Leitsatz:
Obwohl im Mietvertrag über eine Sozialwohnung eine unter der Kostenmiete liegende Miete vereinbart ist, ist es dem Vermieter grundsätzlich nicht verwehrt, später die Miete auf die Kostenmiete anzuheben.
LG Berlin vom 18.2.2016 – 65 S 2/16 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach § 3 des Mietvertrages betrug die Nettokaltmiete „zurzeit“ monatlich 263,99 Euro zuzüglich Nebenkosten, was einer Miete von rund 5,30 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche monatlich entspricht. § 17 des Mietvertrages lautete wie folgt:
„1. Die Wohnung ist im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau errichtet. Sie unterliegt damit den Vorschriften des Wohnungsbindungsgesetzes […] und ist gesetzlich preisgebunden. Die Miete der Wohnung darf deshalb nur so hoch sein, dass sie zuzüglich der Umlagen (Betriebskosten) die laufenden Aufwendungen des Vermieters deckt.
2. Die Miete verändert sich jeweils mit dem Abbau der öffentlichen Förderungsmittel des Landes Berlin. Darüber hinaus sind aufgrund besonderer Anordnungen der zuständigen Behörden auch außerplanmäßige Kürzungen der bewilligten Aufwendungshilfen möglich, die zu entsprechenden weiteren (auch einkommensabhängigen) Mieterhöhungen führen können.“
Die Mieterin war der Auffassung, dass spätere Mieterhöhungen unwirksam gewesen seien, weil die preisrechtlich zulässige Durchschnittsmiete bereits bei Mietvertragsschluss 16,02 Euro pro Quadratmeter betragen habe; die Vermieterin hätte durch die Angabe der niedrigeren Nettokaltmiete von rund 5,30 Euro im Mietvertrag konkludent und dauerhaft auf die damalige Kostenmiete in Höhe von 16,02 Euro pro Quadratmeter verzichtet.
Das Landgericht entschied wie aus dem Leitsatz ersichtlich. Den Vereinbarungen im Mietvertrag lasse sich ein Verzichtswille der Vermieterin nicht entnehmen. Nach dem Mietvertrag „betrage“ die Nettokaltmiete lediglich „zurzeit“ die dort angegebene Höhe; in § 17 des Mietvertrages werde darauf hingewiesen, dass die Wohnung preisgebunden sei und nach welchen Regeln die Miete sich verändern könne, wobei auch der Umstand mitgeteilt werde, dass die Miete so hoch sein könne, dass sie die laufenden Aufwendungen des Vermieters decke und sich mit dem Abbau von Aufwendungshilfen und Fördermitteln erhöhen könne.
Anmerkung: Die gegenteilige Auffassung vertritt sie 18. Zivilkammer des Landgerichts:
Urteil des LG Berlin vom 30.11.2015 – 18 S 168/15 –.
Urteilstext
Sachverhalt:
Die Kl. ist seit dem 1. Januar 2009 Mieterin, die Bekl. Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Vermieterin, über deren Vermögen bereits bei Mietvertragsschluss das Insolvenzverfahren eröffnet war. Die Wohnung mit einer Wohnfläche von ca. 49,81 m2 wurde mit öffentlichen Fördermitteln errichtet und ist preisgebunden. Nach § 3 des Mietvertrages betrug die Nettokaltmiete „zur Zeit“ monatlich 263,99 €, zuzüglich Nebenkosten, was einer Miete von rund 5,30 €1m2 Wfl. mtl. entspricht.
§ 17 des Mietvertrages lautet wie folgt:
1. Die Wohnung ist im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau errichtet. Sie unterliegt damit den Vorschriften des Wohnungsbindungsgesetzes […] und ist gesetzlich preisgebunden. Die Miete der Wohnung darf deshalb nur so hoch sein, dass sie zuzüglich der Umlagen (Betriebskosten) die laufenden Aufwendungen des Vermieters deckt.
