Leitsatz:
Ein entschuldigender Rechtsirrtum liegt vor, wenn der Mieter sich in der Höhe der Minderung – maximal um das Doppelte – irrt, weil die Bestimmung des Umfangs der Mietminderung von vielen Detailfragen abhängt sowie von den Gerichten im Einzelnen unterschiedlich beurteilt wird und deshalb häufig nicht vorab und eindeutig vom Mieter geklärt werden kann, auch wenn er entsprechenden rechtlichen Rat einholt und dabei den Sachverhalt umfassend und zutreffend vorträgt. Übermittelt der Ratsuchende jedoch falsche beziehungsweise nicht gesicherte Informationen, so kann er sich nicht entschuldigend darauf berufen, zu der Frage Rechtsrat eingeholt zu haben.
LG Berlin, Urteil vom 6.9.05 – 63 S 111/05 –
Mitgeteilt von RAin Beate Almenräder
Urteilstext
Aus den Gründen:
… Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der innegehaltenen Wohnung gemäß § 546 a Abs. 1 BGB. Die fristlose Kündigung der Klägerin vom 11. November 2003 hat zur Beendung des Mietverhältnisses geführt. Der Kündigungsgrund des § 543 Abs. 3 BGB hat vorgelegen. Die Beklagte befand sich bei Ausspruch und Zugang der fristlosen Kündigung in Verzug mit der Zahlung der Miete in Höhe der dort angegebenen Summe. Innerhalb von acht aufeinander folgenden Monaten hatte die Beklagte die Miete jeweils nicht in voller Höhe gezahlt, so dass ein Verzug mit einer Summe eingetreten war, der das Vierfache einer Monatsmiete überstieg.
Der Verzug war nicht unverschuldet. Nicht ersichtlich ist, dass im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB die Zahlung der Mieten in der geschuldeten Höhe auf Grund eines Umstandes unterblieb, welchen die Beklagte nicht zu vertreten hatte. Die Beklagte, die die Voraussetzungen für ein fehlendes Verschulden hätte substantiiert darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen (Münchener Kommentar zum BGB/Ernst, 4. Aufl., § 286 Rn. 115), hat dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte dargelegt. Verschulden in diesem Sinne fehlt nur, wenn sich der Mieter mit seiner Auffassung, die Miete nicht oder nicht in voller Höhe zu schulden, in einem entschuldbaren Rechts- oder tatsächlichen Irrtum befunden hat. Ein entschuldbarer Irrtum ist zu bejahen, wenn sich der Schuldner – hier die Beklagte – mit Sorgfalt um die Klärung der zweifelhaften Fragen bemüht hat (BGH NJW 1992, 3296 m.w.N.). So liegt nach Auffassung der Kammer ein zu entschuldigender Rechtsirrtum vor, wenn der Mieter sich in der Höhe der Minderung irrte und zwar bis ums Doppelte, weil die Bestimmung des Umfangs der Mietminderung von vielen Detailfragen abhängt sowie von den Gerichten im Einzelnen unterschiedlich beurteilt wird und deshalb häufig nicht vorab und eindeutig vom Mieter geklärt werden kann, auch wenn er entsprechenden rechtlichen Rat einholt und dabei den Sachverhalt umfassend und zutreffend vorträgt. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Auf Grund des insoweit nicht angefochtenen und rechtskräftig gewordenen Urteils des Amtsgerichts vom 14. März 2005 muss hier vielmehr davon ausgegangen werden, dass überhaupt keine Minderung der Miete vorgelegen hat, weil entweder die behaupteten Beeinträchtigungen nicht bewiesen werden konnten oder die vorgetragenen Umstände keine erhebliche Beeinträchtigung des Gebrauchs im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB darstellten. Obwohl mithin die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Minderung ungeklärt waren und der Beklagten bekannt war, dass die Klägerin die vorgenommenen Minderungen nicht akzeptierte, hat die Beklagte die Miete im streitgegenständlichen Zeitraum ganz erheblich, nämlich um jeweils 40 % bis 50 % und
in zwei Monaten sogar fast vollständig, gemindert, indem sie nur Beträge von 1,69 Euro im September 2003 und von 1,00 Euro im März 2004 zahlte. Dieses ist bei dem hier gegebenen Umfang der Nicht- bzw. Minderzahlung nicht mehr entschuldbar. Denn selbst wenn sich die Beklagte unverschuldet zur Minderung berechtigt hielte, liegt nur dann keine Fahrlässigkeit hinsichtlich der Nichtzahlung vor, wenn es sich um einen angemessenen Betrag handelt (vgl. auch Bamberger/Roth, BGB Kommentar, 1. Aufl. § 543 Rn. 27 m. w. N.). Bei einer sorgfältigen Prüfung der Rechtslage hätte die Beklagte zumindest zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Miete nicht um diese hohen Beträge gemindert war.
