Leitsatz:
Zum Anspruch des Mieters gegen den Vermieter, die Anbringung einer Parabolantenne am Balkon der Mietwohnung zu dulden.
BGH v. 16.11.2005 – VIII ZR 5/05 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 17 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach dieser Entscheidung ist die Frage immer auf Grund einer einzelfallbezogenen Abwägung zu beantworten.
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Anbringung einer Parabolantenne an der Balkonbrüstung der gemieteten Wohnung ohne Zustimmung des Vermieters ist vertragswidrig, wenn der Vermieter nicht – auf Grund einer aus § 242 BGB herzuleitenden Nebenpflicht aus dem Mietvertrag – verpflichtet ist, die Anbringung einer Parabolantenne durch den Mieter zu dulden. …
Deshalb kann sich der Vermieter, der die Beseitigung einer vom Mieter angebrachten Parabolantenne verlangt, nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf das bloße Fehlen seiner Zustimmung berufen, wenn er diese hätte erteilen müssen (dolo-petit-Einrede; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 8. Aufl., § 541 Rdnr. 24). …
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 90, 27; Beschluss vom 24. Januar 2005 – 1BvR 1953/00, NJW-RR 2005, 661; Beschluss vom 17. März 2005 – 1 BvR 42/03, zur Veröffentlichung bestimmt) ist dem Grundrecht des Mieters aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, auch in zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Anbringung von Satellitenempfangsanlage an Mietwohnungen Rechnung zu tragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das – gleichrangige – Grundrecht des Vermieters als Eigentümer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt ist, wenn von ihm verlangt wird, eine Empfangsanlage an seinem Eigentum zu dulden. Das erfordert in der Regel eine fallbezogene Abwägung der von dem eingeschränkten Grundrecht und dem grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten Interessen, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des bürgerlichen Rechts (§§ 535 Abs. 1 Satz 1 und 2, 242 BGB) vorzunehmen ist (BVerfGE 90, 27, 32 ff.; BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2005, aaO, unter II 2 b aa; Senatsurteil vom 2. März 2005 – VIII ZR 118/04, NJW-RR 2005, 596, unter II 2 a m.w.Nachw.). …
Ein grundsätzlicher Vorrang des Informationsinteresses des Mieters vor den Eigentumsinteressen des Vermieters ergibt sich – anders als das Berufungsgericht meint – auch nicht aus dem Recht der Europäischen Gemeinschaften (vgl. zur Anwendung der allgemeinen Grundsätze des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Nutzung von Parabolantennen: Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 27. Januar 2001 – KOM (2001) 351 endg.; dazu Dörr, WM 2002, 347, 351). Die in Art. 49 des EG-Vertrags geregelte Dienstleistungsfreiheit, auf die sich der Mieter berufen kann, ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. nur EuGH, Urteil vom 30. November 1995 – Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 Rdnr. 37); Gleiches gilt für die in Art. 10 EMRK gewährleistete Informationsfreiheit (zum Empfang ausländischer Fernsehprogramme über Satellit EGMR, Urteil vom 22. Mai 1990 – Nr. 15/ 1989/175/231, NJW 1991, 620). Da auch das Eigentumsrecht von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt wird (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1979 – Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727 Rdnr. 17 ff.; Urteil vom 5. Oktober 1994 – Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973 Rdnr. 77 f.), haben die Gerichte der Mitgliedsstaaten bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts den berechtigten Interessen auch des Eigentümers Rechnung zu tragen, so dass es – ebenso wie im nationalen Recht – einer Abwägung der vom Gemeinschaftsrecht geschützten Rechtspositionen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bedarf. Dass hierbei dem Wunsch des Mieters, weitere Hörfunk- oder Fernsehprogramme mittels einer Parabolantenne empfangen zu können, von vornherein der Vorrang vor den Interessen des Eigentümers einzuräumen wäre, lässt sich dem Gemeinschaftsrecht nicht entnehmen. …“
09.06.2018