Leitsatz:
Der seit Mauerfall zunehmende Straßenverkehrslärm in der Neuköllner Sonnenallee ist kein zur Minderung berechtigender Mietmangel.
AG Neukölln, Urteil vom 6.6.07 – 19 C 105/07 –
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Die Klage ist jedoch nicht begründet, den Klägern steht ein Recht zur Mietminderung gemäß § 536 BGB aufgrund der von ihnen dargestellten Lärmbelästigungen nicht zu.
Ein Mangel liegt vor, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache von demjenigen, der vertraglich vereinbart wurde, nachteilig abweicht. Maßgeblich ist dabei, ob die Störung nach den bei Vertragsabschluss ersichtlichen Umständen als vertraglich vorausgesetzt geltend kann, wobei sich auch aus dem Grundgedanken des § 536 b BGB ergibt, nach dem eine Minderung ausgeschlossen ist, wenn der Mieter den Mangel der Mietsache bei Abschluss des Mietvertrages kennt, dass der Mieter nicht berechtigt ist, den Mietzins herabzusetzen, wenn die Beeinträchtigung zwar erst im Laufe der Mietzeit eintritt, der Mieter jedoch bereits bei Abschluss des Mietvertrages mit dem Eintritt der Störung rechnen musste (vgl. OLG München, Urteil vom 26.3.1993, 21 U 6002/92, NJW-RR 1994, 654).
Bei einer Wohnung, die im innerstädtischen Bereich zur Straßenfront gelegen ist, muss mit Straßenlärm und auch mit einer Zunahme des Verkehrs und des damit einhergehenden Lärms gerechnet werden. Bei einer derartigen Wohnung entspricht es regelmäßig nicht dem Willen der Parteien und der Verkehrssitte, in Straßenlärm, den der Vermieter nicht zu vertreten hat, einen Fehler der Mietsache zu sehen, der zu einer Minderung berechtigt (vgl. AG Pankow/Weißensee, Urteil vom 6.12.2000, 100 C 184/00, Grundeigentum 2001, 348). Anders mag es im Einzelfall dann liegen, wenn eine ruhige Villenstraße aufgrund geänderter Verkehrsleitung sich in eine Durchgangsstraße wandelt (vgl. LG Berlin, Urteil vom 12.10.2000, 62 S 234/00, GE 2001, 135). Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht. Mag es sich vielleicht bei der Sonnenallee … zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses noch um eine sehr viel ruhigere Gegend als heutzutage gehandelt zu haben, mussten die Kläger doch bereits zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass es zu einer Steigerung des Verkehrsflusses kommen würde.
Zwar war die Sonnenallee bis zur Grenzöffnung 1989 durch die Grenze zur DDR unterbrochen, mit der Folge, dass es sich nicht um eine Durchgangsstraße wie heutzutage handelte. Es handelte sich aber trotzdem nicht um eine ruhige Straße bzw. es war für die Kläger bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erkennbar, dass es sich nicht um eine ruhige Straße auch in Zukunft handeln würde. Die Unterbrechung der Sonnenallee war nicht bereits in der Höhe des Dammwegs, sondern erst ca. 1,5 km weiter südlich. Bis zu der Unterbrechung kam noch eine weitere Wohnsiedlung hinzu, nämlich die so genannte High-Deck-Siedlung zwischen Michael-Bohnen-Ring und Neuköllnische Allee. Diese Siedlung entstand zwar erst zwischen 1975 und 1981 als Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs, jedoch war bereits zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses 1972 für die Kläger erkennbar, dass diese neue Siedlung entstehen würde, sie konnten nicht damit rechnen, dass dieses Gebiet nicht zu Wohnzwecken genutzt werden würde. Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass die Sonnenallee zwar durch die Grenze unterbrochen war, jedoch sich dort an der Grenze zur DDR auch nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 ein Grenzübergang befand, sodass auch aufgrund des damit verbundenen Grenzverkehrs die Sonnenallee bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht als ruhige Nebenstraße eingeschätzt werden kann.
