Leitsatz:
Eine nach der Modernisierungsankündigung vom Mieter eingereichte einstweilige Verfügung zur Erreichung eines vorläufigen Baustopps ist unzulässig, wenn der Mieter zuvor ein selbständiges Beweisverfahren zur Feststellung der abzuziehenden Instandsetzungskosten beantragt hat.
LG Berlin vom 18.5.2010 – 65 S 493/09 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging um eine angekündigte Modernisierung im Außenbereich. Der Mieter fürchtete, dass ersparte Instandsetzungskosten bei der späteren Mieterhöhung nicht abgezogen werden würden und lies den instandsetzungsbedürftigen Zustand des Gebäudes durch ein Beweissicherungsverfahren feststellen. Daneben beantragte er einen Baustopp im einstweiligen Verfahren. Das Landgericht wies den Antrag auf einstweilige Verfügung als unzulässig zurück, weil schon das selbstständige Beweisverfahren als Eilverfahren konzipiert sei und im konkreten Fall keine Anhaltspunkte gegeben waren, die eine Beweisvereitelung durch den Vermieter annehmen ließen.
Urteilstext
Zum Sachverhalt:
Es ging um eine angekündigte Modernisierung im Außenbereich. Der Mieter fürchtete, dass ersparte Instandsetzungskosten bei der späteren Mieterhöhung nicht abgezogen werden würden und lies den instandsetzungsbedürftigen Zustand des Gebäudes durch ein Beweissicherungsverfahren feststellen. Daneben beantragte er einen Baustopp im einstweiligen Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
1. Berufung der Verfügungsbeklagten und Berufungsklägerin (nachfolgend: die Beklagte)
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist begründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
a) Der Antrag der Verfügungsklägerin und Berufungsbeklagten (nachfolgend: die Klägerin) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Zwecke der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens ist unzulässig, denn das Zivilprozessrecht sieht für den hier begehrten Schutz vor einem drohenden Rechtsnachteil durch den Verlust eines Beweismittels (ausschließlich) die Regelungen über das selbständige Beweisverfahren vor.
Letzteres ist bereits – soweit die Anordnung nicht auf § 485 Abs. 1 Alt. 1 ZPO beruht – als (eigenständiges) vorläufiges Eilverfahren konzipiert (vgl. dazu Schreiber in MünchKommZPO, 3. Aufl., 2008, § 485 Rn. 13). Der Eilbedürftigkeit des Verfahrensgegenstandes wird dabei – ebenso wie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach den §§ 916ff. ZPO – unter Berücksichtigung der Umstände durch die konkrete Gestaltung des Verfahrensablaufes Rechnung getragen. Der Antragsteller kann zur Beschleunigung des Verfahrens selbst beitragen, etwa, indem er die Einzahlung des erforderlichen Kostenvorschusses gegebenenfalls kurzfristig veranlasst. Ein weiterer Beschleunigungseffekt ergibt sich daraus, dass der dem Antrag stattgebende Beschluss nicht anfechtbar ist, § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Vor dem Hintergrund des Charakters des Verfahrens verbietet sich folgerichtig in der Regel auch die Anordnung des Ruhens des Verfahrens, seine Aussetzung oder Unterbrechung, jedenfalls dann, wenn der Zweck des Verfahrens, insbesondere seine Eilbedürftigkeit dem entgegensteht (vgl. Schreiber in MünchKommZPO, 3. Aufl., 2008, § 485 Rn. 20; KG Beschluss v. 22.03.1996 – 21 W 2015/96 in NJW-RR 1996, 1086, zit. nach beck-online).
Es kann auch nicht zu Lasten der Beklagten unterstellt werden, dass das selbständige Beweisverfahren hier oder generell zur Beweissicherung nicht ausreiche, mit der Folge, dass in Abweichung zu den gesetzlichen Regelungen aus den Gründen, die Grundlage und Voraussetzung für die gerichtliche Anordnung der Beweiserhebung nach den §§ 485 ff. ZPO bilden, zugleich im Wege der einstweiligen Verfügung die Durchführung des Beweisverfahrens sicherzustellen ist. Diese Auffassung unterstellt, wären die Vorschriften der §§ 485ff. ZPO weitgehend überflüssig. Das als vorläufiges Eilverfahren konzipierte selbständige Beweisverfahren setzt bereits die Besorgnis voraus, dass ein Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird, vgl. § 485 Absatz 1 ZPO. Das impliziert Eile, denn anderenfalls würde die Beweiserhebung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens jedenfalls dann ausreichen, wenn nicht die Vermeidung eines Rechtsstreits Ziel des Beweisverfahrens ist (vgl. auch Wertungen des OLG Köln Beschluss v. 29.05.1995 – 18 W 16/95 Rn. 6ff.).
