Leitsätze:
1. Ein Abkömmling des Großvaters des Vermieters ist nicht ohne weiteres eine Person, für die Eigenbedarf im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geltend gemacht werden kann.
2. In einem solchen Fall rechtfertigt sich eine Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nur dann, wenn zwischen dem Vermieter und der Bedarfsperson eine besondere persönliche Beziehung besteht, die dem Vermieter die soziale oder moralische Verpflichtung auferlegt, der Bedarfsperson eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtung muss der Vermieter dann mit substantiiertem Vortrag darlegen.
3. Die Revision wird zugelassen.
LG Berlin, Urteil vom 24.10.03. – 65 S 240/03 –
Mitgeteilt von RAen Christian Emmerich & Reinhard Lebek
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Die Kündigung vom 22.2.2001 ist jedoch unwirksam, weil der Kläger einen Eigenbedarf seinerseits bezogen auf eine Bedarfsperson nicht schlüssig dargetan hat. Dies ergibt sich allerdings – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – noch nicht daraus, dass die Planungen des Klägers nicht ausreichend nachvollziehbar dargelegt worden seien. Der Selbstnutzungswunsch des Eigentümers ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich grundsätzlich zu achten (BVerfG, NJW 1994, 310; WM 1989, 114), denn das grundgesetzlich geschützte Eigentum gewährt seinem Inhaber auch das Recht, den Eigentumsgegenstand entsprechend seiner eigenverantwortlichen Lebensgestaltung so zu nutzen, wie er dies nach seinen Plänen für richtig hält. Den Fachgerichten steht es hierbei nicht an, ihre eigenen Vorstellungen verbindlich an die Stelle der Planung des Eigentümers zu setzen. Das bedeutet aber auch, dass das Gericht im Allgemeinen nicht überprüfen darf, ob es zur Nutzungsabsicht des Vermieters bessere oder sinnvollere Alternativen gibt (Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, B. Aufl., § 573, Rdnr. 66). Dies hat die Amtsrichterin jedoch getan. Die Frage der Ernsthaftigkeit könnte letztlich nur im Rahmen einer Beweisaufnahme geklärt werden.
Der Kläger hat jedoch ein berechtigtes Interesse seinerseits an der Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung nicht schlüssig dargetan, weil die Familie X nicht in den Kreis der engen Familienangehörigen fällt – hierzu gehören nur Kinder, Ehegatten, und Eltern (Blank, a.a.O., Rdnr. 52 f) – und ein Eigenbedarf für entfernt stehende Verwandte nur dann begründet ist, wenn der Vermieter ihnen gegenüber rechtlich oder moralisch zur Unterhaltsgewährung oder sonstiger Fürsorge verpflichtet ist, weil zwischen ihm und der Bedarfsperson ein besonders enges persönliches Verhältnis besteht (Blank, a.a.O.; RE Oldenburg, WM 1993, 386; RE OLG Braunschweig, NJW-RR 1994, 597). Dass den Kläger gegenüber Herrn X und seiner Familie eine derartige Verpflichtung trifft, hat der Kläger nicht ausreichend substantiiert dargetan. Wie weit der Begriff des „Familienangehörigen“ im Sinne des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 a.F. bzw. §573 Abs. 2 Nr. 2 n.F. BGB zu fassen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zum Beispiel ist ein Cousin vom LG Berlin (MM 1993, 251) nicht mehr als Familienangehöriger im Sinne von § 564 b a.F. BGB angesehen worden, während das LG Braunschweig (WM 1994, 210) ein enges persönliches Verhältnis bejaht, wenn ein in Deutschland lebender Vermieter mit seiner in Polen lebenden Cousine bereits seit längerer Zeit persönlichen Kontakt unterhalten und diese mit Geld und Sachleistungen unterstützt hat. Herr X ist nicht Cousin des Klägers, sondern als Abkömmling des Großvaters des Klägers mit diesem noch weiter entfernt verwandt. Je weiter der Vermieter mit der Bedarfsperson verwandt ist, desto enger muss jedoch seine persönliche Beziehung zu dieser sein. Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer schon daraus, dass die rechtlichen Vorschriften, die eine Bevorzugung der Familie beabsichtigen (vgl. zum Beispiel das Sozialrecht und das Zeugnisverweigerungsrecht), den Begriff der Familie viel enger fassen. Darüber hinaus kann für die Annahme eines Eigenbedarfs nicht schon der Wille des Vermieters, die Wohnung einer bestimmten Person überlassen zu wollen, entscheidend sein (vgl. BVerfG, NJW 1989, 3007; BGHZ 103, 91, 100), denn dann wäre die Einschränkung des Gesetzes auf Familienangehörige nicht erforderlich und Eigenbedarf wäre schon gegeben, wenn der Vermieter die Wohnung einem Dritten mit ihm freundschaftlich Verbundenen überlassen wollte. Dies ist aber vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt gewesen. Vielmehr rechtfertigt sich eine Anwendung des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 a.F. BGB bzw. des § 573 Abs. 2 Nr. 2 n.F. BGB nur dann, wenn zwischen dem Vermieter und der Bedarfsperson eine besondere persönliche Beziehung besteht, die dem Vermieter die soziale oder moralische Verpflichtung auferlegt, der Bedarfsperson eine Wohnung zur Verfügung zu stellen (vgl. Blank, a.a.O.; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 573 Rdnr. 67 f; Grapentin in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., IV Rdnr. 67; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., IV Rdnr. 139). Diese Verpflichtung muss der Vermieter dann mit substantiiertem Vortrag darlegen (Grapentin, a.a.O.; Barthelmess, 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 5. Aufl., § 564 b Rdnr. 77). Derartiger Vortrag fehlt seitens des Klägers jedoch.
