Eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf Null in allen Gebäuden des Landes bis zum Jahr 2050 – mit dieser Absichtserklärung rechtfertigt die schwarz/gelbe Bundesregierung die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. Ob es nach bisheriger politischer Erfahrung unter CDU/CSU und FDP je zu einer erheblichen Reduzierung des Energieverbrauchs und der CO2-Belastung im Gebäudebestand kommt, ist indessen mehr als fraglich. Umso wichtiger, dass in Berlin weiter mit Nachdruck an einem Landesklimaschutzgesetz gearbeitet wird. Erste Entwürfe von Umweltsenatorin Lompscher fanden allerdings nicht den erforderlichen breiten Rückhalt in der Stadt. Ein Bündnis aus Berliner Mieterverein (BMV), Bund für Naturschutz (BUND) und Industrie- und Handelskammer (IHK) brachte vor Kurzem alternativ ein sogenanntes Stufenmodell in die Diskussion, dass nicht nur bei vielen Experten, sondern auch bei Teilen der Regierung und der Opposition auf Zustimmung stößt. Die Idee ist: Die energetische Sanierung wird schnell und effektiv vorangetrieben, die Kosten dafür gerecht verteilt. Es wird höchste Zeit. Denn so langsam wissen es alle: Das Klima wartet nicht.
Seit einigen Jahren wird der Anstieg der Heizkosten zu einer immensen Belastung für die Mieterhaushalte. Insbesondere Mieter in ölbeheizten Wohngebäuden mussten tief in die Tasche greifen. Nach Erhebungen des Berliner Mietervereins liegen die Heizkosten inzwischen im Schnitt bei etwa 1,15 Euro pro Quadratmeter monatlich. Bei Mehrfamilienhäusern mit zentraler Gasversorgung sieht es nicht viel besser aus. Die Prognose für die nächsten Jahre lässt keine Entspannung erwarten. Im Gegenteil. Mit jährlichen Energiepreissteigerungen von 5 bis 10 Prozent muss gerechnet werden. Im Jahr 2038 werden die Heizkosten die Nettokaltmiete bei einer 5-prozentigen Steigerung bereits erreicht haben. Steigen sie um 10 Prozent, ist von rund 20 Euro Energiekosten pro Quadratmeter auszugehen.
„Die Mieter stehen wegen zukünftiger Energiepreissteigerungen mit dem Rücken an der Wand“, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. „Zur energetischen Sanierung der Wohngebäude gibt es aber auch aus sozialen Gründen keine Alternative“.
Mit der derzeitigen Modernisierungsrate von einem Prozent für die energetischen Verbesserung des Wohngebäudebestandes kann der Schutz vor höheren Heizkosten und den Folgen des Klimawandels jedoch nicht erreicht werden. Darüber sind sich alle Experten einig. Das bedeutet gleichzeitig, dass die jetzigen gesetzlichen Vorgaben nahezu wirkungslos sind. Die Energieeinsparverordnung (EnEV) setzt Maßstäbe in erster Linie für den Neubau. Die Anforderungen für bestehende Wohngebäude sind hingegen unzureichend, ihre Umsetzung wird nicht kontrolliert. In Berlin sollen beispielsweise noch 28 000 mehr als 30 Jahre alte Heizkessel in Betrieb sein, die nach der EnEV längst hätten ausgetauscht werden müssen.
Auch der Ersatz fossiler Energieträger wie Öl und Gas kommt nicht voran. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz gilt nur für Neubauten. Wegen der extrem niedrigen Neubaurate in Berlin ist es fast wirkungslos. Öffentliche Fördermittel gleichen den fehlenden gesetzlichen Anreiz nicht aus. Die Bundesregierung beabsichtigt sogar, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm im Jahr 2011 auf 450 Millionen Euro herunterzufahren – was mit den Vorstellungen zum Energiekonzept 2050 nicht in Einklang zu bringen ist. Deshalb begrüßte der Berliner Mieterverein auch, dass Umweltsenatorin Lompscher vor gut einem Jahr einen Entwurf für ein Landesklimaschutzgesetz für den Gebäudebestand vorlegte.