Für letzteres gibt es hier jedoch keinen Anhaltspunkt, denn das Verfahren soll nach dem Vortrag die Klägerin nicht einen Rechtsstreit vermeiden, sondern ihn vorbereiten, indem es die Beweislage zu ihren Gunsten verbessert. Darüber hinaus gehende besondere Gründe oder Umstände, die zusätzlich den Erlass einer einstweiligen Verfügung ausnahmsweise rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr erschöpft sich der Vortrag der Klägerin in der Darlegung der Voraussetzungen, die bereits für die Anordnung der Beweiserhebung nach §§ 485ff. ZPO unerlässlich sind.
Dies gilt auch für den Umstand, dass die Beklagte außergerichtlich nicht bereit war, die von der Klägerin begehrte Unterlassungserklärung abzugeben, denn dies bedeutet in rechtlicher Hinsicht lediglich, dass sie der Begutachtung nicht zustimmt, die Voraussetzungen des § 485 Absatz 1 Alt. 1 ZPO mithin nicht vorliegen. Aus der Weigerung, die Unterlassungserklärung abzugeben, lässt sich hingegen nicht auf eine weiter gehende Eilbedürftigkeit schließen. Sie folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte den Beginn der baulichen Maßnahmen (zunächst) für Anfang September durch das Aufstellen eines Gerüstes angekündigt hat. Zum einen war es der Klägerin spätestens seit dem Vorschlag der Beklagten vom 15. Juli 2009 in Reaktion auf die vorangegangene Mieterversammlung am 2. Juli ohne weiteres zuzumuten, die Beweissicherung zu betreiben. Es ist zum anderen aber auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte sich der gerichtlichen Anordnung der Beweiserhebung dadurch widersetzt hätte, dass sie die Beweiserhebung vereitelt. Angesichts des Zeitplanes in der Anlage zur Modernisierungsankündigung kann nicht einmal unterstellt werden, dass die Beweissicherung bei zügiger Durchführung des Verfahrens gegebenenfalls in Abstimmung mit dem Sachverständigen nicht möglich gewesen wäre.
b) Hinzu kommt, nach den vorstehenden Feststellungen auch folgerichtig, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO nicht vorliegen (vgl. zum nachfolgenden auch OLG Nürnberg Beschluss v. 07.09.1972 – 2 W 108/72 in NJW 1972, 2138, mit Anm. Habscheid in NJW 1973, 375f.).
Nach § 935 ZPO ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 940 ZPO kann eine einstweilige Verfügung auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sein, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
aa) § 935 ZPO setzt als sicherbaren Anspruch einen Klageanspruch voraus, dessen Rechtsverwirklichung und -durchsetzung gesichert werden soll. Während § 916 ZPO als zu sichernden Anspruch eine Geldforderung einschließlich des Anspruchs auf Hinterlegung von Geld, der Haftung für eine Geldforderung und alle nichtvermögensrechtlichen Ansprüche erfasst, sofern sie sich in ein Geldanspruch umwandeln lassen, bleiben für § 935 ZPO Ansprüche auf Individualleistungen, die der Rechtsdurchsetzung in einem Hauptsacheprozess fähig sind. Die Sicherung eines solchen Anspruchs ist nicht Gegenstand des Antrages der Klägerin, denn insoweit kann nicht auf das befürchtete Mieterhöhungsverfahren abgestellt werden, das die Klägerin zur Begründung ihres Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens geltend macht. Die einstweilige Verfügung soll keinen Anspruch der Klägerin im Mieterhöhungsverfahren absichern, sondern eine Beweiserhebung außerhalb eines Rechtsstreits. Eine solche kann weder selbständiger Gegenstand eines Hauptsacheprozesses sein, noch in einem solchen durchgesetzt werden.
