Zweit- und/oder Ferienwohnung die Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung erfüllen könne.
Durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts seien die wesentlichen Fragen der Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geklärt. Danach werde der Vermieter durch Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG in seiner Freiheit geschützt, die Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen oder durch privilegierte Angehörige nutzen zu lassen. Dabei hätten die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch den – eng gezogenen – Kreis privilegierter Dritter nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten und ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen. Ebenso hätten sie grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen ansehe. Die Gerichte seien daher nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen.
Dem Erlangungswunsch des Vermieters seien allerdings zur Wahrung berechtigter Belange des Mieters Grenzen gesetzt. Die Gerichte dürften den Eigennutzungswunsch des Vermieters daraufhin nachprüfen, ob dieser Wunsch ernsthaft verfolgt werde, ob er von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen sei oder ob er missbräuchlich sei, etwa weil der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht sei, die Wohnung die Nutzungswünsche des Vermieters überhaupt nicht erfüllen könne oder der Wohnbedarf in einer anderen (frei gewordenen) Wohnung des Vermieters ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden könne. Ferner werde der Mieter über die sogenannte Sozialklausel des § 574 BGB geschützt, indem er Härtegründe anbringen könne.
Auch sei höchstrichterlich bereits entschieden, dass sowohl ein zeitlich begrenzter Bedarf hinsichtlich der Wohnung (BGH vom 20.10.2004 – VIII ZR 246/03 – und vom 4.3.2015 – VIII ZR 166/14) als auch ein Wohnbedarf, der zwar nicht von seiner Gesamtdauer her zeitlich begrenzt sei, der aber nicht die ständige, sondern nur eine zeitweise Nutzung der Wohnung umfasse, die Voraussetzungen des „Benötigens“ der Räume „als Wohnung“ und damit die Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfüllen könne.
Deshalb könne grundsätzlich auch die vom Vermieter beabsichtigte Nutzung der dem Mieter überlassenen Räume als Zweitwohnung eine Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB rechtfertigen. Der Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wonach die Räume „als Wohnung“ benötigt werden müssten, setze nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht voraus, dass der Vermieter oder eine der sonstigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten privilegierten Personen in der dem Mieter überlassenen Wohnung den Lebensmittelpunkt begründen wollten.
Hierbei sei bei der rechtlichen Beurteilung des möglichen Eigenbedarfs hinsichtlich einer Zweitwohnung eine generalisierende, über den Einzelfall hinausgehende zeitliche Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Benötigens“ im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB – etwa in Gestalt einer konkreten „Mindestnutzungsdauer“ der Zweitwohnung – nicht möglich. Vielmehr komme es für die Beantwortung der Frage, ob der Wunsch des Vermieters, die vermietete Wohnung künftig als Zweitwohnung selbst zu nutzen oder durch privilegierte Angehörige im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nutzen zu lassen, eine Eigenbedarfskündigung rechtfertige, maßgeblich auf eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls an, wonach der Eigennutzungswunsch ernsthaft verfolgt werden, von vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen getragen sein müsse und nicht missbräuchlich sein dürfe.
Dies sei vorliegend der Fall. Angesichts der besonderen Verbundenheit des Vermieters und seiner Familie mit Wiesbaden und mit dem dortigen, schon seit langer Zeit im Eigentum der Familie stehenden Anwesen sowie angesichts der Größe der Familie und deren wirtschaftlicher Verhältnisse sei der Eigennutzungswunsch von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen und nicht missbräuchlich. Insbesondere sei der geltend gemachte Wohnbedarf nicht weit überhöht.
27.03.2022