Zwar trägt der Kläger vor, dass sich seine Familie mit der Familie X im Jahr ein- bis zweimal gegenseitig besuchten, wobei meist seine Familie nach Tel Aviv reise. Die Kinder beider Familien telefonierten seit Jahren regelmäßig miteinander, schickten sich gegenseitig E-Mails und 1998 habe er, der Kläger, die Einsegnung des Sohnes der X im Restaurant … bezahlt. Inklusive der Flüge für seine Familie, der Bewirtung, der Anmietung des Restaurants etc. habe er einen Betrag von etwa 29000 DM aufgewandt. Im September 1997 habe er der Familie für die Einsegnungsfeier seines Sohnes in Spanien sämtliche Flug-, Übernachtungs- und Bewirtschaftungskosten bezahlt. Im Mai 1999 habe er die Familie X zur Einsegnung seines weiteren Sohnes und seiner Tochter nach Berlin eingeladen und auch diese Flug- und Reisekosten vollständig übernommen. Aus diesem Vortrag lässt sich jedoch eine Verpflichtung des Klägers, der Familie X nun auch noch eine Wohnung zu stellen, nicht entnehmen. Die Tatsache, dass der Kläger der Familie X schon andere Leistungen hat zukommen lassen, lässt für sich eine sittliche Verantwortlichkeit des Klägers für Herrn X und seine Familie noch nicht erkennen. Aus ihr ließe sich allenfalls eine Verpflichtung der Familie X gegenüber dem Kläger entnehmen. Selbst wenn man ein Bedürfnis der Familie an einer Wohnung in Berlin auf Grund ihrer persönlichen Lage als wahr unterstellt, ist damit vom Kläger noch nicht dargetan, warum gerade er dieses Bedürfnis befriedigen muss/will.
Die erkennende Kammer ist nach alledem auch der Auffassung, dass die Kündigung vom 22.2.2001 nicht den Anforderungen des § 564 b Abs. 3 a.F. BGB entsprechend begründet worden ist. Aus den Darlegungen des Klägers sind seine Planungen, die Wohnung der Familie X aus Israel zur Verfügung zu stellen und warum dies geschehen soll, zwar erkennbar. Da jedoch jegliche Ausführungen zum Verhältnis des Klägers zu Herrn X und seiner Verpflichtung ihm gegenüber, dessen Familie in Berlin eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, fehlen, sind die Darlegungen in der Kündigung nicht so ausreichend, dass sich die Beklagten ein Bild von dem konkreten Lebenssachverhalt, auf den das berechtigte Interesse gestützt werden soll, machen konnten (vgl. BVerfG, NJW 1994, 310, 311; 1992, 1397). Es fehlten die zutreffenden Angaben des Verwandtschaftsverhältnisses und die Gründe für die moralische Verpflichtung des Klägers. …
… Im Hinblick darauf, dass zu der Frage, wer zum Personenkreis des Familienangehörigen im Sinne des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 a.F. BGB gehört, eine höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt, diese jedoch unterschiedlich beantwortet wird, und sich durch die Neuregelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 n.F. BGB keine wesentlichen Änderungen ergeben haben, hat die erkennende Kammer hinsichtlich der Klage die Revision zugelassen.
27.03.2022