Leitsätze:
1. Zur Frage, wann die Zunahme des Straßenverkehrs zu einer Mietminderung berechtigen kann.
2. Eine verstärkte Zugfolge der bei Mietvertragsabschluss schon vorhandenen S-Bahn rechtfertigt nicht die Mietminderung wegen Lärms.
3. Die seit Inbetriebnahme des Bahnhofes Spandau hervorgerufenen Lärmbelästigungen rechtfertigen bei einer nur 50 Meter entfernt gelegenen Wohnung eine Mietminderung, wenn diese bei Anmietung der Wohnung nicht vorhergesehen werden konnte.
AG Spandau, Urteil vom 22.11.02 – 3 b C 114/01 –
Mitgeteilt von RA Michael Pannach
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Grundsätzlich kann ein Mangel gemäß §537 BGB (a.F.) auch in einem so genannten Umweltfehler bestehen, d.h. in Beeinträchtigungen, die nicht von der Mietsache selbst ausgehen, sondern auf diese einwirken. Hierzu können auch die Beeinträchtigungen durch Geräusche zählen. Hierbei soll es im besonderen Maße auf die Ausgestaltung des Vertrages im Einzelnen und auf die konkrete Lage und Situation der Mietsache selbst ankommen; denn Voraussetzung für die Annahme eines Mangels sei immer, dass nach der allgemeinen Verkehrsanschauung der vertraglich vorausgesetzte Mietgebrauch beeinträchtigt ist, was zum Beispiel bei Lärmentwicklungen je nach Lage der Räume höchst unterschiedlich sein kann – Wohnung an Hauptverkehrsstraße, Wohnung in ländlicher Gemeinde (Kinne/ Schach, Mietvertrags- und Mietprozessrecht, 2. Aufl., Rdnr. 5 zu § 537 BGB).
Für die Beeinträchtigung der streitgegenständlichen Wohnung, die sich in unmittelbarer Nähe zum Fern- und S-Bahnhof Spandau befindet (das Schlafzimmerfenster liegt in Blickrichtung zum Bahnhof), stellt sich die tatsächliche und rechtliche Situation wie folgt dar:
a) Die Zunahme des Straßenverkehrs in der S.-Straße berechtigt die Beklagten nicht zu einer Mietminderung. Die zu diesem Komplex ergangene Rechtsprechung ist restriktiv und sieht in Straßenlärm nur in Ausnahmefällen einen Mietmangel, der zur Minderung berechtigt (vgl. die Übersicht von Maciejewski, Straßenlärm als Mietmangel, MM 2001, 121). Zur Begründung wird u.a. angeführt, dass vor allem bei Innenstadtlagen ein Mieter mit der gewöhnlichen Zunahme des Straßenverkehrs regelmäßig zu rechnen habe und die davon ausgehende Beeinträchtigung zum vereinbarten Zustand der Mietsache gehöre (vgl. LG Berlin, GE 2001, 135; AG Hohenschönhausen, MM 1999, 398; AG Schöneberg, GE 1996, 1499; LG Wiesbaden WM 1994, 430; LG Hannover WM 1994, 463; LG Lüneburg WM 1991, 683). Eine andere Beurteilung könne sich ergeben, wenn der Lärm unvorhergesehen wegen konkreter Umstände erheblich zunimmt. Nach dem AG Erfurt (WM 2000, 592) ist ein Mangel anzunehmen, wenn sich der Verkehrsfluss auf einer sehr gering befahrenen Straße auf Grund geänderter Verkehrsführung und umfangreicher Baumaßnahmen in erheblichem Maße erhöht.
Eine solche unvorhersehbare Verkehrszunahme hat auf der S.-Straße nicht stattgefunden. Die Straße hatte auch bei der Begründung des Mietverhältnisses nicht den Charakter einer ruhigen Nebenstraße, sondern war eine Durchgangsstraße, was nicht zuletzt durch die bereits vorhandenen Buslinien deutlich wurde. Die Zunahme des dortigen Verkehrsaufkommens liegt im Rahmen dessen, was die zuvor zitierte Rechtsprechung als hinnehmbar bewertet.
b) Auch der S-Bahnverkehr berechtigt nicht zu einer Mietminderung. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Klägerinnen war die S-Bahn bei der Anmietung der Wohnräume noch in Betrieb, so dass der S-Bahnverkehr als solcher von den Beklagten hinzunehmen ist. Allein eine verstärkte Zugfolge berechtigt nicht zur Minderung. Insoweit gelten die Ausführungen zur Zunahme des Straßenverkehrs entsprechend. Die Beklagten konnten auch nicht darauf vertrauen, dass die Stilllegung der S-Bahnstrecke dauerhaft bliebe (vgl. zur Inbetriebnahme einer stillgelegten U-Bahnstrecke AG Schöneberg, GE 1996, 1499).
c) Die Beklagten sind aber auf Grund der Inbetriebnahme des Bahnhofes Spandau im September 1998 – die bei der Anmietung nicht vorhergesehen werden konnte – zu einer Mietminderung berechtigt. Die von dem Betrieb des Bahnhofes ausgehenden Geräuschemissionen liegen deutlich über den Geräuschen, die von lediglich vorbeifahrenden Zügen ausgehen. Insbesondere die Bremsgeräusche der Züge und die durch Gong angekündigten Ansagen stellen eine erhebliche Lärmquelle dar. Unabhängig davon, dass die Beklagten diese Emissionen beispielhaft durch ein Lärmprotokoll substantiiert haben, sind diese Geräusche auch noch im Gebäude des Amtsgerichts Spandau deutlich wahrzunehmen. Es bestehen deshalb keine Zweifel, dass sie auf die wesentlich näher zum Bahnhof gelegenen Wohnräume erheblich einwirken.
Wenig überzeugen kann die in einem Berufungsverfahren vom Landgericht Berlin (Urteil vom 12.7.2002 – 64 S 261/01 -) vertretene Ansicht, dass die Mieter in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit eine Lärmbeeinträchtigung nicht zu beweisen vermochten, da die Beeinträchtigungen durch Lautsprecherdurchsagen und Zuggeräusche heute nicht mehr von einem Sachverständigen festzustellen seien. Weshalb das Landgericht meint, dass die Mieter einer Wohnung, die in direkter Luftlinie circa 50 Meter von den Bahnanlagen entfernt liegt, für die konkreten Lärmbeeinträchtigungen in ihrer Wohnung beweisfällig geblieben sind, erschließt sich dem Gericht nicht, zumal in dem einige hundert Meter entfernten Gerichtsgebäude die Ansagen und Zuggeräusche deutlich vernehmbar waren.
Eine weitere Wohnwertbeeinträchtigung erfolgt durch den nächtlichen Güterverkehr. Auch wenn bei Abschluss des Mietvertrages bereits Güterzüge die Trasse befuhren, kann der gegenwärtige Zustand (abgesehen von den damals nicht vorhandenen nächtlichen Bahnhofsansagen) nicht als vertraglich vorausgesetzt angesehen werden. Aus der von den Beklagten eingeführten schalltechnischen Untersuchung des Eisenbahn-Bundesamtes ergibt sich, dass die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte für den Nachtzeitraum nicht eingehalten werden.
Auf Grund der konkreten Beeinträchtigung der Wohnräume, insbesondere des Schlafzimmers, erachtet das Gericht eine Minderungsquote von 15 % für angemessen. …
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14.06.2016