Dass die Sonnenallee aufgrund der Besonderheit durch die Teilung der Stadt keine Hauptdurchgangsstraße des Bezirks Neukölln werden würde, wie sie es zum jetzigen Zeitpunkt ist, und dass es sich bei dem Dammweg für die Zukunft auch weiterhin aufgrund der Grenze zur DDR um eine Sackgasse handeln würde, darauf konnten die Kläger nicht vertrauen. Vielmehr mussten sie damit rechnen, dass es zu einer Öffnung der Grenze und der damit verbundenen Verkehrszunahme kommen würde. Auch wenn es zeitweise nicht danach aussah, wurde von Seiten der Politik doch stets darauf hingearbeitet, die Teilung der Stadt zu beenden. Die Mieter im unmittelbaren Grenzbereich können sich daher nicht darauf berufen, dass zum Zeitpunkt vor dem Mauerfall nunmehr verkehrsreiche Wohngegenden ruhig waren.
Auch eine Verstärkung des Lärmpegels durch die Anbindung der neuen Autobahn zur Ausfahrt Grenzallee über Sonnenallee/Dammweg stellt nach Ansicht des Gerichts keinen Mangel dar. Auch hier handelt es sich um eine im Rahmen des innerstädtischen Verkehrs übliche Zunahme, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass der Bau einer Autobahn an dieser Stelle bereits lange geplant war und die Kläger auch bereits bei Anmietung der Wohnung 1972 damit hätten rechnen können, dass es zu einem späteren Zeitpunkt, wenn auch erst in einigen Jahrzehnten, zum Bau einer Autobahn an dieser Stelle kommen würde. Ausweislich der Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf ihrer Internetseite zu dem Thema „BAB 100 – Das Vorhaben“ reichen die Pläne, den inneren Autobahnring Berlins von Tempelhof bis Neukölln zu verlängern, bereits bis in die sechziger Jahre zurück.
Die Wiederinbetriebnahme der S-Bahnstation „Köllnische Heide“ und der damit verbundene Lärm stellt ebenfalls keinen Mangel der. Der S-Bahnhof „Köllnische Heide“ war lediglich, ebenso wie die Strecke an diesem, zwischen 1980 und 1993 aufgrund eines Reichsbahnerstreiks stillgelegt. Zum Zeitpunkt der Anmietung der Wohnung durch die Kläger 1972 war dieser dementsprechend in Betrieb. Dass mittlerweile unter Umständen auf dieser Strecke mehr Züge fahren als 1972, gehört zu der üblichen Steigerung des Verkehrs im innerstädtischen Bereich, mit dem, wie bereits dargelegt, der Mieter rechnen muss. Dies gilt auch für die Zunahme des Verkehrs auf den Schienen, die zum neu errichteten Bahnhof Südkreuz führen. Dass Verkehrswege – auch Schienenwege – ausgebaut werden, gehört zu in Großstädten wie Berlin üblichen Vorgängen, die auch ein Mieter bei der Anmietung einer Wohnung einkalkulieren muss.