Zu viele Ausnahmen im Senatsmodell
Der Vorschlag der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz sieht vor, dass bei einer mehr als 20 Jahre alten Heizanlage erneuerbare Energien zur Unterstützung des Energieaufwands für Raumwärme eingesetzt werden müssen. Wer dem nicht folgen will oder kann, darf Ausgleichsmaßnahmen vornehmen, wie zum Beispiel das Anbringen von Wärmedämmungen gemäß EnEV. Da aber auch der Anschluss an das Fernwärmenetz mit Kraft-Wärme-Kopplung laut Gesetzesinitiative als Ersatz akzeptiert würde, bliebe ein guter Teil des Wohngebäudebestands ausgespart. Zudem schafft der Entwurf keine Planungsperspektive und berücksichtigt auch den heterogen Gebäudebestand der Bundeshauptstadt nicht angemessen.
Der Bund für Naturschutz (BUND), Landesverband Berlin und der Berliner Mieterverein haben daher alternativ zum Entwurf von Umweltsenatorin Lompscher (Linke) ein Stufenmodell zur schrittweisen Verringerung des Energiebedarfs beziehungsweise Energieverbrauchs und der CO2-Belastung vorgelegt. Dieser Vorschlag wurde schließlich auch von der Industrie- und Handelskammer unterstützt.
Berliner Mieterverein, BUND Berlin und IHK Berlin haben das zunächst theoretische Modell mit Fachexperten aus Wissenschaft und Praxis, unter Beiziehung von Juristen und einem Simulationsprogramm weiterentwickelt und nun konkrete Werte festgelegt. „Mit unserem differenzierten Stufenmodell sind die Klimaschutzziele zu erreichen – es ist die Grundlage dafür, Investitionen in Klimaschutz gezielt und intelligent einzusetzen“, so Andreas Jarfe, Landesgeschäftsführer des BUND Berlin. IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder betonte, dass die Autoren bei der Weiterentwicklung des Stufenmodells einen Schwerpunkt auf technologieoffene und ökonomisch vertretbare Lösungen gelegt haben: „Gerade im Nichtwohngebäudebereich sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich: Hier macht das Stufenmodell deutlich differenziertere Vorschläge als die bisherigen Entwürfe des Senats.“ Eder verwies darauf, dass die langfristige Anlage des Stufenmodells den Klimaschutzbemühungen der Wirtschaft entgegenkommt. „Unternehmen wollen in Klimaschutz und Energieeffizienz investieren, aber sie brauchen langfristige politische Orientierung. Und sie wollen selbst entscheiden können, mit welchen Maßnahmen sie diesen Beitrag leisten. Diesem Anspruch wird das Stufenmodell gerecht“, sagte Eder.
Das jetzt präzisierte Modell sieht die stufenweise Erhöhung der energetischen Anforderungen an Bestandsgebäude mittels Grenzwerten in vier Stufen á fünf Jahren vor. Die Einhaltung der jeweiligen Grenzwerte kann dabei bereits durch kleinere Investitionen erfolgen. Durch die Vorgabe eines energetischen und eines umweltpolitischen Ziels können die Gebäudeeigentümer die Grenzwerte sowohl mittels Maßnahmen zur Wärmedämmung als auch durch den Einsatz von regenerativen Energien zur Wärmegewinnung, effizienterer Heizungstechnik oder Kombinationen von Maßnahmen einhalten.
Amortisation nach zwei Jahren
In der ersten Stufe können die Gebäudeeigentümer zwischen einem Grenzwert von 200 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr Energiebedarf oder einem Ausstoß von maximal 75 kg CO2 pro Quadratmeter und Jahr wählen. Von dieser Energiebedarfsgrenze für Mehrfamilienhäuser und den etwas höheren Grenzwerten zum Beispiel für Einfamilienhäuser wären in der ersten Stufe rund 5 Prozent des Berliner Wohngebäudebestandes betroffen. Ein unsaniertes Haus mit Ölheizung müsste circa 11 Prozent Wärmeenergie einsparen oder diesen Anteil durch erneuerbare Energie ersetzen, um den Grenzwert von 75 kg CO2 pro Quadratmeter und Jahr einzuhalten. Schon mit dieser ersten Stufe würden etwa 4 Prozent des Wärmeenergieverbrauchs im Wohnungsbestand gesenkt. Für den Berliner Gebäudebestand ist in der ersten Stufe mit Investitionen in einer Höhe von 116 Millionen Euro zu rechnen. Gleichzeitig ließen sich aber Energiekosten in Höhe von 53 Millionen Euro pro Jahr nach der Sanierung einsparen. Damit amortisieren sich diese Investitionen schon nach zwei Jahren, so Ulf Sieberg, klimapolitischer Sprecher des BUND.