Es lässt sich aus dem Mietvertrag auch keine Nebenpflicht der Parteien im Sinne eines klagbaren Individualanspruches ableiten, Beweiserhebungen oder -sicherungen zu ermöglichen. Auch die §§ 554, 559 BGB sehen dies weder vor, noch lässt sich aus den Regelungen ein so weit gehender Anspruch ableiten, der zur Folge hätte, dass ein einzelner Mieter – wie hier geschehen – die Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen stoppen kann, obwohl er zu deren Duldung verpflichtet wäre bzw. die Duldungspflicht – wie die Klägerin ausweislich ihrer Teilzustimmung – selbst anerkennt. Der Vermieter wäre in diesem Falle schlechter gestellt als bei einer nicht erteilten Zustimmung, denn er könnte den Mieter auf deren Erteilung nicht einmal gerichtlich in Anspruch nehmen. Zudem würden dem Mieter auf diesem Weg mehr Rechte zugestanden, als der Gesetzgeber in § 554 BGB vorgesehen hat, dies gegen dessen erklärten Willen im Rahmen der Mietrechtsreform. Er hat die Anforderungen an den Inhalt der Modernisierungsmitteilung des Vermieters in Kenntnis der strengen Maßstäbe der Rechtsprechung bewusst und gezielt abgesenkt, weil er ein allgemeines Interesse zur Durchführung von Wohnungsmodernisierungen sah; diese seien volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvoll (vgl. BT-Ds. 14/4553 S. 36, 49, 58). Gegen den Ansatz der Klägerin spricht schließlich, dass eine solche Nebenpflicht aus jedem Vertragsverhältnis hergeleitet werden könnte und müsste mit der Folge, dass der Rechtsverkehr durch Verfahren außerhalb ordentlicher Hauptsacheverfahren belastet und verunsichert würde. Dies wäre allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn die Rechtsordnung für den Schutz des jeweiligen Antragstellers keine Vorkehrungen getroffen hätte. Dies ist aber gerade nicht der Fall, denn der Gesetzgeber hat die Möglichkeit eines Rechtsnachteils durch den Verlust von Beweismitteln gesehen und mit den §§ 485 ff. ZPO Abhilfe geschaffen.
bb) Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus der § 935 ZPO ergänzenden Regelung in § 940 ZPO. Danach kann der Erlass einer einstweiligen Verfügung auch zulässig sein, wenn dies zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nötig erscheint. Der Begriff des Rechtsverhältnisses entspricht weitgehend dem des § 256 ZPO (vgl. Huber in Musielak, ZPO, 7. Auflage, § 940 Rn. 3). Es handelt sich dabei um die Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache, die ein mit materieller Rechtskraftwirkung feststellbares subjektives Recht enthält oder aus der solche Rechte entspringen können. Bloße Tatfragen oder abstrakte Rechtsfragen können nicht Gegenstand der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses sein. Nur das Rechtsverhältnis selbst kann Gegenstand der Klage seien, nicht Vorfragen oder einzelne Elemente (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 256 Rn. 3, 5).
Die hier begehrte einstweilige Verfügung dient lediglich der Feststellung einer Vorfrage im Rahmen eines zwischen den Parteien künftig möglicherweise streitigen Anspruchs. Die Durchführung der Beweiserhebung selbst enthält jedoch kein subjektives Recht, das mit materieller Rechtskraftwirkung selbständig feststellbar wäre oder insoweit eine selbständige Grundlage bilden könnte. Bezüglich des Rechtsverhältnisses der Parteien würde durch die begehrte einstweilige Verfügung keine Regelung getroffen; es bliebe vollkommen unberührt.
2. Die Anschlussberufung der Klägerin
Die Anschlussberufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist nach den vorstehenden Feststellungen, auf die Bezug genommen wird, unbegründet.
Dahin stehen kann daher, ob die für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Dringlichkeitsvermutung bereits widerlegt ist, wenn der Antragsteller – wie hier die Klägerin – gegen eine Teilabweisung seines Antrags nicht Berufung, sondern Anschlussberufung einlegt (vgl. Drescher in MünchKommZPO, a.a.O., § 935 Rn. 19).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
4. Eine Zulassung der Revision ist nach § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgeschlossen.
02.01.2018