Der Lärm, der nach dem Vortrag der Kläger durch das Wasserflugzeug vom Hafen Treptower Park verursacht wird, stellt ebenfalls keinen Mangel der. Auch wenn mit der Stationierung des Wasserflugzeuges 1972 sicherlich nicht zu rechnen war, ist zu berücksichtigen, dass Fluglärm für die Bewohner des Hauses Sonnenallee … aufgrund der Nähe zum Flughafen Berlin-Tempelhof nichts neues ist, insbesondere für die Bewohner, die bereits seit 1972 dort wohnen. Zum Zeitpunkt der Anmietung der Wohnung durch die Kläger handelte es sich bei dem Flughafen Berlin-Tempelhof um den zivilen Flughafen West-Berlins. Die Zahl der Fluggäste auf diesem stieg bis 1975 auf über sechs Millionen. In diesem Jahr wurde der Flughafen Berlin-Tempelhof dann für den zivilen Luftverkehr durch den neu errichteten Flughafen Tegel ersetzt (Quelle: Wikipedia). Die Wohnung wurde dementsprechend mit Fluglärm angemietet; dass das Wasserflugzeug, das nur einige Male am Tag innerhalb der Saison, nach dem Fahrplan des Wasserflugzeuges in der Flugsaison vom 24. März bis 20. November 2005 mittwochs bis freitags zwischen 9.30 Uhr und 17.30 Uhr neunmal und samstags und sonntags zwischen 10.00 Uhr und 17.30 Uhr achtmal, startet bzw. landet, eine stärkere Lärmbelästigung darstellen soll, ist bereits nicht nachvollziehbar. Jedenfalls handelt es sich aber nach Ansicht des Gerichts nicht um einen wesentlichen Mangel, da die Lärmbelästigungen, die von dem Wasserflugzeug ausgehen, nur kurzzeitig auftreten und nicht innerhalb der Nachtzeiten und zudem in Hinblick auf den sowieso bereits starken Verkehrslärm nicht wesentlich weiter ins Gewicht fallen.
Auch die Gesamtschau der einzelnen von den Klägern angeführten Punkte führt nicht zur Bejahung eines Mangels in Form von Verkehrslärm. Der innerstädtische Verkehr innerhalb Berlins hat insgesamt seit 1972 enorm zugenommen und viele Bewohner der Häuser an den größeren Straßen müssen, soweit sie nicht zwischenzeitlich umgezogen sind, damit leben, dass der Verkehrslärm, der früher für sie nicht weiter ins Gewicht fiel, so stark zugenommen hat, dass er aus ihrer Sicht kaum erträglich ist und die Nutzbarkeit von Balkonen einschränkt. Dies stellt aber – wie bereits dargestellt – keinen Mangel der Mietsache dar. Der gesteigerte Verkehrslärm spielt sicherlich im Zusammenhang mit Mietverträgen eine Rolle, nämlich beispielsweise in der Form, dass eine Neuvermietung für die Vermieter schwieriger wird, sie ggf. mit der Miete dabei heruntergehen müssen und Mieterhöhungen gemäß §§ 588 ff. BGB geringer ausfallen. Ein Recht zur Mietminderung ergibt sich daraus aber eben nicht, ebenso wenig wie der Vermieter im Falle einer Verkehrsberuhigung von Straßen kein Recht zur Mieterhöhung erhält. Dass im Fall der Kläger aufgrund der Besonderheit der Lage der Sonnenallee … im Jahr 1972 anders zu beurteilen ist, ist aus den dargelegten Gründen zu verneinen. Bei der Sonnenallee in diesem Bereich handelte es sich zu keinem Zeitpunkt um eine, wie vom Landgericht Berlin im Urteil vom 12. Oktober 2000, 62 S 234/00, Grundeigentum 2001, 135, als Besonderheit herausgestellte, ruhige Villenstraße, die sich aufgrund geänderter Verkehrsleitung in eine Durchgangsstraße verwandelte. Auch der Fall des Amtsgerichts Köpenick (Urteil vom 17.1.2006, 3 C 262/05, WuM 2006, 145) ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Das streitgegenständliche Haus befand sich dort zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses in einer Straße, die erkennbar auf Dauer als Sackgasse angelegt und dann zu einem späteren Zeitpunkt für den Durchgangsverkehr geöffnet worden war. Die Kläger mussten jedoch aufgrund der Besonderheiten Berlins damit rechnen, dass der Dammweg nicht immer eine Sackgasse bleiben und auch die Sonnenallee zu einer stärkeren Durchgangsstraße würde. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Da es bereits an einem erheblichen Mangel im Sinne des § 536 BGB fehlt, war die Klage abzuweisen. Auf die Frage der Verwirkung eines etwaigen Rechts zur Minderung kommt es nicht mehr an. …
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14.06.2016