2. Die Miete verändert sich jeweils mit dem Abbau der öffentlichen Förderungsmittel des Landes Berlin. Darüber hinaus sind aufgrund besonderer Anordnungen der zuständigen Behörden auch außerplanmäßige Kürzungen der bewilligten Aufwendungshilfen möglich, die zu entsprechenden weiteren (auch einkommensabhängigen) Mieterhöhungen führen können.“
Nachdem die Bekl. die Immobilie 2010 erworben hatte, erhöhte sie die Miete mit Erklärung vom 14. Juni 2010 um 59,78 € auf 323,77 €, mit Erklärung vom 13. Juni 2012 um weitere 19,92 € und mit Erklärung vom 11. Juni 2013 um weitere 4,98 €. Die Kl. leistete die erhöhten Mieten an die Bekl. Sie ist der Auffassung, dass die Mieterhöhungen unwirksam seien, weil die preisrechtlich zulässige Durchschnittsmiete bereits bei Mietvertragsschluss 16,02 €/m2 betragen habe; Mieterhöhungen nach Abschluss des Mietvertrages seien nur möglich, soweit die Kostenmiete den vorgenannten Betrag überschreiten würde. Die Rechtsvorgängerin der Bekl. hätte durch die Angabe der niedrigeren Nettokaltmiete von rund 5,30 €/m 2 Wfl. mtl. im Mietvertrag konkludent und dauerhaft auf die damalige Kostenmiete in Höhe von 16,02 €/m2 verzichtet. Das AG hat die Bekl. zur Zahlung von 3.148,24 € verurteilt. Die Berufung der Bekl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Rückzahlung von Miete aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Rechtsgrund für die Zahlungen waren die wirksamen Mieterhöhungserklärungen der Bekl. zum 1.Juli 2010, 1. Juli 2012 und zum 1. Juli 2013. Eine Unwirksamkeit der Mieterhöhungen folgt nicht aus § 10 Abs. 4 WoBindG unter dem Gesichtspunkt einer sich aus den Umständen ergebenden Vereinbarung der Parteien. Es liegen hier entgegen der Auffassung der Kl. insbesondere keine Umstände vor, die den Rückschluss auf einen Verzicht der Rechtsvorgängerin der Bekl. auf eine künftige Erhöhung der Miete bis zur preisrechtlich zulässigen Kostenmiete bzw. einen entsprechenden Erlassvertrag, § 397 BGB, erlauben würden. Die Kl. lässt insoweit die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe unberücksichtigt. Danach kommt ein Erlassvertrag nur zustande, wenn die Parteien darauf gerichtete übereinstimmende Willenserklärungen abgeben. Das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages muss unmissverständlich erklärt werden, wobei an die Feststellung des Verzichtswillens strenge Anforderungen zu stellen sind; er darf nicht vermutet werden und ist im Zweifel eng auszulegen. Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 10.6.2015 – VIII ZR 99/14, GE 2015, 1026 = juris Rn. 19;Urt. v. 3.6.2008 – XI ZR 353/07, juris Rn. 20; Urt. v. 7.3.2006 – VI ZR 54/05, juris Rn. 9 f., jew. m.w.N.).
Den Vereinbarungen im Mietvertrag lässt sich ein diesen Maßstäben genügender Verzichtswille der Rechtsvorgängerin der Bekl. nicht entnehmen. Nach dem Mietvertrag „beträgt“ die Nettokaltmiete lediglich „zur Zeit“ die dort angegebene Höhe; in § 17 des Mietvertrages wird darauf hingewiesen, dass die Wohnung preisgebunden ist und nach welchen Regeln die Miete sich verändern kann, wobei auch der Umstand mitgeteilt wird, dass die Miete so hoch sein kann, dass sie die laufenden Aufwendungen des Vermieters deckt, sich mit dem Abbau von Aufwendungshilfen und Fördermitteln erhöhen kann.
Dem Umstand allein, dass die Rechtsvorgängerin der Bekl. (zunächst, nämlich: zur Zeit) eine unter der Kostenmiete liegende Nettokaltmiete mit der Kl. vereinbart hat, lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass sie mit dieser Vereinbarung dauerhaft auf die zulässige Kostenmiete verzichtet. Auch die – allein allerdings auch nicht ausreichende – Interessenlage der Parteien lässt diesen Rückschluss nicht zu. Der Mietvertrag wurde – aus dem Rubrum des Vertrages deutlich ersichtlich – durch die im damaligen Zeitpunkt bereits im Insolvenzverfahren befindliche Rechtsvorgängerin der Bekl. geschlossen. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist es schon fernliegend, dass diese – ohne ausdrückliche Vereinbarung – derart weit reichende Vermögensdispositionen für die Zukunft treffen wollte, im Übrigen auch nur treffen konnte.
Letztlich entspricht die Rechtsauffassung der Kl. auch nicht generell der Interessenlage von Mietern. Zuzugeben ist ihr, dass ein Mieter die Höhe der Miete betreffend Sicherheit wünscht. Dies ist allerdings weder im Segment des preisgebundenen noch dem des preisfreien Wohnraums erreichbar. Unabhängig davon müsste ein solcher Wille im Rahmen des Vertragsschlusses in der Weise zwischen den Parteien thematisiert worden sein, dass auf eine Vereinbarung geschlossen werden kann, der Vermieter also in Kenntnis dieses Wunsches einer entsprechenden Vereinbarung die Miethöhe betreffend zugestimmt hat. Dafür ist hier nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Die Auffassung des Amtsgerichts zu den Interessen des Mieters greift im Übrigen zu kurz: Würde sie zugrunde gelegt, wären Vermieter im preisgebundenen Wohnraumsegment gehalten, immer die Kostenmiete zu vereinbaren oder zumindest eine möglichst hohe, die preisrechtlichen und am Markt durchsetzbaren Möglichkeiten ausschöpfende Miete, um nicht Gefahr zu laufen, dass sie – gegebenenfalls verbunden mit dem Risiko einer Insolvenz – dauerhaft mit dem Verlangen der Kostenmiete oder jeder- wie hier- auch nur äußerst moderaten Anhebung der Miete ausgeschlossen wären. Die nach den hier gegenständlichen Erhöhungen geschuldete Miete erreicht im Ergebnis noch immer nicht einmal die Hälfte der Kostenmiete. Eine entsprechende Entwicklung dürfte eine weitere Erhöhung des Mietpreisniveaus zur Folge haben und nicht im Interesse von Mietern liegen.
30.07.2017