Die Beklagte handelte auch deshalb fahrlässig, das heißt ohne die gebotene Sorgfalt, weil sie in Kenntnis dessen, dass die Klägerin die behaupteten Zustände bestritten hatte, nicht dafür Sorge getragen hat, die behaupteten Beeinträchtigungen nachweisen zu können. Dass sie sich insoweit um eine sorgfältige Klärung und Beweissicherung bemüht hätte, ist nicht ersichtlich. So konnte sie insbesondere die behaupteten Geräuschbelästigungen vom Senatsfuhrpark in den Nachtstunden nicht beweisen. Die von ihr gefertigten Lärmprotokolle lassen keine objektivierbaren Feststellungen daraufhin zu, dass es sich hier um allgemein als erheblich empfundene Beeinträchtigungen handeln könnte. Beim Ortstermin durch das Amtsgericht ließen sich Feststellungen zu Geräuschbelästigungen nicht treffen. Die Beklagte wird auch nicht dadurch entschuldigt, dass in dem Vorprozess zwischen den Parteien über frühere Mietforderungen die Zahlungsklage der Klägerin abgewiesen worden war. Denn dort ist über das Vorhandensein von Mängeln und einer darauf beruhenden Minderung der Miete nicht entschieden worden.
Die Beklagte ist auch nicht im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB deshalb entschuldigt, weil sie in der Angelegenheit Rechtsrat beim Berliner Mieterverein eingeholt hat, der auch die Vorkorrespondenz mit der Klägerin für sie teilweise geführt hat. Dieser Umstand entlastet den Schuldner grundsätzlich noch nicht, denn er hätte auch für den Rat Erteilenden gemäß § 278 BGB als Erfüllungsgehilfen einzustehen (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB Kommentar, 63. Aufl. § 543 Rn. 26; Ernst: in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. § 286 Rn. 103, 110; Bamberger/Roth, BGB, 1. Aufl. § 543 Rn. 27 unter Hinweis auf BGH NJW 1993, 648; 6552). Dies gilt insbesondere dann, wenn der erteilte Rat der Rechtslage oder der herrschenden Meinung nicht entspricht. Hier hatte aber auch der Mieterverein seine – die Beklagte in ihrem Minderungsrecht bestärkenden – Ausführungen im Schreiben vom 16. März 2004 insoweit eingeschränkt, als sie auf den „dort vorliegenden Informationen beruhen“. Übermittelt aber der Ratsuchende falsche bzw. nicht gesicherte Informationen, so kann er sich nicht entschuldigend darauf berufen, zu der Frage Rechtsrat eingeholt zu haben. Auch ergibt sich aus dem vorgenannten Schreiben nur eine Mietminderung von 30 % bzw. 40 % bis September 2003, während die Beklagte die Miete im September 2003 um fast 100 % gemindert hatte, nämlich nur 1,69 Euro gezahlt hatte. Insoweit hat sie sich auf ein vermeintliches Minderungsrecht rückwirkend ab Juli 2003 in Höhe von monatlich 15 % dafür gestützt, dass andere Mieter den Balkon und den Garten nutzen. Davon abgesehen, dass insoweit eine nachträgliche Minderung einer vorher vorbehaltlosen Zahlung nicht möglich ist, rechtfertigen die dort niedergelegten Vorkommnisse auch für einen rechtlichen Laien keine 15-prozentige Minderung. Zudem ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte etwa im Zusammenhang mit der Überlegung, ob und in welcher Höhe die Miete infolge der Benutzung der Balkone und des Gartens durch andere Mieter gemindert sein könnte, rechtlichen Rat eingeholt hätte, denn das ergibt sich weder aus ihrem Schreiben vom 10. August 2003 an die Klägerin noch findet sich ein zeitnahes Schreiben des Mietervereins zu diesem Problem in der Akte.
Ihre Behauptungen zum Zustand des Treppenhauses (großflächige Farbabplatzungen, verwahrloste Briefkastenanlage, verschmutztes Treppenhaus, Müll- und Gerümpelablagerungen auf dem Hof) und der darauf gestützten Minderung von 10 % hat die Beklagte ebenfalls nicht beweisen können, sie haben sich nach einer Augenscheinseinnahme durch das Gericht in dem behaupteten Umfang nicht bestätigt. Soweit die Beklagte weitere Minderungen auf behauptete Geräuschbelästigungen aus der Nachbarwohnung gestützt hat, hat sie nicht Sorge dafür getragen, dass die von der Nachbarwohnung ausgehenden behaupteten Geräusche des Klavierstimmens, Hämmerns und Transportieren von Klavieren auch nachgewiesen werden können. Auch hier hat sie zwar ein Protokoll gefertigt.
Aus diesem und den weiteren lässt sich aber nur entnehmen, dass überhaupt etwas zu hören war. Geräuschlosigkeit kann die Beklagte in einem Mehrfamilienhaus allerdings nicht verlangen. Geräusche waren überdies im Wesentlichen auch nur zu üblichen Zeiten dokumentiert. Dass sie von übermäßiger Länge, Intensität und Lautstärke gewesen seien, lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. …
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14.06.2016