Bei den folgenden Stufen erhöhen sich die notwendigen Investitionssummen. Auch hier ist jedoch von einer Amortisation durch Energieeinsparungen spätestens nach 8 Jahren auszugehen. In der vierten Stufe müssen die Gebäude dann einen Endenergiebedarf von 80 kWh pro Quadratmeter und Jahr unterschreiten beziehungsweise 36 kg CO2 pro Quadratmeter und Jahr. Der Gesamtwärmebedarf für Wohngebäude und einen Teil der Nichtwohngebäude liegt nach Modellrechnungen von Professor Jochen Twele von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin bei 16 700 Gigawattstunden (GWh), was einen CO2-Ausstoß von derzeit 4569 Millionen Tonnen ausmacht. Würde man ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Gebäudetypen den gesamten Bestand auf 80 kWh pro Quadratmeter und Jahr beziehungsweise 36 kg CO2 pro Quadratmeter und Jahr drücken, so ergäbe sich eine rechnerische Einsparung von 7733 GWh oder 2108 Millionen Tonnen CO2 – also fast die Hälfte des heutigen Energiebedarfs beziehungsweise der heutigen CO2-Belastung.
Die Rechtsanwaltskanzlei „Gaßner, Groth, Siederer & Coll.“ hat eine rechtliche Expertise zum Stufenmodell für ein Berliner Klimaschutzgesetz vorgelegt. Die Juristen bestätigen, dass das Stufenmodell mit dem Energieeinspargesetz und dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vereinbar ist. „Das Stufenmodell kann aus rechtlicher Sicht in einem Klimaschutzgesetz umgesetzt werden“, so Rechtsanwalt Hartmut Gaßner. Berlin brauche keine Ermächtigung durch den Bund, erklärte der Jurist, vielmehr habe das Land eine originäre Zuständigkeit, solange der Bund keine eigene Regelung geschaffen habe. Für Bestandsbauten enthält das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz keine Regelungen. Die Zuständigkeit der Länder wird im Gesetz sogar betont. Im Bereich der Energieeinsparverordnung hat der Gesetzgeber in wesentlichen Teilen ausdrücklich weitergehende Regelungen zugelassen. „Sähe man dies anders, so wären im Bestand keinerlei Regelungen durch die Länder möglich – das würde dann auch für den Entwurf der Umweltsenatorin Lompscher gelten und widerspräche dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz“, so Gaßner. Die IHK hat darüber hinaus in einem Rechtsgutachten klären lassen, dass die Idee eines Stufenmodells nicht mit dem verfassungsrechtlich geschützten Grundrecht auf Eigentum kollidiert.
Hilfen für einkommensschwache Haushalte
„Mit dem Stufenmodell werden die Mieter nicht überfordert, wenngleich eine warmmietenneutrale Sanierung eher die Ausnahme ist, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Die gestuften Grenzwerte könnten jedoch auch durch geringinvestive Maßnahmen erreicht werden, die nur zu geringen Mietsteigerungen führen. Wild weiter: „Über eine Härteklausel stellen wir zudem sicher, dass nur solche energetischen Investitionen verpflichtend werden, die in einem gewissen Verhältnis zu den eingesparten Heizkosten stehen.“ Zur energetischen Gebäudesanierung gebe es keine Alternative. Für einkommensschwache Haushalte fordert der BMV zudem einen Klimabonus, der einen erhöhten Zuschuss bei den Kosten der Unterkunft für Empfänger von Arbeitslosengeld II und Grundsicherung beinhalten soll.
BUND, Berliner Mieterverein und IHK Berlin wollen anhand vorliegender Daten sicherstellen, dass bei einer maximalen Sanierung – die durch die Vorgaben des Stufenmodells nicht zwingend ausgelöst wird – Mehrkosten von circa einem Euro pro Quadratmeter im Monat nicht überschritten werden. Für die Gewerbe- und Industriegebäude wird eine vergleichbare Lösung vorgeschlagen. Statt einheitlicher Grenzwerte wird hier aufgrund der hohen Unterschiede der Gebäude mit Relativwerten gegenüber dem in der Energieeinsparverordnung aufgeführten Referenzgebäude und bekannten Vergleichswerten operiert. Analog zur Regelung für Wohngebäude verschärfen sich diese Relativwerte stufenweise um jeweils 20 Prozent. Für Industriegebäude mit ihrer sehr individuellen Ausgangslage besteht zusätzlich die Möglichkeit, die Anforderungen des Stufenmodells durch Vorlage eines bedarfsbezogenen Energieausweises und Umsetzung der darin enthaltenen Maßnahmenempfehlungen zu erfüllen.
mm
Im September hat die Charlottenburger Baugenossenschaft im Spandauer Schwendyweg die energetische Sanierung von sechs Wohnblocks abgeschlossen. Das Besondere: Die Modernisierung erfolgte warmmietenneutral. Die Mieter zahlen heute zwar eine höhere Grundmiete, die warmen Betriebskosten sinken aber im gleichen Maße. „Das ist ein Modell, das nicht nur bemerkenswert, sondern auch nachahmenswert ist“, lobt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer.
Bisher haben die Nutzer der 132 Wohnungen im Schwendyweg 15-47 monatlich 1,36 Euro pro Quadratmeter für Heizung und Warmwasser zahlen müssen. Künftig werden es nur noch 49 Cent sein. Um diese Einsparung möglich zu machen, hat die „Charlotte“ die 1955 bis 1957 gebaute dreigeschossige Wohnanlage seit April umfassend saniert. Die Etagenheizungen wurden durch ein Mini-Blockheizkraftwerk (BHKW) ersetzt, das nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung gleichzeitig Heizwärme und Strom erzeugt. Das von der Berliner Energieagentur betriebene BHKW wird mit Erdgas befeuert und deckt 70 Prozent des Jahreswärmebedarfs der Wohnanlage. Für Zeiten, in denen viele Bewohner gleichzeitig heizen und Warmwasser benötigen, gibt es einen zusätzlichen Heizkessel. Gegenüber einem herkömmlichen Brennwertkessel ist die Wärme des BHKW etwa sieben Prozent billiger, der erzeugte Strom ist um zehn Prozent günstiger als der Grundversorgungstarif.
Darüber hinaus wurden Dächer, Fassaden und Kellerdecken gedämmt und neue Fenster mit einer Doppel- oder Dreifachverglasung eingesetzt. Der Primärenergiebedarf geht dadurch von 227 Kilowattstunden pro Quadratmeter auf 49 Kilowattstunden zurück. Die CO2-Emissionen verringern sich von 400 auf 165 Tonnen pro Jahr.
Die „Charlotte“ verpachtete außerdem die Dachflächen an die Berliner Energieagentur, die hier eine Photovoltaikanlage installierte. Die 351 Module decken zusammen mit dem selbst erzeugten Strom den Bedarf der Bewohner. Die Anlage bringe „eine deutliche Umweltentlastung, die sich auch noch wirtschaftlich rechnet“, so Michael Geißler, Geschäftsführer der Berliner Energieagentur.
Um warmmietenneutral zu bleiben, hat die Genossenschaft die Modernisierungskosten nicht voll auf die Mieten umgelegt. Die Nettokaltmiete wurde für die Bestandsmieter um 84 Cent auf 5,11 Euro pro Quadratmeter angehoben. Durch die Energiekosteneinsparung von 87 Cent ergibt sich eine Miete, die ohne Berücksichtigung der kalten Betriebskosten mit 5,60 Euro sogar noch drei Cent niedriger ist als vor der Sanierung.
Ermöglicht wurde die kostenneutrale Modernisierung durch eine öffentliche Förderung. Über 3,8 Millionen Euro der sich auf 5,7 Millionen Euro belaufenden Sanierungskosten wurden von der KfW-Bank als Darlehen zur Verfügung gestellt.
Jens Sethmann
MieterMagazin 10/10
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07.07.2019